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Reformsehnsucht der Union: Kanzler Merz droht weiter Ärger mit seiner Fraktion
Nur widerwillig hat die Unionsfraktion das Rentenpaket mitgetragen. Viele Abgeordnete wünschen sich tiefgreifende Sozialreformen. Diese Erwartung kann Kanzler Merz absehbar kaum erfüllen.
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So viel Bewegung war selten bei einer Abstimmung im Bundestag. Immer wieder gingen am Freitag Abgeordnete der Jungen Gruppe der Union während der Debatte zum Bundestagspräsidium. Sie gaben persönliche Erklärungen ab, warum sie dem Rentenpaket nicht zustimmen oder dies nur trotz großer Bedenken tun.
Viele dieser Erklärungen enden mit denselben Worten: „Sofern der Gesetzentwurf heute eine Mehrheit findet, wird der Reformbedarf Deutschlands nicht kleiner, sondern größer. Ich werde darauf hinwirken, dass künftig die dringend benötigten Reformen für die Zukunft unseres Landes verabschiedet werden.“
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) darf das als Warnung verstehen. Die von der SPD durchgesetzte Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent wird bis weit in die Zukunft hinein enorme Kosten verursachen. Deshalb fordern große Teile der Unionsfraktion an anderer Stelle Strukturreformen. So wollen sie verhindern, dass die Sozialsysteme für die Wirtschaft, die Beitrags- und Steuerzahler immer teurer werden. Merz braucht deshalb jetzt schnelle Erfolge, um seine Abgeordneten wieder einzufangen.
Bas verspricht große Rentenreform
Das ist auch den Sozialdemokraten bewusst. Sie zeigten sich im Rentenstreit hartleibig. Dabei ging es ihnen auch um ein Stoppsignal. Bei einem Nachgeben gegenüber der Jungen Gruppe befürchteten sie, dass künftig weitere Parlamentariergruppen mit Sperrminorität versuchen könnten, Gesetzesvorhaben zu blockieren. Nach der gewonnenen Abstimmung versucht die SPD-Spitze nun aber, dem Unmut in der Unionsfraktion entgegenzuwirken.
Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) stellte deshalb bereits am Freitagabend weitreichende Reformen bei der Rente in Aussicht. „Es wird nicht reichen, nur an zwei Schräubchen zu drehen, sondern wir brauchen ein ganz neues System“, sagte Bas in den ARD-„Tagesthemen“. Es müssten „alle Vorschläge auf den Tisch“, vom Renteneintrittsalter bis zum Kreis der Einzahlenden.
Wir gehen mit vollem Optimismus in diese Rentenkommission. Ich bin überzeugt, dass wir 2026 auch eine Reform liefern können.
Marc Biadacz, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion
In der Union werten manche das als Bekenntnis von Bas, die Reformvorschläge der Rentenkommission, die noch vor Weihnachten loslegen soll, auch umzusetzen. An dieser Bereitschaft gab es in der Fraktion noch vor einigen Tagen erhebliche Zweifel.
„Wir gehen mit vollem Optimismus in diese Rentenkommission“, sagte nun der arbeitspolitische Sprecher, Marc Biadacz (CDU), dem Tagesspiegel. „Ich bin überzeugt, dass wir 2026 auch eine Reform liefern können.“
Beim Bürgergeld droht erneut Ärger
Für den Koalitionsfrieden entscheidender sind jedoch andere Projekte, bei denen kurzfristig Entscheidungen anstehen. Besonders genau wird die Junge Gruppe auf den Gesetzentwurf zur Reform des Bürgergeldes schauen. Ihn will das Bundeskabinett noch vor den Weihnachtstagen beschließen.
Klar ist: Das Bürgergeld soll durch die neue Grundsicherung ersetzt werden, künftig soll es schärfere Sanktionen für arbeitsunwillige Langzeitarbeitslose geben. Im ersten Schritt ist eine Reduktion der Leistungen um 30 Prozent möglich, bei mehrmaligen Verstößen können sie komplett gestrichen werden. Merz persönlich gingen Bas’ Vorschläge jedoch nicht weit genug.

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Seit Oktober verhandeln Kanzleramt und Arbeitsministerium deshalb unter Einbindung der zuständigen Fraktionsvizes von Union und SPD über viele strittige Details. Aufgrund dieser intensiven Verhandlungen sei er optimistisch, „dass aus dem Kabinett etwas Gutes herauskommt“, sagte Marc Biadacz.
Viele Mitglieder der Jungen Gruppe könnten das anders sehen. Denn Merz hat bei der Reform des Bürgergeldes Erwartungen geweckt, die er kaum erfüllen kann. Noch schärfere Sanktionen, wie sie Teile der Union fordern, möchten die Sozialdemokraten etwa nicht mittragen. Denn gegen eine weitere Verschärfung sprechen verfassungsrechtliche Bedenken.
In der SPD läuft außerdem ein Mitgliederbegehren gegen die Abschaffung des Bürgergeldes. Arbeitsministerin Bas hat auf dem Juso-Bundeskongress zuletzt deutlich gemacht, dass sie die von ihr vorgeschlagenen Sanktionsverschärfungen ohnehin nur mit Bauchschmerzen mitträgt.
Merz versprach zudem, dass durch die Reform fünf Milliarden Euro jährlich eingespart werden können. Im Gesetzentwurf von Bas ist nur von 100 Millionen Euro die Rede. Eine Einsparung in Milliardenhöhe wäre nur möglich, wenn wegen der schärferen Regeln deutlich mehr Bürgergeldbezieher in Arbeit kämen. Doch eine neue Bertelsmann-Studie hat gezeigt, dass eine Mehrheit von ihnen gar keinen Job sucht – unter anderem wegen psychischer oder chronischer Erkrankungen.
Notlösung bei den Krankenkassen
Erster Härtetest für die Reformbereitschaft von Schwarz-Rot ist der Koalitionsausschuss am Mittwoch, bei dem die Spitzen von CDU, CSU und SPD ein Sparpaket im Gesundheitswesen beschließen müssen. Nur dann können die Krankenkassenbeiträge wie von Merz versprochen im nächsten Jahr stabil bleiben.
Ein erster Versuch von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) war zuvor gescheitert. Um die Krankenkassen zu entlasten, wollte sie den Krankenhäusern im kommenden Jahr 1,8 Milliarden Euro weniger auszahlen. Konkret schlug Warken eine Streichung der sogenannten Meistbegünstigungsklausel vor. Sie erlaubt es den Kliniken unter bestimmten Voraussetzungen, höhere Personalkosten abzurechnen, als ihnen tatsächlich entstanden sind.
Doch die Länder trugen Warkens Vorschlag nicht mit, weil sie fürchten, dass dadurch noch mehr notleidende Krankenhäuser in die Insolvenz rutschen könnten. Ende November schickten sie Warkens Sparpaket in den Vermittlungsausschuss.

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Seitdem wird zwischen Bund und Ländern fieberhaft eine Lösung gesucht. Die SPD schlug vor, nicht nur bei den Kliniken zu sparen, sondern auch bei den Honoraren für Fachärzte und den Zahlungen für Medikamente an die Pharmaindustrie. Doch beides will die Unionsseite nach derzeitigem Stand nicht mittragen.
Im Raum steht deshalb nun ein halbgarer Kompromiss. Demnach würden die Kliniken im kommenden Jahr zwar 1,8 Milliarden Euro weniger für ihre Personalkosten erhalten. Ab 2027 würden die Krankenhäuser dafür aber vollständig kompensiert, indem die Kassen ihnen mehr für die Behandlung von Patienten zahlen. Die Sparanstrengungen im Gesundheitssystem würden damit also weiter in die Zukunft verschoben.
Ein Beweis für die Reformbereitschaft der schwarz-roten Koalition wäre das nicht.
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