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CDU-Chef Friedrich Merz.

© dpa/Hannes P. Albert

Update

Nach der Messerattacke von Solingen: Union wirft Regierung Versäumnisse bei Kampf gegen islamistische Gefahr vor

Der mutmaßliche Täter von Solingen war Syrer und hatte offenbar ein islamistisches Motiv. CDU-Chef Friedrich Merz fordert einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan. Die SPD widerspricht.

Stand:

Der Täter von Solingen war noch auf der Flucht, da formulierten Regierungspolitiker am Sonnabend eine erste Antwort auf den Messeranschlag, bei dem drei Menschen starben.

SPD-Chef Lars Klingbeil forderte ein nahezu komplettes Messerverbot auf Straßen. Auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sprach sich für „mehr Waffenverbotszonen und strengere Waffengesetze“ aus.

Selbst Justizminister Marco Buschmann (FDP) kündigte plötzlich Beratungen über das Waffenrecht für Messer an. Zuvor hatten die Liberalen die Vorschläge von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zu schärferen Verboten stets abgelehnt.

Einen Terroristen oder Verrückten, der gezielt Menschen abschlachtet, können Sie damit aber nicht stoppen.

CDU-Innenpolitiker Alexander Throm zu Ankündigungen der Ampelkoalition

Nach Faesers Plänen sollen Messer in der Öffentlichkeit nur noch bis zu einer Klingenlänge von sechs Zentimetern statt bisher zwölf Zentimetern mitgeführt werden dürfen. Für gefährliche Springmesser soll es ein generelles Umgangsverbot geben.

SPD-Vorschläge gehen CDU nicht weit genug

Als völlig ungenügend kritisierte die Union diese neuen Vorschläge am Sonntag. Ein Verbot, Messer in der Öffentlichkeit zu tragen, könne Affekttaten nach Streitereien verhindern, sagt der CDU-Innenexperte Alexander Throm dem Tagesspiegel. „Einen Terroristen oder Verrückten, der gezielt Menschen abschlachtet, können Sie damit aber nicht stoppen.“

Tatsächlich deutet inzwischen alles darauf hin, dass das Attentat auf die 650-Jahr-Feier in Solingen ein geplanter Terroranschlag war. Als dringend tatverdächtig gilt der 26-jährige Syrer Issa Al H., der sich am Samstagabend den Behörden stellte. Wie Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) berichtete, fand man bei ihm Beweisstücke.

Nicht die Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen.

Friedrich Merz, CDU-Chef

Gegen Al H. ermittelt nun die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Zuvor hatte der IS das grauenhafte Attentat für sich reklamiert, bei dem Issa Al H. Besuchern mit einem Messer gezielt in den Hals gestochen haben soll. Drei Menschen starben, acht wurden teils schwer verletzt.

Merz sieht Scholz in der Pflicht

Noch deutlicher als der Fachpolitiker Throm weist CDU-Chef Friedrich Merz in seinem Newsletter „MerzMail“ die Vorschläge der Ampel zurück. „Nicht die Messer sind das Problem“, schreibt Merz, „sondern die Personen, die damit herumlaufen.“ In der Mehrzahl der Fälle seien dies Flüchtlinge, in der Mehrzahl der Taten stünden islamistische Motive dahinter.

Merz fordert Kanzler Olaf Scholz (SPD) direkt auf, stärker gegen islamistischen Terror vorzugehen. Die Union habe der Koalition in den letzten zwei Jahren mehrfach angeboten, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Das habe die Bundesregierung abgelehnt. „Es reicht“, schreibt Merz. „Jetzt ist der Bundeskanzler gefragt.“

CDU-Innenpolitiker Throm sieht bei Innenministerin Nancy Faeser konkrete Versäumnisse. „Als erste Amtshandlung hat Nancy Faeser den Expertenkreis zur Bekämpfung des Islamismus aufgelöst“, sagt er. Die SPD-Politikerin habe sich einseitig auf die Bekämpfung des Rechtsradikalismus konzentriert und die islamistische Gefahr jahrelang ignoriert.

„Bei der Terrorabwehr hat die Ampel die Nachrichtendienste geschwächt und nicht gestärkt“, sagt Throm. So habe die Regierungskoalition immer mehr Kontrolleinrichtungen geschaffen und die Arbeit verdeckter Ermittler erschwert.

Bei der Einführung wirksamer Maßnahmen behindere sich die Koalition gegenseitig, sagt Throm. Die FDP verhindere die Vorratsdatenspeicherung selbst bei der Terrorabwehr, obwohl der Europäische Gerichtshof sie für solche Fälle erlaubt habe. Und die Grünen blockierten flächendeckende Grenzkontrollen zur Abwehr terroristischer Gefährder.

Bundespräsident Steinmeier schaltet sich ein

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte am Sonntag, die Sicherheitsbehörden mit mehr Befugnissen auszustatten. Ein ungewöhnlicher Schritt. Denn normalerweise mischt sich das Staatsoberhaupt in fachpolitische Debatten nicht ein.

Neben mehr Personal für die Sicherheitsbehörden sei möglicherweise auch eine Ausweitung der Befugnisse etwa des Bundeskriminalamts (BKA) denkbar, sagte Steinmeier im ZDF-Interview. „Es gibt ein Gesetzgebungsvorhaben innerhalb der Bundesregierung, die Zuständigkeiten des BKA bei Terrorismusgefahr zu erweitern. Ich glaube, darüber wird man jetzt beschleunigt beraten müssen“, sagte Steinmeier.

Mehr Befugnisse für die Behörden – das versprachen am Sonntag auch SPD-Chef Klingbeil und Innenministerin Faeser, allerdings ohne konkret zu werden. Von einem fertigen Konzept ist die Ampel offensichtlich noch ein gutes Stück entfernt.

Buschmanns Politikansatz sorgt dafür, dass die Sicherheitsbehörden online fast blind sind und ihnen auch im realen Raum oftmals die Hände gebunden sind.

Der SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese kritisiert Justizminister Marco Buschmann (FDP)

SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese forderte insbesondere die Speicherung von IP-Adressen und die Gesichtserkennung zu Fahndungszwecken zur Verhinderung und Aufklärung terroristischer Straftaten. Zudem wünscht sich Wiese endlich ein neues Bundespolizeigesetz und mehr Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen.

Viele dieser Maßnahmen blockiert derzeit Justizminister Buschmann. „Buschmanns Politikansatz sorgt dafür, dass die Sicherheitsbehörden online fast blind sind und ihnen auch im realen Raum oftmals die Hände gebunden sind“, kritisierte Wiese. Zuletzt seien viele Terroranschläge im Vorfeld verhindert worden. Man dürfe sich dabei allerdings nicht immer auf Hinweise von befreundeten ausländischen Diensten verlassen, sagte Wiese.

Merz will Syrer und Afghanen nicht mehr aufnehmen

Für CDU-Chef Merz steht eine rigidere Flüchtlingspolitik bei der Bekämpfung der islamistischen Gefahr im Fokus: „Nach Syrien und Afghanistan kann abgeschoben werden, weitere Flüchtlinge aus diesen Ländern nehmen wir nicht auf“, fordert er. Ausreisepflichtige Straftäter will er in zeitlich unbegrenzten Abschiebegewahrsam nehmen. Flüchtlinge, die in ihr Heimatland reisen, sollen nicht wieder einreisen dürfen. Erneut verlangte Merz flächendeckende Kontrollen an den Grenzen.

Die Biografie des mutmaßlichen Täters dürfte die Debatte um die Flüchtlingspolitik weiter verschärfen. Denn nach Medienberichten vom Sonntag soll der Syrier Al H. im Jahr 2022 nach Deutschland gekommen sein. Er sollte er nach Bulgarien abgeschoben werden, denn dort hatte er die Europäische Union betreten und hätte folglich dort auch seinen Asylantrag stellen müssen. Doch am Tag der Abschiebung fanden die Behörden ihn nicht an. Weil die Abschiebung nach Bulgarien scheiterte, erhielt er laut Medienberichten schließlich subsidiären Schutz in Deutschland.

SPD kritisiert NRW-Landesregierung

SPD-Fraktionsvize Wiese kritisierte die Forderung von Merz, generell keine Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan mehr aufzunehmen, da viele gerade vor dem IS zum Beispiel aus Syrien geflohen seien. Es sei weiter richtig, Menschen, die tatsächlich Schutz nötig hätten, diesen auch zu gewähren, sagte Wiese. Er wiederholte zugleich die Forderung der SPD, Straftäter auch nach Syrien und Afghanistan abzuschieben.

Im Fall der gescheiterten Abschiebung von Issa Al H. nach Bulgarien sieht Wiese allerdings primär ein Versäumnis bei den Behörden in Nordrhein-Westfalen. Hier müsse der christdemokratische NRW-Innenminister Reul jetzt dringend für Aufklärung sorgen.

Während Regierung und Opposition um die richtige Antwort auf Solingen ringen, präsentiert sich die AfD im Wahlkampf als einzige Partei, die solche Anschläge verhindern kann. So warb Thüringens AfD-Chef Björn Höcke mit dem Slogan „Höcke oder Solingen“. CSU-Chef Markus Söder nannte das im ARD-Sommerinterview „unanständig und ekelhaft“.

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