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Mittendrin und trotzdem nicht richtig dabei: Muslimische und andere Neuköllnerinnen auf dem Ramadanfest im Juli 2014.

© Jörg Carstensen/dpa

Integration von Muslimen: Mittendrin und kaum dabei

Sie sprechen die Sprache, lieben ihr Land, arbeiten wie alle anderen - aber Muslime sind dennoch unbeliebt. Religiosität erzeugt in modernen Gesellschaften Unbehagen. Fragen und Antworten.

Muslime in Europa sind gut integriert, akzeptiert sind sie allerdings nach wie vor nicht. Das ergibt sich aus dem „Religionsmonitor 2017“, den die Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben hatte. Sie lässt seit zehn Jahren regelmäßig die Rolle der Religion in den europäischen Gesellschaften untersuchen; diesmal wurde die Situation in fünf Ländern verglichen – in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich und Großbritannien. Die Forschungsinstitute infas und Gallup International befragten dafür zwischen Juli 2016 und März 2017 insgesamt 10.000 Menschen in den fünf Ländern.

Als muslimisch galt dabei, wer sich selbst so definierte. Erst kürzlich angekommene Flüchtlinge, bei denen Integrationserfolge kaum messbar wären, wurden nicht einbezogen.

Wie integriert sind Muslime?

Offenkundig gut, wenn man die Kriterien der Studienautoren anlegt, nämlich Arbeitsplätze, Sprachkenntnis, Kontakte außerhalb muslimischer Milieus und Verbundenheit mit ihrem jeweiligen Zuwanderungsland. Drei Viertel der Muslime haben in ihrer Freizeit Kontakt zu Nicht- und Andersgläubigen, am häufigsten gerade in der Schweiz (87 Prozent), die in den letzten Jahren durch antimuslimische Volksabstimmungen wie die gegen Minarette Schlagzeilen machte, am wenigsten in Österreich. Fast die Hälfte (49 Prozent) hat die Landessprache schon als Kind erlernt, besonders oft in Frankreich und Großbritannien – Französisch und Englisch sind offizielle Sprachen auch in vielen Herkunftsländern.

Sowohl die Generation der Einwanderer wie auch die ihrer Kinder fühlt sich eher oder stark mit dem Land verbunden, in dem sie leben. In Deutschland etwa gilt dies für jeweils 96 Prozent, aber auch in den übrigen Ländern liegen die Werte um oder über 90 Prozent. Starke Unterschiede gibt es in Bildung und Arbeitsmarkt in den fünf untersuchten Ländern. Während französische und britische Muslime ähnlich lange die Schule besuchen, wirkt sich das auf ihr Erwerbsleben höchst unterschiedlich aus. Muslimische Briten sind nicht öfter arbeitslos als andere und haben kaum seltener Jobs. In Frankreich sind 14 Prozent ohne Arbeit, von den übrigen Einwohnern nur acht Prozent.

Warum liegt Deutschland an der Spitze?

Inzwischen gibt es hierzulande praktisch keinen Unterschied in der Erwerbsbeteiligung: 80 Prozent der Muslime und 81 Prozent der Nichtmuslime gehen arbeiten, auch in puncto Teil- oder Vollzeit gibt es keinen Unterschied. Die Gründe liegen nach Ansicht der Forscher in einem „vergleichsweise entspannten Arbeitsmarkt“ und den inzwischen größeren Möglichkeiten für Einwanderer, Arbeit zu finden, die ihrer Qualifikation entspricht. Seit fünf Jahren zum Beispiel gibt es das Anerkennungsgesetz, um ausländische Abschlüsse und Vorkenntnisse überprüfen zu lassen.

Wie integriert sind die Musliminnen?

Für Frauen ergibt sich ein geteiltes Bild. Ihre Freizeitkontakte außerhalb der Community sind in allen fünf Ländern ebenso intensiv wie die der Männer – von „besonderer Abschottung muslimischer Frauen“ könne also keine Rede sein, heißt es im Bericht. Sie sind aber deutlich seltener erwerbstätig – wofür nicht allein Diskriminierung verantwortlich sei, sondern auch ein Rollenbild, das sich mit Berufstätigkeit nicht leicht verbinden lasse.

Muslime bleiben unbeliebt – wie sehr?

Trotz guter Integrationsergebnisse: Etwa ein Fünftel der Nichtmuslime, die für die Studie in den fünf Ländern befragt wurden, wollen lieber keine Muslime als Nachbarn. Die größte Ablehnung äußern dabei Österreicher und Briten, von denen 28 beziehungsweise 21 Prozent etwas gegen Muslime in der Nachbarschaft haben. Am offensten sind dagegen Franzosen, die eine etwa ebenso alte muslimische Einwanderung haben wie das Vereinigte Königreich. Dort äußerten sich nur 14 Prozent der Nichtmuslime negativ, gefolgt von der Schweiz (17 Prozent) und Deutschland (19).

Warum ist das so?

Ausschlaggebend scheinen keine Zuschreibungen zu sein, wie sie in Deutschland noch in der Sarrazin-Debatte vor Jahren eine Rolle spielten. Damals wurde über die angeblich mangelnde Fähigkeit von Muslimen zu Bildung und wirtschaftlichem Erfolg debattiert. Das Problem liegt offenbar in der Religiosität selbst. Je gläubiger Muslime sind, desto weniger gelingen ihnen sozialer Aufstieg und eine hohe gesellschaftliche Position, unabhängig davon, was sie können und wissen.

Bei mittelstarker und hoher Religiosität, schreiben die Forscher Dirk Halm und Martina Sauer vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisburg, die die Daten für die Generation der Kinder von Eingewanderten auswerteten, sinke „die Wahrscheinlichkeit einer hohen Platzierung im Vergleich zu niedriger Religiosität deutlich“. Anders als oft angenommen zeigten die Daten für andere Faktoren dagegen „keinen nachweisbaren Einfluss“ auf die soziale Position von Muslimen: Weder ihr Wohnviertel noch die Kontakte zu Nichtmuslimen scheinen dafür ausschlaggebend zu sein, auch nicht die Erfahrung oder das Gefühl, diskriminiert zu werden.

Starke Bindung an den Glauben aber ist typisch für die europäischen Muslime. 41 Prozent können nach der Untersuchung als hochreligiös gelten – britische Muslime sind es sogar zu 64 Prozent, in einer besonders nichtreligiösen Umwelt übrigens. Nur für acht Prozent hat der Glaube, obwohl sie sich als Muslime bezeichnen, eine eher geringe Bedeutung. Damit distanzieren sie bekennende Christen ihrer Umgebung deutlich, von denen lediglich 23 Prozent sehr gläubig sind. Hier entstehe anscheinend „Unbehagen“ in den bereits stark säkularisierten europäischen Gesellschaften, heißt es in der Studie.

Eine interessante Ausnahme bilden übrigens die britischen Muslime: Trotz starker Vorbehalte gegen sie in der britischen Gesellschaft ist ihr sozialer Aufstieg nicht behindert, wenn sie sehr gläubig sind, im Gegenteil. Die Studie führt das darauf zurück, dass die Insel keine geschriebene Verfassung kennt, was die Gleichberechtigung nichtchristlicher Religionen erleichtert habe. Britische Polizistinnen etwa dürfen Kopftücher tragen, ein Sikh ist seit Jahren Richter am High Court.

Was lässt sich tun?

Das britische Beispiel zeigt, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, die soziale Integration von Muslimen politisch zu fördern, indem man ihrer Religion gleiche Rechte einräumt. Ob Integration gelingt, „hängt weniger an dem Willen und den Fähigkeiten der Einzelnen, sondern an den Rahmenbedingungen des Landes, in dem sie leben“, heißt es in der Studie. Sie zählt ein offenes Schulsystem dazu – Beispiel Frankreich – und einen aufnahmebereiten Arbeitsmarkt wie den deutschen.

Wichtig sei die Arbeit an antimuslimischen Schranken im System. Auch wenn Diskriminierung sich als schwächeres Integrationshindernis erwiesen habe als gedacht, müsse sie doch abgebaut werden. Das zeige etwa das Beispiel der Frauen: Je moderner ihr Islam werde, je stärker sich ihre Rollenbilder wandelten und ihr Wunsch werde, berufstätig zu sein, „kann sich das Diskriminierungsproblem künftig nachdrücklicher stellen als heute“.

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