zum Hauptinhalt
Kanzler Olaf Scholz zwischen den SPD-Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken

© IMAGO//Thomas Trutschel

Verzicht von Boris Pistorius: Jetzt gibt es viele Verlierer in der SPD

Durch den Verzicht von Boris Pistorius ist der Weg für Olaf Scholz frei. Doch ein echter Gewinner ist nicht zu sehen. Dafür viele Verlierer.

Christian Tretbar
Ein Kommentar von Christian Tretbar

Stand:

Klarheit kommt erst jetzt in das Rennen um die Kanzlerkandidatur der SPD. Das ist aber vermutlich das einzig positive im Moment. Denn das tagelange Ringen um die K-Frage hat zwar mit Olaf Scholz jetzt einen vermeintlichen Gewinner hervorgebracht, am Ende aber nur Verlierer produziert.

Da ist der Gewinner selbst: Olaf Scholz. Er hat sich durchgesetzt. Oder besser: Er hat den Sturm des Widerstands in seiner eigenen Partei einfach ausgesessen. Keine zu verachtende Qualität für einen Spitzenpolitiker. Vor ihm hat das schon Angela Merkel zur Perfektion betrieben und sich so jahrelang an der Spitze gehalten. Auch für internationale Verhandlungen und Konflikte eine wichtige Qualität. Das kann er für sich verbuchen.

Aber wirklicher Rückenwind gab es in dem Prozess für ihn nicht. Er hat vielmehr schonungslos offengelegt, wie wenig Rückendeckung der Kanzler in der Partei hat. Seine Unbeliebtheit in der Bevölkerung wurde über Tage zur Schau gestellt – von der eigenen Partei.

Sie stützen ihn nicht aus Überzeugung, aus Leidenschaft, sondern aus taktischen Überlegungen. Noch hat die Partei Scholz nicht offiziell nominiert, ein Sturz ist nun jedoch unwahrscheinlicher und schwieriger. Auf große Begeisterung wird Scholz in seiner SPD allerdings nicht bauen können.

Dann ist da der unterlegene Beliebtheitspolitiker Boris Pistorius. Er hat deutlich mehr Unterstützung in der Partei. Er hat Zuspruch aus unterschiedlichsten Lagern und Strömungen erhalten. Viele sahen ihn ihm eine Hoffnung auf das Unmögliche: einen Wahlsieg oder wenigstens ein besseres Ergebnis als 14 Prozent und damit mehr SPD-Mandate im nächsten Bundestag.

Pistorius hat am wenigsten verloren

Doch mit voller Wucht wollte ihn auch keiner unterstützen. Bei aller Zustimmung schwang auch immer Skepsis ob seiner Fähigkeiten mit. Und: Er konnte sich in seiner Partei nicht durchsetzen – zum zweiten Mal nicht. Denn schon einmal kandidierte er erfolglos und abgeschlagen als Parteivorsitzender. Aber das kann sich Pistorius auf die Habenseite schreiben: Er hat vielleicht von allen am wenigsten verloren und kommt am wenigsten beschädigt aus diesem Prozess.

Ganz anders die SPD-Führung selbst, allen voran SPD-Chef Lars Klingbeil. Über Tage brodelte die Debatte in aller Öffentlichkeit. Der amtierende Kanzler der eigenen Partei wurde dadurch in ohnehin schwierigen Zeiten zusätzlich beschädigt. Und möglicherweise hat er noch einen weiteren Fehler begannen, von dem noch nicht abzusehen ist, wie verheerend er ist: Er hat die Stimmung in seiner Partei unterschätzt. Denn überdeutlich wurde, dass ein Großteil der SPD-Basis Olaf Scholz als Kandidaten nicht mehr mittragen will. Jetzt wird es vor allem für ihn darauf ankommen, die Reihen wieder zu schließen, die Basis zu mobilisieren.

Die Hoffnungen der SPD ruhen jetzt auf Friedrich Merz

Und für ihn steht auch persönlich einiges auf dem Spiel. Gilt er doch in der SPD als Mann der Zukunft, vielleicht sogar als Vizekanzler in einer großen Koalition. Doch sein Image hat heftige Kratzer bekommen. Statt die SPD als entschlossen und geschlossen erscheinen zu lassen, wirkt sie nun gespalten. Und wie soll man einer Partei die Führung eines Landes zutrauen, wenn die Suche nach dem richtigen Kandidaten schon so verläuft.

Die Hoffnungen der SPD ruhen jetzt wohl vor allem auf Friedrich Merz, dem CDU-Kanzlerkandidaten. Darauf, dass jede Attacke von ihm auf Scholz die Gemeinschaft in der SPD wieder ein Stück zusammen schweißt. Darauf, dass er sich Ausrutscher leistet und den Fokus von der SPD ablenkt. Und darauf, dass sich Merz und die Union ihrer Sache zu sichern sind.

Dass Pistorius den Weg freimacht, vermutlich vor allem, weil der Kanzler nicht freiwillig gehen wollte, bietet der SPD auch Chancen. Mit Scholz kann sie mehr SPD pur machen als mit Pistorius. Sie kann einen moderateren Ukraine-Kurs fahren als mit dem Verteidigungsminister. Aber sie muss mit einem großen Manko leben: Wahlen werden heute vor allem gewonnen, wenn zwischen dem Spitzenpersonal und der Wählerschaft auch eine emotionale Verbindung besteht. Aber die Menschen in Deutschland haben mehrheitlich vor allem eine Emotion für Scholz: Ablehnung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })