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An der Grenze zu den Niederlanden auf der A3 in Emmerich kontrollieren 2 Bundespolizisten die nach Deutschland einfahrenden Fahrzeuge.

© dpa/Christoph Reichwein

Update

Merz will verstärkte Grenzkontrollen fortsetzen: Polizisten befürchten nach Gerichtsentscheid aber rechtliche Verfolgung

Ein Gericht in Berlin hat festgestellt, dass die Zurückweisung von drei Somaliern bei einer Grenzkontrolle rechtswidrig war. Das bringt Polizisten in eine rechtlich heikle Position, sagt der GdP-Chef.

Stand:

Der Vorsitzende der Bundespolizei in der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Andreas Roßkopf, befürchtet juristische Probleme für Polizisten, die an Grenzkontrollen beteiligt sind. Er bezog sich auf den Gerichtsentscheid des Verwaltungsgerichtes Berlin, wonach die Zurückweisung von drei Klägern aus Somalia rechtswidrig war.

„Natürlich ist es eine Einzelfallentscheidung zunächst, aber es bleibt festzuhalten, dass es Fälle sind, die wir tagtäglich haben und somit kommt jetzt eine gewisse Verunsicherung im Kollegenkreis auf“, sagte Roßkopf im WDR-„Morgenecho“. Polizisten seien letztlich selbst für ihr Handeln verantwortlich und müssten dafür geradestehen.

GdP-Chef Roßkopf widerspricht Dobrindt

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte es in der ARD-Talkshow „Maischberger“ als „vollkommen abwegig“ bezeichnet, dass Polizisten für ihr Handeln juristisch belangt werden könnten. Roßkopf sagte dazu im WDR, da müsse er „ein Stück weit tatsächlich widersprechen“.

Dobrindt habe zwar recht, wenn er sage, dass die Polizisten eine klare Weisung hätten. Aber: „Wenn klar wäre und klar ist, dass diese Weisung letztendlich rechtswidrig ist, dann müssen Polizeibeamte sogenannte Remonstrationspflichten (...) wahrnehmen.“ Sie müssten es ausdrücklich kritisieren, um aus der Verantwortung herauszukommen.

Die Konsequenz daraus sei: „Wir brauchen eine schriftliche Klarstellung, dass die Kollegen in dieser unsicheren Situation klar auf Weisung handeln und auch nicht persönlich für ihre Handlungen im Nachgang eines Gerichtsverfahrens in dieser Sache belangt werden können.“

Merz will an Kurs festhalten

Zuvor hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) trotz des Rückschlags vor Gericht erklärt, den Kurs verstärkter Kontrollen und Zurückweisungen an den deutschen Grenzen fortzusetzen.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) spricht beim Kommunalkongress des Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB).

© dpa/Michael Kappeler

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin hat „Spielräume hier möglicherweise noch einmal etwas eingeengt“, sagte Merz am Dienstag auf dem Kommunalkongress des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in Berlin. „Aber die Spielräume sind nach wie vor da. Wir wissen, dass wir nach wie vor Zurückweisungen vornehmen können“, fügte der CDU-Chef hinzu.

Man werde dies „selbstverständlich im Rahmen des bestehenden europäischen Rechts“ tun. Aber man werde die öffentliche Sicherheit schützen und das Land vor einer „Überlastung“ bewahren. „Dies ist eine Aufgabe, der wir uns unverändert stellen wollen“, betonte der Kanzler. Bis die europäischen Außengrenzen wirklich geschützt seien, müssten die Kontrollen an den Binnengrenzen aufrechterhalten werden.

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Das Berliner Verwaltungsgericht hatte am Montag im Eilverfahren drei Menschen aus Somalia Recht gegeben, die sich gegen ihre Zurückweisung nach Polen Anfang Mai ohne Dublin-Verfahren wehrten. Deutschland müsse bei Asylgesuchen auf seinem Staatsgebiet das Verfahren beginnen und abschließen, mit dem der zuständige EU-Mitgliedstaat festgestellt wird, erklärte das Gericht.

Da muss ganz offensichtlich noch mal nachgearbeitet werden. Aber das werden wir tun.

Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU)

Der Gerichtsentscheid sei allerdings kein Dämpfer gewesen, sagte Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) am Montag in der Sendung „RTL Direkt“. „Wir haben versprochen, dass wir ordnen, steuern und begrenzen möchten, eine Wende in der Migrationspolitik erreichen“, sagte Frei. Dafür seien die Zurückweisungen „ein wesentlicher Baustein neben vielen anderen Dingen“.

Es waren die ersten Beschlüsse zu dem Thema, seit Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) die Grenzkontrollen verschärfte. Dobrindt hatte am 7. Mai verstärkte Kontrollen und Zurückweisungen von Migranten angeordnet. Die Zurückweisungen würden trotz Gerichtsentscheid weitergehen, weil es sich um einen Einzelfall handele, sagte er am Montag. Man strebe eine Entscheidung im Hauptverfahren an.

Haßelmann von Dobrindts Reaktion „irritiert“

Die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann kritisierte Dobrindts Aussage am Dienstag im ARD-„Morgenmagazin“: „An diesem Urteil gibt es jetzt keine Anfechtbarkeit. Es ist unanfechtbar.“ Dass Dobrindt in einem solchen Hauptsacheverfahren Erfolg haben könnte, hält Haßelmann für „ausgeschlossen“. Im Beschluss stehe eindeutig: „Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar“. Mit seinen Äußerungen habe Dobrindt daher „viele irritiert“.

Im Hauptsacheverfahren „eigene Gründe dezidiert vorbringen“

Doch auch Kanzleramtschef Thorsten Frei argumentiert, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin lediglich eine Entscheidung in einem Eilverfahren gewesen sei, sagte Frei. „Es geht darum, dass man auch eine Entscheidung in der Hauptsache erreicht, wo man dann auf die Argumentation des Gerichts eingehen kann und vor allen Dingen die eigenen Gründe dezidiert vorbringen kann.“

Das Gericht habe ein paar Hinweise gegeben, was die Begründungsnotwendigkeiten anbelange, sagte der CDU-Politiker weiter. „Da muss ganz offensichtlich noch mal nachgearbeitet werden. Aber das werden wir tun.“

Das Argument, dass sich bei dem Einsatz der Grenzpolizisten Unsicherheiten ergeben würden, wies Frei zurück. „Die Polizisten, die an der Grenze tätig sind, die wissen genau, dass sie sich auf diese Regierung verlassen können“, sagte er. Die politische Haftung für jede Entscheidung liege bei der Bundesregierung. „Und deswegen werden wir auch dafür sorgen, dass alle Voraussetzungen gegeben sind, die diese Zurückweisungen auch rechtmäßig machen.“

Koalitionspartner will über rechtssichere Umsetzung sprechen

Der designierte SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf pocht auf Rechtssicherheit. Ein besonderes Augenmerk müsse auf die Rechtssicherheit für Bundespolizistinnen und Bundespolizisten gelegt werden. Sie hätten die Zurückweisungen schließlich umzusetzen. Das werde die Koalitionspartner die kommenden Tage und Wochen beschäftigen.

Generell gelte, dass die SPD zum Koalitionsvertrag stehe. Es komme „jetzt darauf an, sich das Urteil genau anzugucken und auch ins Gespräch zu gehen, wie die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag jetzt rechtssicher miteinander umgesetzt werden“ könne, sagte Klüssendorf in der RTL/ntv-Sendung „Frühstart“.

Das wird für Herrn Dobrindt möglicherweise nicht ohne ein paar politische Schrammen abgehen – so was kommt von so was.

SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner

Grundsätzlich betonte der angehende SPD-Generalsekretär weiter: „Es geht schon darum, dass wir auch jetzt in dieser Koalition zusammenbleiben, das ist auch eine klare Erwartungshaltung, die wir gegenseitig haben.“ Man müsse sich jetzt gemeinsam auf den Weg machen und diesen Beschluss ernst nehmen.

Stegner kritisiert Dobrindt

Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner kritisierte Dobrindt. Die SPD habe in der Asylpolitik immer „auf Humanität und die Einhaltung der deutschen und europäischen Rechtsgrundlagen an unseren Landesgrenzen bestanden“, sagte Stegner dem „Spiegel“. Dies hätten die Konservativen stets lässig zurückgewiesen. Im Wahlkampf habe es dann „die bekannte flotte Zurückweisungsrhetorik der Union gerade aus der CSU“ gegeben.

Diese stehe nun vor dem Praxistest im Regierungshandeln. „Das wird für Herrn Dobrindt möglicherweise nicht ohne ein paar politische Schrammen abgehen – so was kommt von so was“, sagte Stegner, der in den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD die Innen- und Migrationspolitik mitverhandelt hatte.

Migrationsrechtler sieht bei Zurückweisungen offene Fragen

Ob die Bundesregierung die für rechtswidrig erklärten Zurückweisungen von Asylsuchenden dauerhaft aufrechterhalten kann, ist nach Einschätzung des Migrationsrechtsexperten Winfried Kluth offen. Der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration sagte der dpa, Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) habe ja schon vor Wochen angekündigt, dass man in Bezug auf die Zurückweisung an den Binnengrenzen eine andere Auffassung vertrete als frühere Bundesregierungen.

Jurist Kluth sagte, die Entscheidung des Gerichts liege „ganz auf der Linie der herrschenden Meinung im Migrationsrecht und der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs“ (EuGH). Im Hauptsacheverfahren wolle die Bundesregierung „die Rechtsprechung dazu bringen, ihren Standpunkt zu ändern“, betonte der Migrationsrechtsexperte. Angestrebt würden letztlich Entscheidungen des EuGH, die mehr Spielräume böten.

Zudem werde versucht, unter Verweis auf die Überlastung der Kommunen eine neue Argumentation für die Interpretation der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit nach Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu etablieren. Diese sogenannte Notlagenklausel erlaubt Ausnahmen.

„Ob man von der Lage in einzelnen Kommunen auf ganz Deutschland schließen kann, ist aber sehr fraglich“, gab der Professor für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zu bedenken.

Solange das zuständige höchste Gericht nicht ausdrücklich anders entschieden habe, sei es zwar möglich, eine neue, bislang nicht etablierte Auslegung einer Norm anzustreben, erklärte Kluth. Der aktuelle Fall werfe aber auch die Frage auf, wer die Feststellung treffen könne, dass eine Ausnahmelage im Sinne von Artikel 72 vorliegt. „Das ist eine Entscheidung von großer Tragweite, weil damit der Vorrang des Unionsrechts partiell durchbrochen wird“, sagte der Jurist.

Aus seiner Sicht müsste eine solche Entscheidung die gesamte Bundesregierung oder sogar der Bundestag treffen – ähnlich wie die Entscheidung über die epidemische Lage von nationaler Tragweite in der Corona-Pandemie. Dies müsste dann auch förmlich den Nachbarstaaten und der EU-Kommission mitgeteilt werden. (AFP/dpa/Reuters)

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