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Donald Trump ist da. Europa braucht starke Nerven.

© REUTERS

Donald Trump wird US-Präsident: Müssen wir Angst haben?

Seine Machtfülle ist das Ende aller Ausreden. Kein System lässt sich für Missstände oder den Untergang Amerikas verantwortlich machen. Jetzt muss Trump zeigen, was er will – und kann.

Donald Trump ist der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Er wurde mit klarer Mehrheit demokratisch gewählt. Seine Partei, die Republikaner, beherrscht beide Häuser des Kongresses. Trump wird außerdem das Verfassungsgericht personell nach seinen Vorstellungen formen können.

Das alles ist seit Mittwochfrüh bekannt, und doch liest es sich in den Augen vieler Menschen jedes Mal neu wie ein schlechter Witz. Donald Trump? Wirklich der Donald Trump?

Das ist doch dieser extravagante Baulöwe, der nie zuvor ein politisches Amt innehatte, ein paar Mal pleiteging, ins Showbusiness wechselte. Der eine Mauer an der mexikanischen Grenze bauen und Mexiko für sie bezahlen lassen will. Der fordert, keine Muslime mehr ins Land zu lassen, und der keine Scheu hat, öffentlich über Frauen und Minderheiten herzuziehen. Das ist der, der behauptet, dass das gesamte System – die Politiker, die Wall Street, die Medien – korrupt sei und Lügen verbreite. Der aufbrausend sein kann und wohl auch cholerisch.

Der mächtigste Mann der Welt

Genau der. Donald Trump ist nun der Führer des freien Westens, der mächtigste Mann der Welt.

Fast 60 Millionen Amerikaner haben ihm ihre Stimme gegeben. Und sie wussten, was sie taten. Sie trauen ihm zu, ihr Land wieder großartig zu machen. Es muss sich, nach Lage der Dinge, um verführte, enttäuschte, zornige, abgehängte, autoritätsfixierte, um ungebildete oder rassistische Menschen handeln. Kurzum: Deren politischer Wille wird als politische Unzurechnungsfähigkeit gedeutet. Das Gros der Trump-Anhänger wäre demnach vermindert schuldfähig.

In dieser Beschreibung liegt bereits der Keim weiterer Polarisierung. Trump-Anhänger fühlen sich von der Elite gemobbt, pathologisiert, verachtet. Die Elite reagiert darauf – weil sie den Vorwurf für vollkommen absurd hält – mit Mobbing, Pathologisierung und Verachtung. Aus dieser Spirale bricht kaum jemand aus. Die Lager haben sich voneinander abgeschottet.

Ein Symptom dafür ist auch die Verwunderung, ja Erschütterung, mit der die Demokraten Trumps Wahlsieg zur Kenntnis nahmen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Sie kennen doch niemanden, der für Trump gestimmt hat. Ähnlich perplex zeigte sich Europas Elite über den Brexit. Solche Schocks sind verräterisch. Sie künden von vielen unsichtbaren Mauern, die Gesellschaftsgruppen trennen, die nicht mehr neugierig aufeinander sind. Was denkt der andere, was bewegt ihn? Nicht verstanden, sondern verurteilt werden soll der Nachbar.

Muss man Trump und seine Wähler nicht verurteilen?

Aber muss man Trump und seine Wähler nicht verurteilen? Für ihren Rassismus, die Islamophobie, den Sexismus, die Ignoranz gegenüber dem Klimawandel, die Nähe zu Wladimir Putin, die Distanz zur Nato? Trump selbst sagt, er sei der Anführer einer „Bewegung“. Das soll nach Leidenschaft und Kompromisslosigkeit klingen. Seine Kontrahentin, Hillary Clinton, behandelte er nicht nur als Gegnerin, sondern auch als Feindin („sperrt sie ein!“).

Solche Worte solle man nicht auf die Waagschale legen, meinen seine Anhänger und warnen vor übertriebener „political correctness“. Doch Macht hat der, auf dessen Wort hin etwas geschieht. In Trumps Herz hat noch niemand geblickt. Wir haben nur seine Worte. Wenn ein Hundehalter seinen Pitbull von der Leine lässt und der dann zähnefletschend auf einen zurast, erreicht die Beschwichtigung „keine Angst, der will nur spielen“ selten ihr Ziel.

Was will Trump? Das weiß keiner. Vielleicht wollte er nur Präsident werden, es allen mal zeigen, wie toll er ist, allein gegen alle, wie Gary Cooper in „High Noon“. Viel Feind, viel Ehr – im Vorwahlkampf erst die Bush-Dynastie aus dem Rennen werfen und im Finish dann die Clinton-Dynastie und deren Helfer, Michelle und Barack Obama, das hat er geschafft. Dieser Triumph scheint ihm diabolische Freude zu bereiten.

Trump hat fast alle Wahlkampfgesetze außer Kraft gesetzt: Der zornige weiße Mann spiele demografisch keine Rolle mehr, hieß es. Die Hispanics werden in Scharen zu Clinton gehen. Weil die Minderheiten stärker werden, kann gegen sie keine Wahl gewonnen werden. Frauen als Wähler zu verprellen, rächt sich bitter. Konsistenz in Wahlkampfreden ist wichtiger als Authentizität. Alles Quatsch. Wer an sich glaubt, bewirkt Wunder: Diesen uramerikanischen Traum hat Trump wiederbelebt.

Ist seine Machtfülle Fluch oder Segen? Zumindest bedeutet sie ein Ende aller Ausreden. Nun lässt sich kein System mehr für Missstände oder den Untergang Amerikas verantwortlich machen, keine Blockade im Kongress, keine korrupte Elite, die sich mit Tricks an ihre Pfründe klammert. Jetzt muss Trump zeigen, was er will – und kann. Er allein, mal wieder, diesmal aber nicht in der Rolle des Heilsversprechers, sondern des Heilsbringers.

In seiner Ansprache um drei Uhr morgens im New Yorker Hauptquartier kündigte er an, das Wirtschaftswachstum zu verdoppeln, ein gigantisches staatliches Infrastrukturprogramm aufzulegen, das Arbeitsplätze für Millionen schaffen, aber ohne Steuererhöhungen oder neue Schulden finanziert werden soll. Good luck. An seinen Taten werdet ihr ihn erkennen.

Er hat Erwartungen geweckt

Trump hat Erwartungen geweckt, die er nicht einmal mit herkulischen Kräften befriedigen könnte. Ein Teil seiner Wähler mochte ihn, weil er, zumindest gefühlt, dem Establishment den Mittelfinger zeigte. Anderen gefiel seine einfache, raue, schnörkellose Sprache. Daumen rauf, Daumen runter. Nicht Parteitagsbeschlüsse rezitieren oder sich in Floskeln hüllen. Lass hören, wie du sprichst, und ich sage dir, wer du bist: Man stelle sich vor, Dieter Bohlen würde gegen Frank-Walter Steinmeier antreten. Der Kontrast wäre wohl ähnlich scharf.

Aber eine konservative kulturelle Revolution anzetteln, ohne Homo-Ehen, Minderheitenrechte, Frauenemanzipation, allgemeiner Religionsfreiheit? Dafür hemmungslos chauvinistisch sein, weiße und christliche Überlegenheitsdünkel vorführen? Strafzölle auf chinesische Importe verhängen, Handelskriege riskieren, sich nach jedem Hurrikan die verfehlte Klimapolitik vorhalten lassen? Illegale Latinos abschieben, obwohl viele seit Jahren in die Gesellschaft integriert sind? Das alles hat Trumpisten zu den Urnen getrieben. Es braucht schon sehr viel Fantasie, um sich eine Umsetzung dieser Vorhaben vorzustellen. Das neue Amt könnte Trump plötzlich sehr klein wirken lassen, zusammengeschrumpft auf eine Größe, auf die sich keine Erlösungssehnsucht mehr projizieren lässt.

Müssen wir also keine Angst haben? Doch – vor Ansteckung. Trump hat gezeigt, dass man mit apokalyptischer Rhetorik, nationalistischer Verheißung, Xenophobie und Chauvinismus Wahlen gewinnen kann. Der westliche Liberalismus ist fragiler, als dessen Exponenten je ahnten. Im kommenden März wird in den Niederlanden gewählt, die Partei für die Freiheit, PVV, von Geert Wilders liegt in den Umfragen vorn. Im Mai wird in Frankreich gewählt, dort hat sich Marine Le Pen mit dem Front National profiliert, der schon 2014 bei der Europawahl stärkste Kraft wurde. Im September dann könnte die AfD in den Bundestag einziehen. Europa hat jedenfalls keinen Grund, nur besorgt auf Amerika zu blicken.

Wichtiger ist eine funktionierende Verteidigungsallianz

Allerdings bedeutet demokratische Legitimation von politischer Macht etwas anderes, als eine starke Oppositionspartei zu sein. Gegenüber der AfD ist es möglich, „klare Kante“ zu zeigen, wie es modisch heißt. Trump indes verkörpert als Präsident den Willen der Mehrheit seines Volkes. Das ist eine Zäsur. Sie stellt liberale Menschen vor die Aufgabe, ihre Werte zu verteidigen, ohne den Wertekanon der herrschenden Andersdenkenden in den Dreck zu ziehen. Ein Widerstandsrecht gegen herrschenden Rechtspopulismus lässt sich erst dann begründen, wenn der systematisch das Wesen liberaler Demokratie angreift. Dazu zählen neben Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit auch Religionsfreiheit, Asyl- und Minderheitenrechte.

Welche Agenda Trump verfolgt, weiß er womöglich selbst noch nicht. Für Europa folgt daraus, dass es sich in seinem Handeln von den Entwicklungen in Amerika unabhängiger machen muss, soweit es eben geht. Zum Beispiel: Wohl und Wehe des transatlantischen Verhältnisses hängen nicht von Handelsverträgen wie TTIP ab; sie symbolisch zu überhöhen, wäre schädlich. Wichtiger ist eine funktionierende, eine verlässliche Verteidigungsallianz. Und sollte eine Erhöhung der europäischen Verteidigungsausgaben der Preis dafür sein, dass sich Amerika unter Trump weiter fest zur Nato und deren Beistandspflichten bekennt – dann sollte die Diskussion darüber ruhig offen geführt werden. Denn nicht alles, was künftig aus dem Munde von Trump kommt, muss schon deshalb verkehrt sein, weil es aus Trumps Mund kommt.

Angst müssen wir Europäer nicht haben. Aber wir brauchen Geduld und starke Nerven.

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