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„Rutschbahn in einen Dritten Weltkrieg“ : Die Freigabe der Waffen durch den Kanzler polarisiert die deutsche Politik
Kanzler Scholz hat mit Amerikanern, Briten und Franzosen entschieden, dass die Ukraine mit den gelieferten Waffen auch Russland angreifen darf. Die Reaktionen könnten kaum unterschiedlicher sein.
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Der Kurswechsel hat sich in den vergangenen Tagen abgezeichnet, nun ist er offiziell vollzogen: Das ukrainische Militär darf die von Deutschland gelieferten Waffensysteme auch zu Angriffen gegen Basen und Stellungen auf russischem Territorium nutzen, von wo aus das Land attackiert wird. Das geht aus einer Erklärung von Regierungssprecher Steffen Hebestreit hervor, die am Freitagvormittag verbreitet wurde.
Vorausgegangen waren Gespräche mit Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten auf Ebene der nationalen Sicherheitsberater am Mittwoch und Donnerstag. In denen war über die veränderte militärische Lage beraten worden, da „insbesondere im Raum Charkiw von Stellungen aus dem unmittelbar angrenzenden russischen Grenzgebiet heraus Angriffe vorbereitet, koordiniert und ausgeführt“ würden, wie es in der Mitteilung heißt.
Offizielle Erklärung zum Waffeneinsatz gegen Russland
„Gemeinsam sind wir der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht hat, sich gegen diese Angriffe zu wehren“, so Hebestreit in der Erklärung weiter: „Dazu kann sie auch die dafür gelieferten Waffen in Übereinstimmung mit ihren internationalen rechtlichen Verpflichtungen einsetzen; auch die von uns gelieferten.“
Wie in Berlin zu hören ist, kommen zur Erwiderung der Angriffe aus dem russischen Grenzgebiet vor allem die fünf Mehrfachraketenwerfer vom Typ Mars II sowie die 14 gelieferten Panzerhaubitzen 2000 infrage. Beide verfügen über vergleichsweise große Reichweiten, weshalb sie selbst nicht zu nah an der Grenze in Stellung gebracht werden müssen, wo die Waffensysteme einem größeren Risiko der Zerstörung durch russische Angriffe ausgesetzt wären.
Russland hat die Politik, dass mit Waffen des Westens keine militärischen Ziele in Russland angegriffen werden dürfen, zu einer Kriegstaktik benutzt.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen begrüßt Scholz’ Entscheidung
Am Vorabend hatte bereits ein hochrangiger amerikanischer Beamter bestätigt, dass US-Präsident Joe Biden entsprechende Beschränkungen des Waffeneinsatzes aufheben wolle. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Hebestreit hatten im Verlauf der Woche eine Veränderung der bisherigen Linie zwar mehrfach angedeutet, aber noch nicht offiziell bestätigt.
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Am Rande des Nato-Außenministertreffens in Prag soll Annalena Baerbock nach Angaben aus Delegationskreisen „viel Zuspruch für die Position der Bundesregierung bekommen“, dass die Ukraine die aus Deutschland gelieferten Waffen „zur Verteidigung von Charkiw auch gegen Angriffe einsetzen kann, die von russischem Territorium ausgehen“.
„Die Entscheidung des Bundeskanzlers ist richtig und verdient Unterstützung“, sagte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen dem Tagesspiegel: „Russland hat die Politik, dass mit Waffen des Westens keine militärischen Ziele in Russland angegriffen werden dürfen, zu einer Kriegstaktik benutzt.“ So würden von Stellungen direkt hinter der Grenze pausenlos zivile Ziele und ganze Städte in der Ukraine bombardiert. Völkerrechtlich habe das Recht der Ukraine, sich dagegen zu wehren, „ohnehin nie in Zweifel“ gestanden.
„Während Putin bisher vom ersten Tag des Angriffs auf die Ukraine das Völkerrecht gebrochen hat“, so Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) zu demselben Punkt, „hat die Ukraine sich nie so wehren dürfen, wie das Völkerrecht es ihr eigentlich erlaubt.“ Die Entscheidung des Kanzlers komme zwar spät, dadurch werde das „unfaire Missverhältnis endlich aufgehoben“.
Linke kritisieren Entscheidung der Bundesregierung
Als „brandgefährlich und unverantwortlich“ bezeichnete Sevim Dagdelen, die Bundestagsabgeordnete des Bündnis Sahra Wagenknecht, die Entscheidung auf dem Kurznachrichtendienst X. Ähnlich äußerte sich die Linken-Vorsitzende Janine Wissler gegenüber dem Tagesspiegel: „Mit der Freigabe deutscher Waffen für Angriffe auf Russland überschreitet Olaf Scholz eine Linie, die niemals hätte überschritten werden dürfen.“
Scholz, der sich gerne als ‚Friedenskanzler’ darstelle, sei mit der gesamten Bundesregierung, so Wissler weiter, „auf einen Weg abgebogen, der eine enorme Eskalationsgefahr bedeutet und schlimmstenfalls die Rutschbahn in einen Dritten Weltkrieg sein kann“.
Ich sehe darin jedoch kein Abrücken des Kanzlers von seiner besonnenen Linie.
Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner
Dagegen signalisierte der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner, der in der Ukraine-Politik ebenfalls immer wieder vor der Eskalationsgefahr gewarnt hatte, Unterstützung für Scholz’ Entscheidung. „Diese Einzelfallentscheidung in Absprache mit unseren Verbündeten ist wegen der militärischen Lage in Charkiw verständlich“, sagte er dem Tagesspiegel: „Ich sehe darin jedoch kein Abrücken des Kanzlers von seiner besonnenen Linie.“
Erst am Vorabend hatte sich Scholz erneut klar gegen andere weitergehende Forderungen zur Unterstützung der Ukraine ausgesprochen und etwa Bodentruppen oder die Errichtung einer Nato-Flugverbotszone ausgeschlossen.
Stegner kritisierte in diesem Zusammenhang jene Bundestagskollegen, die Scholz in den vergangenen Tagen zu einem Kurswechsel in der Frage aufgefordert hatten: „Ich halte nach wie vor nichts von der öffentlichen Erörterung bilateraler militärstrategischer Absprachen oder diesbezüglichen Aufforderungen an den Kanzler aus dem Parlament.“
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