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Bundeskanzler Friedrich Merz (r., CDU) und Katherina Reiche (CDU), Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, im Bundestag.

© dpa/Kay Nietfeld

Mehr und länger arbeiten? : Der Kanzler muss mehr Müntefering wagen

Wirtschaftsministerin Katherina Reiche möchte, wie einst Franz Müntefering, dass die Deutschen mehr und länger arbeiten. Wer Wohlstand und Sozialstaat erhalten will, kann nur zustimmen.

Daniel Friedrich Sturm
Ein Kommentar von Daniel Friedrich Sturm

Stand:

„Da muss man kein Mathematiker sein, da reicht Volksschule Sauerland, um zu wissen: Wir müssen irgendetwas machen.“ Mit diesen Worten begründete der einstige Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) die Einführung der Rente mit 67. Das war im Januar 2006, also vor knapp 20 Jahren. Müntefering hatte recht.

„Es kann auf Dauer nicht gut gehen, dass wir nur zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen“, sagte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) am Wochenende.

Reiche hat recht, so wie einst Müntefering. Wer bitte will dieser mathematischen Einsicht widersprechen? Friedrich Merz könnte, wie sein Landsmann Müntefering, sagen: „Da muss man kein Mathematiker sein, da reicht Hauptschule Sauerland …“

Der Unterschied zwischen der schwarz-roten Koalition 2006 und der schwarz-roten Koalition 2025: Die damalige Regierung Merkel/Müntefering bewies Reformeifer, anders als die heutige Regierung Merz/Klingbeil.

Während die SPD die damalige – aus der Union stammende – Forderung nach längerem Arbeiten im Koalitionsvertrag zuließ und Müntefering jenes Projekt gegen Vorbehalte in der eigenen Partei durchpaukte, lassen Friedrich Merz und Lars Klingbeil solch mutigen Reformwillen vermissen.

Nein, Deutschland muss bei der Wochenarbeitszeit (noch) nicht mit China oder Mexiko konkurrieren. Aber etwas mehr Anstrengung, um einen Wettbewerb mit den Niederlanden, Italien, Spanien oder Griechenland (!) zu bestehen, ist angebracht.

Daniel Friedrich Sturm, Leiter des Tagesspiegel-Hauptstadtbüros

Das liegt gewiss weniger an Merz als an der Fortschrittsangst der Sozialdemokraten – und natürlich an der Spendierfreude der Christlich-Sozialen Union Markus Söders.

Die Lebenserwartung in Deutschland liegt heute bei 78,9 Jahren (Männer) und 83,5 Jahren (Frauen). Sie steigt wieder, hat die Delle aus der Zeit der Corona-Pandemie hinter sich gelassen.

Das ist erfreulich. Im Durchschnitt 21 Jahre Rentenbezug (2003: 17 Jahre) aber verursachen hohe finanzielle Kosten. Schon jetzt subventionieren die Steuerzahler die Rentenkasse dieses Jahr mit gut 120 Milliarden Euro. Tendenz steil steigend.

Dänemark macht es vor

CDU, CSU und SPD fehlt bisher die Kraft, das Renteneintrittsalter abermals zu erhöhen, anders als etwa die sozialdemokratische Regierung in Dänemark.

Die schwarz-roten Koalitionäre haben nicht einmal die Frühverrentung („Rente mit 63“) abgeschafft. Die Chefin der Bundesanstalt für Arbeit, Andrea Nahles (SPD), bezeichnet diese als „kontraproduktiv“ und „unselig“. SPD und CSU aber schalten bei derlei Hinweisen ihre Ohren auf Durchzug.

Reiche hat vollkommen recht, wenn sie die Anreize für Frühverrentungen stoppen will. Das verlangt allein schon der Fachkräftemangel. Die Anreize, die Schwarz-Rot für längeres Arbeiten verspricht, sind nett, genügen aber nicht.

Die Deutschen arbeiten im Schnitt nicht nur an Jahren zu wenig, sondern auch an Stunden. Die tarifliche durchschnittliche Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte liegt in Deutschland laut Institut der deutschen Wirtschaft bei 1681 Stunden im Jahr. Damit gehört Deutschland zu den Schlusslichtern in der EU.

Nein, Deutschland muss bei der Wochenarbeitszeit (noch) nicht mit China oder Mexiko konkurrieren. Aber etwas mehr Anstrengung, um einen Wettbewerb mit den Niederlanden, Italien, Spanien oder Griechenland (!) zu bestehen, ist angebracht.

Die Möglichkeiten zu 80-Prozent-Jobs, Halbtagsstellen und Sabbaticals sind fantastisch, niemand sollte daran rütteln.

Wer aber das hohe Niveau von Wohlstand, Sozialstaat und Investitionen in den Klimaschutz halten will, muss wissen: Das wird ohne mehr Anstrengung misslingen. Mit einem Trend gar von der Work-Life-Balance zur Life-Life-Balance werden Wohlstand und Sozialstaat in Deutschland nicht überleben.

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