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Petra Sitte (Die Linke), Karl Lauterbach (SPD) und Katrin Helling-Plahr (FDP) streben eine Erleichterung der Sterbehilfe an.

© dpa/Kay Nietfeld

„Niemand muss helfen, aber jeder darf“: Diese Abgeordneten wollen die Sterbehilfe erleichtern

Wer anderen beim Selbstmord hilft, bleibt in Deutschland zwar straffrei – bewegt sich aber in einer rechtlichen Grauzone. Einige Politiker wollen das ändern.

Selbstbestimmung: eines der Wörter, die an diesem Freitagvormittag vom Podium der Bundespressekonferenz am häufigsten zu hören sind. Selbstbestimmung soll für alle gelten, die sich zum Sterben entscheiden; die nicht mehr leben wollen, weil sie beispielsweise den Kampf gegen eine schwere Krankheit verloren haben und ihnen nichts mehr bleibt als die Aussicht auf ein Leben voll Schmerzen, Not und Leid.

Diese Meinung vertreten die Bundestagsabgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP), Karl Lauterbach (SPD) und Petra Sitte (Linke). Die drei wollen die „Suizidhilfe“ in Deutschland neu regeln – mit einem gemeinsamen Gesetzentwurf.

Die Grünen legten diese Woche ebenfalls einen Entwurf vor. Damit kommt wieder Bewegung in die Debatte um die Neuregelung der Suizidhilfe.

„Wir stellen uns mit unserem Entwurf an die Seite derjenigen, die selbstbestimmt sehnlichst sterben möchten“, sagt die FDP-Politikerin Helling-Plahr. Ihre Linken-Kollegin Sitte möchte allen „Menschen, die selbstbestimmt und aus freier Entscheidung heraus sterben möchten, verlässliche und legale Wege dazu eröffnen“.

Bislang findet die Suizidhilfe in Deutschland in einer Art juristischem Vakuum statt. Vor einem Jahr kippte das Bundesverfassungsgericht das 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe.

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„Es hat eindeutig klargestellt, dass es einen gegen die Autonomie gerichteten Lebensschutz nicht geben darf“, sagt Helling-Plahr. Die Karlsruher Richter hatten im Februar 2020 geurteilt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz auch den Anspruch auf einen selbstbestimmten Tod umfasst.

Seither ist Sterbehilfe wie vor dem Verbot 2015 wieder „vollkommen straffrei“ und ohne jede staatliche Regelung, erklärte der SPD-Gesundheitspolitiker Lauterbach. Auch wer gegen Bezahlung Sterbewilligen bei der Selbsttötung hilft, so wie es manche Vereine heute tun, muss nach dem Verfassungsurteil nicht mit rechtlichen Konsequenzen rechnen – selbst dann nicht, wenn es sich bei den Sterbewilligen nicht um Menschen mit unheilbaren Erkrankungen handelt.

Ein Pfleger hält in einem Alten-und Pflegeheim in Düsseldorf die Hand einer Bewohnerin.
Ein Pfleger hält in einem Alten-und Pflegeheim in Düsseldorf die Hand einer Bewohnerin.

© picture alliance / dpa / Oliver Berg

Daran wollen zwar die drei Abgeordneten auch nichts ändern. Doch sie wollen zumindest auf die „Radikalität“ dieser höchstrichterlichen Entscheidung, wie Lauterbach es formuliert, eine Antwort geben und „das Recht auf einen selbstbestimmten Tod legislativ absichern“. Damit soll auch der Bundestag klarstellen, dass Hilfe zur Selbsttötung in Deutschland straffrei bleibt. Sowohl für Menschen, die sich „frei und eigenverantwortlich im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte“ für den Tod entscheiden als auch für jene, die Sterbehilfe zu leisten bereit sind, soll es einen „klaren Rechtsrahmen“ geben.

Die drei Parlamentarier schlagen vor, staatlich anerkannte und finanzierte Beratungsstellen einzurichten, die Sterbewillige ergebnisoffen aufklären und ihnen auch Alternativen zum Freitod aufzeigen. Ärztinnen und Ärzten soll es frühestens zehn Tage nach einer solchen Beratung erlaubt sein, Medikamente zur Selbsttötung zu verschreiben, zum Beispiel das Schlafmittel Natrium-Pentobarbital.

Kein Markt mehr für Sterbehilfevereine?

Bislang ist es vielen Ärzten in Deutschland berufsrechtlich verboten, ihre Patienten und Patientinnen aktiv beim Sterben zu unterstützen. Nach dem Willen der drei Abgeordneten sollen die Ärztekammern ihre Regelungen an den aktuellen Stand der Rechtsprechung anpassen. „Eine Berufsordnung kann keine Untergesetzgebung sein, die den Zugang zu Grundrechten verwehrt“, sagt Sitte. Zugleich stellen die drei Abgeordneten klar, dass es für Medizinerinnen und Mediziner keine Verpflichtung zur Suizidhilfe geben dürfe: „Niemand muss helfen, aber jeder darf“, sagt Helling-Plahr.

Die Öffnung zur ärztlich beaufsichtigten Suizidhilfe soll verhindern, dass sich Menschen in ihrer Verzweiflung zum „Sterbefasten“ gezwungen sehen oder gefährliche Selbstmordversuche unternehmen, die sie möglicherweise schwer behindert zurücklassen. Auch soll das die Aktivitäten der umstrittenen Sterbehilfevereine unterbinden. Ziel sei, „dass dubiosen Anbietern der Markt vollends entzogen wird“, erklärt Helling-Plahr. Lauterbach will die Vereine in einem zweiten Schritt ganz verbieten.

Kritik äußerten die FDP-Politikerin Helling-Plahr und ihre Linken-Kollegin Sitte an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und dessen Umgang mit dem Thema Sterbehilfe. Der hatte im Juni 2018 das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angewiesen, sterbewilligen Patienten den Zugang zum Schlafmittel Pentobarbital „zu versagen“ – obwohl das Bundesverwaltungsgericht die Behörde bereits 2017 verpflichtet hat, in Ausnahmefällen tödlich wirkende Medikamente für leidende Sterbenskranke freizugeben. „Rechtlich höchst fragwürdig“, findet Helling-Plahr Spahns Verhalten. Sitte sagte: „Er ist als Minister darüber hinaus gegangen, was er eigentlich darf.“

Patientenstiftung: „Kein staatliches Suizid-Siegel“

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisiert den Gesetzentwurf von Helling-Plahr, Lauterbach und Sitte: „Dass die Suizidassistenz gegen Bezahlung nicht unter Strafe gestellt wird, ist ein Fehler“, meint Eugen Brysch, Leiter der Stiftung. „Wenn für die organisierte Hilfe zur Selbsttötung bezahlt werden muss, bleibt die Selbstbestimmung des Sterbewilligen auf der Strecke.“ Daran würden auch die vorgeschlagenen staatlichen Beratungsstellen nichts ändern. „Deshalb kann es durch staatliche Beratung kein Suizid-Siegel geben“, so Brysch.

Eine staatliche Beratung fordern auch die Grünen in ihrem Gesetzentwurf, der allerdings unterscheidet, ob die Betroffenen ihren Tod wegen einer schweren Krankheit oder aus anderen Gründen anstreben. Helling-Plahr, Lauterbach und Sitte wollen nun in ihren Fraktionen für ihren Vorschlag werben. Um einen „Gruppenantrag“ in den Bundestag einzubringen, ist die Unterstützung von fünf Prozent der Abgeordneten notwendig. Geht es nach den drei Abgeordneten, einigt sich der Bundestag noch in diesem Jahr auf ein neues Gesetz zur Sterbehilfe.

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