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Die Schwebebahn in Wuppertal - die Stadt gehört zu den höher verschuldeten Kommunen in Nordrhein-Westfalen.

© dpa/Bernd Thissen

Milliarden des Bundes für Kommunen: Keine Aussicht auf zügige Altschuldenhilfe

SPD und Grüne verlangen eine schnelle Grundgesetzänderung noch vor der Wahl. Die Union lehnt ab. Die angeschlagenen Kommunalfinanzen werden so zur Aufgabe der nächsten Regierung.

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Es ist eine der längsten Hängeparteien in der deutschen Politik: Die Frage, ob der Bund den von besonders hohen Altschulden geplagten Kommunen unter die Arme greift, wird seit Jahren debattiert. Auch die Ampel-Koalition hatte sich vorgenommen, das Problem anzugehen.  

Allein in Nordrhein-Westfalen, dem am stärksten betroffenen Land, geht es um etwa 25 Milliarden Euro. Diese Summe lastet auf den Etats der dortigen Kommunen, alte Kredite, die nicht abbezahlt werden können, sondern ständig refinanziert werden müssen.

186
Milliarden Euro macht der Investitionsstau in den Kommunen aus

Mit den höheren Zinsen hat sich die Lage verschärft. In NRW geht es vorrangig um einige Großstädte im Ruhrgebiet. Daneben gibt es vor allem in Rheinland-Pfalz und dem Saarland ein stärkeres Altschuldenproblem. Andere Länder dagegen sind davon verschont.

Die Union macht nicht mit

Mitte des Jahres schien sich eine Lösung anzubahnen. Die Ampel stellte die hälftige Übernahme der alten Kredite in Aussicht. Die schwarz-grüne Landesregierung in Düsseldorf legte ein Hilfsprogramm auf, aus dem langfristig 7,5 Milliarden Euro an die Altschulden-Kommunen fließen soll – die Bundeshilfe sollte hinzukommen.

Allerdings ergab sich das Problem, dass für die Bereitstellung von Mitteln aus dem Bundesetat das Grundgesetz geändert werden müsste.

Denn für die finanzielle Solidität der Kommunen sind die Länder und deren Kommunalaufsicht zuständig. So geschah erst einmal nichts – außer Appellen an die Union, bei der Verfassungsänderung mitzumachen.

Nach dem Ende der Ampel hat die SPD das Thema mit Blick auf den Wahlkampf wieder auf die Tagesordnung gehoben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte die Altschuldenhilfe als eines jener Projekte, das die rot-grüne Minderheitsregierung noch mit Hilfe von Union und FDP im Bundestag vor der Wahl durchbringen könnte. Finanzminister Jörg Kukies (SPD) soll einen Vorschlag für die Grundgesetzänderung erarbeiten.

Bernhard Daldrup, der kommunalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sieht auch einen ganz aktuellen Anlass für den Vorstoß: Die Kommunen, jahrelang insgesamt im Plus, sind zuletzt wieder in die roten Zahlen gerutscht. „Mit der hälftigen Übernahme der Altschulden aller Kommunen in Deutschland würde der Bund eine maßgebliche Hilfe leisten“, sagt er.

Auch Grüne machen Druck

Auch die Grünen werben dafür. Die Bundestagsabgeordnete Karoline Otte sagte dem Tagesspiegel, die Finanzlage vieler Kommunen sei alarmierend. „Jede dritte Kommune hat in den letzten zehn Jahren finanzielle Einbußen erlebt, und über zehn Prozent mussten auf teure Kassenkredite zurückgreifen“, rechnet Otte vor.

Eine hälftige Übernahme der kommunalen Altschulden durch den Bund wäre ein entscheidender Beitrag, um das Problem zu lösen. „Nun liegt es an der Union, diese notwendige Grundgesetzänderung gemeinsam den regierungstragenden Fraktionen zu beschließen, betonte Otte.

Eine Grundgesetzänderung in der kurzen Restlaufzeit dieser Legislatur ist vollkommen illusorisch

Mathias Middelberg, CDU/CSU-Fraktionsvize

Aber dazu wird es wohl nicht kommen. Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg sagte dem Tagesspiegel: „Eine Grundgesetzänderung in der sehr kurzen Restlaufzeit dieser Legislatur ist vollkommen illusorisch.“ Die SPD habe in der Ampelregierung drei Jahre Zeit gehabt, eine Lösung für die Altschuldenproblematik zu finden.

„Bis heute liegt kein Vorschlag auf dem Tisch, der rechtssicher ausschließt, dass Kommunen sich erneut im Übermaß verschulden“, sagte Middelberg. „Eine Abstimmung mit den Bundesländern, die in der Mehrzahl bei diesem Thema skeptisch sind, ist bisher auch nicht erfolgt.“

Allerdings wird der Druck auf den Bund, den Kommunen zu helfen, nach der Wahl nicht geringer werden – eben weil nun nach den Jahren der Überschüsse und soliden Kommunalhaushalte deutlich mehr Städte, Gemeinden und Kreise der Schuh drückt. Und zwar quer durch die Länder. Die nächste Bundesregierung wird also über die Altschuldenhilfe hinaus mit Forderungen konfrontiert sein.

Wachsende Defizite

Eine Zahl spielt dabei eine zentrale Rolle. Laut Daldrup und Otte braucht es allein 186 Milliarden Euro, um die kommunale Infrastruktur zu erhalten. Für Neu- und Ausbau werden weitere Milliarden gebraucht. Die Kommunen tragen einen hohen Anteil an den staatlichen Investitionen.

Nicht zuletzt der Städtetag macht daher Druck. „Die finanzielle Situation der Städte ist wirklich dramatisch“, sagte dessen Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy dem Tagesspiegel. „In diesem Jahr wird das Defizit der kommunalen Haushalte bei mindestens 13,2 Milliarden Euro liegen, mehr als doppelt so viel wie noch im letzten Jahr. Die Zeit der ausgeglichenen kommunalen Haushalte gehört auf Jahre hinaus der Vergangenheit an.“

„Sozialausgaben laufen uns davon“

Das sei kein selbstverschuldetes Problem der Städte, sondern ein strukturelles Defizit. „Gerade die Sozialausgaben laufen uns davon. Und Bund und Länder weisen uns immer mehr Aufgaben zu, die nicht vernünftig ausfinanziert sind“, beklagt Dedy. Sein Kernvorschlag lautet: „Die Städte brauchen endlich einen höheren Anteil an den Gemeinschaftssteuern.“

Für Kommunen, die unter besonders hohen Altschulden leiden, sei die lange angekündigte Altschuldenlösung mit Hilfe des Bundes ein weiterer wichtiger Baustein. „Sie kommen aus eigener Kraft nicht aus der Altschulden-Spirale heraus. Schon kleine Zinssteigerungen können dort den Haushalt ins Wanken bringen.“

Daher fordert Dedy die Grundgesetzänderung. „Für die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat müssen dann möglichst alle demokratischen Parteien mitziehen.“

Passgenaue Hilfen sind am vordringlichsten

Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des Landkreistages

Auch der Landkreistag zieht hier mit. Er ist von der Altschuldenproblematik zwar wenig betroffen, aber auch beiden Landkreisen herrscht nun Ebbe. 240 der 294 Kreise könnten ihre Etats derzeit nicht ausgleichen, berichtet Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des Landkreistages.

Daher müssen auch diese nun Kassenkredite aufnehmen. „Die Situation wird sich auch im gesamten Planungszeitraum bis 2028 nicht ändern“, sagte Henneke dem Tagesspiegel.

Auch er fordert eine „strukturelle Verbesserung der Einnahmen der Kommunen in ganz Deutschland“. Henneke sieht den Weg dahin über eine Aufstockung des Kommunalanteils an der Umsatzsteuer.  

Ein erster Ansatz wäre aus einer Sicht, dass der Bund sich wie vor 2022 wieder an den Kosten der Unterkunft für Flüchtlinge beteiligt. „Passgenaue Hilfen sind am vordringlichsten“, sagte Henneke. Diese würden auch den Altschuldenkommunen nutzen.

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