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Palmers Erklärung für den AfD-Wahlerfolg: Junge Menschen sähen sich durch junge Migranten bedroht
Tübingens Oberbürgermeister zufolge ist die durch Migranten ausgehende Gewalt die entscheidende Erklärung für den hohen AfD-Stimmenanteil bei jungen Menschen. Fachleute sehen das anders.
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Die Grünen sind auch am zweiten Tag nach der Europawahl über das schwache Wahlergebnis unter jungen Wählerinnen und Wählern ratlos. Bei Menschen unter 30 gehörte die AfD zu den Parteien mit dem größten Zuspruch. Ein Ex-Grüner, der die Stimmung innerhalb der Partei mit zahlreichen kontroversen Aussagen über Jahren strapazierte, hat dafür eine Erklärung parat.
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, heute parteilos, glaubt, dass junge Menschen bei der Europawahl vor allem deshalb der AfD ihre Stimme gegeben haben, weil sie ihr Leben durch gewaltbereite Migranten gefährdet sähen.
„Bei den jungen Leuten ist das wichtigste Thema Sicherheit“, sagte Palmer bei „Welt TV“. Die Lebensrealität junger Menschen seien: „Disco, Bahnhof, Stadtpark, Schulhof“. Gerade in diese Lebenswelt seien „allein gereiste junge Migranten“ hinzugekommen und brächten Gewalt. „Meine These ist: Gewalt von Migranten, gerade unter jungen, in Deutschland sehr friedfertigen Menschen, ist das Hauptproblem dieser Zielgruppe“, so Palmer. Die Politik tue zu wenig.
Das wahrgenommene Sicherheitsdefizit würde junge Menschen dazu verführen, ihre Stimme solchen Parteien zu geben, „die am ehesten den Eindruck erwecken, als würden sie zuhören bei den Sorgen und Problemen“. Junge Leute würde auch häufig „die Erfahrung machen, wenn ich da zur Polizei gehe, dann wird mir noch vorgehalten, ich sei ein Rassist, denen passiert nichts oder ich habe nachher mehr Probleme, weil die am nächsten Tag wieder vor mir stehen und mir eins in die Fresse dreschen, weil ich sie angezeigt habe.“
Palmer äußerte daher Verständnis dafür, „dass man auch mal eine Stimme in radikaler Weise abgibt“. Auch wenn das schlecht für die Demokratie sei und die AfD keine Antworten habe.
Palmer sieht sich seit Jahren diversen Rassismusvorwürfen ausgesetzt, einer davon gipfelte in seinem Austritt aus der Grünen-Partei. Nachdem er im April 2023 vor einer Konferenz zu Migrationspolitik in einer Auseinandersetzung mit Protestierenden für die Verwendung des N-Worts kritisierte wurde und das mit dem Tragen eines Judensterns verglich, kündigte Palmer eine einmonatige Auszeit an. Im Mai verließ er die Partei, nachdem der Grünen-Landesverband einen Parteiausschluss beantragt hatte.
AfD mit dem größten Stimmenzuwachs unter Jungwähler:innen
Die AfD hat bei den Europawahlen am stärksten unter Jungwählerinnen und Jungwählern gewonnen. Die Partei konnte ihr Ergebnis bei den 16- bis 24-Jährigen um zehn Prozentpunkte steigern und erreichte laut Forschungsgruppe Wahlen 17 Prozent – gleichauf mit CDU/CSU. Die Grünen kommen in dieser Altersgruppe nur noch auf zehn Prozent. Das sind 20 Prozentpunkte weniger als bei der vorherigen Wahl. Die SPD erreicht laut Forschungsgruppe Wahlen nur noch neun Prozent.
AfD-Chef Tino Chrupalla zeigte sich von dem guten Abschneiden der Partei bei den 16- bis 24-Jährigen erfreut. „Wir haben funktionierende Elternhäuser, die Ideologisierung in den Schulen funktioniert nicht“, sagte Chrupalla.
Fachleute sehen Verunsicherung bei Jungen
Palmer verwies bei seinen Aussagen auch auf Jugendstudien, wonach gerade Jugendliche überraschend hohe rechtspopulistische Einstellungen vertreten und migrationsfeindliche Aussagen tätigten: Der Aussage „In Deutschland kann man nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne als Rassist beschimpft zu werden“ stimmen 55 Prozent zu, rund 27 Prozent sind der Meinung, dass die deutsche Gesellschaft vom Islam unterwandert wird. Die Autor:innen der Jugendstudie nennen als wesentliche Ursachen dafür allerdings vor allem eine große Verunsicherung und Unzufriedenheit, gepaart mit wenig Optimismus in der jungen Generation.
„Die globalen Probleme werden ausgeblendet, weil junge Menschen das Gefühl haben, sie könnten sowieso nichts verändern“, sagte der Psychologe Stephan Grünewald dem Tagesspiegel am Montag. Das käme einer fast schon fatalistischen Endzeitstimmung gleich, weil die großen Krisen, Corona oder Klima, so überwältigend seien.
„Die Jugend sehnt sich nach Stabilität“, sagte Grünewald und verweist darauf, dass gerade die AfD eine Rückkehr in die alten vertrauten Verhältnisse der Bundesrepublik verspräche. Thematisch treiben junge Menschen laut der genannten Jugendstudie vor allem soziale und wirtschaftliche Themen um. Angesichts der multiplen Krisen – von Inflation über Armutssorgen bis hin zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine – stößt die AfD mit ihren Aussagen und Schwerpunkten offenbar auf große Zustimmung bei der jungen Generation.
Als weiterer Grund für den AfD-Stimmenzuwachs bei jungen Menschen wird gesehen, dass die Rechtspopulisten Tiktok als einzige Partei seit Jahren strategisch bespielen. Empirisch belegt ist der Zusammenhang zwar nicht. Die AfD verfügt hier allerdings über eine Reichweite, die lange so groß war wie die aller demokratischen Parteien zusammengenommen. „Die AfD punktet auf Tiktok mit ihren sehr einfachen Botschaften“, sagt auch Grünewald.
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