
© Jan Lamers/privat
Rufmordkampagne gegen Berliner Journalisten: Weshalb Nicholas Potter so angefeindet wird
Mit Drohungen und bösartigen Lügen versuchen Aktivisten, einen Journalisten aus Berlin zu mobben. Eine russlandnahe Internetplattform hat daran Anteil.

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Inzwischen gibt es sogar Aufkleber. Man findet sie in verschiedenen Teilen der Stadt, sie kleben an Laternenmasten oder Ticketautomaten. Die Aufkleber zeigen das Gesicht von Nicholas Potter, darüber steht in großen Buchstaben: „The German Hurensohn“.
Diese Aufkleber stellen einen neuen, vorläufigen Höhepunkt einer Rufmordkampagne gegen den Berliner Journalisten Nicholas Potter dar. Es handelt sich um den Versuch, ihn aus Berlin rauszumobben.
Dass Pressevertreter zunehmend Ziel von Hass und Hetze werden, haben wir im Tagesspiegel wiederholt berichtet. Doch die Heftigkeit und Niedertracht dieser Kampagne überrascht auch mich.
Es begann kurz vor Weihnachten mit einer Reihe von Falschbehauptungen, die die russlandnahe Plattform „Red“ im Netz über Potter verbreitete.
Sogar die US-Regierung warnte vor „Red“
Die Plattform, die von Berlin aus operiert, ist nach Tagesspiegel-Recherchen direkte Nachfolgerin des Propagandamediums „Redfish“, das sich im Besitz von Russlands Staatsmedien befand, wie meine KollegInnen hier und auch hier dokumentiert haben.
Red bestreitet dies. Die US-Regierung warf Russland im vergangenen Jahr sogar explizit vor, mithilfe von „Red“ verdeckte Einflussnahme zu betreiben.
Nach den Attacken von „Red“ gegen Nicholas Potter stiegen diverse Aktivisten in die Kampagne ein, verbreiteten nicht bloß die Falschbehauptungen von „Red“ weiter, sondern erfanden weitere, noch absurdere Lügen.
Vermutlich taten und tun sie dies in der Hoffnung, dass zumindest ein paar Internetnutzer auf sie hereinfallen, also die Behauptungen nicht überprüfen und zumindest im Hinterkopf behalten, dass mit diesem Herrn Potter irgendetwas nicht stimmen kann.
Potter berichtet über Rechtsextremismus und Antisemitismus
Ich kenne Nicholas Potter, weil ich ihn einmal für den Tagesspiegel interviewte und dabei als klugen, extrem reflektierten Menschen erlebt habe.
Gemeinsam mit Stefan Lauer hatte er damals das Buch „Judenhass Underground“ veröffentlicht, das präzise beschreibt, wie sich Antisemitismus in unterschiedlichen Subkulturen ausbreitet.
Später schrieb Potter einige Texte für den Tagesspiegel, inzwischen ist er Redakteur bei der „taz“. Was er dort in kurzer Zeit geleistet hat, ist wirklich beeindruckend.
Potter recherchiert sorgfältig, berichtet ausgewogen und immer kenntnisreich. Zu seinen Schwerpunkten zählt die Berichterstattung über Rechtsextremismus und Antisemitismus in all seinen Formen – eben auch solchen, der sich als „Antizionismus“ tarnt.
Es wird versucht, einen Journalisten zum Schweigen zu bringen und dadurch objektive Berichterstattung zu unterdrücken.
Sebastian Leber, Tagesspiegel-Reporter
Zivilgesellschaftliche Vereine und Experten schätzten Potter sehr für seine Arbeit. Doch gerade seine Berichte über Judenhass in der Linken machten Potter zur Zielscheibe.
Vor einigen Monaten habe ich eine seiner Lesungen aus „Judenhass Underground“ besucht. Diese müssen regelmäßig unter Polizeischutz stattfinden.
Wer Potter erlebt, dem fällt auf, dass dieser Mann kein Sprücheklopfer ist und niemals polemisch wird, sondern in seinen Ausführungen angenehm leise sowie stets um Fairness und Sachlichkeit bemüht ist. Dies spiegelt sich auch in seinen Texten wider.
Sie werfen ihm Beiträge in der „Jüdischen Allgemeinen“ vor
Umso schockierender sind die Vorwürfe, die das russlandnahe „Red“ über ihn verbreitet. Es stellte etwa die Vermutung auf, Potter sei „so gut in Genozid-Propaganda“, dass er in Israel angeheuert worden sei.
Die Wahrheit ist: Dank des Austauschprogramms IJP (Internationale Journalisten-Programme) durfte Potter ab Dezember zwei Monate lang in der Redaktion der „Jerusalem Post“ mitarbeiten.
Solche Austauschprogramme und Stipendien sind im Journalismus absolut üblich, Dutzende meiner Tagesspiegel-Kollegen durften solche Auslandserfahrungen machen. Nur bei Potter sind sie Anlass für eine Rufmordkampagne.
„Red“ wirft Potter weiterhin vor, dass er auch Beiträge für die Zeitung „Jüdische Allgemeine“ verfasst und für die „Amadeu Antonio Stiftung“ gearbeitet hat. Deren Ziel ist es, die demokratische Zivilgesellschaft zu stärken und Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus einzudämmen. Potters Feinde halten das für einen Skandal. Eigentlich ist damit alles gesagt.
Trotzdem verwundert es, dass ausgerechnet Nicholas Potter Ziel einer so aggressiven Desinformationskampagne geworden ist. Ich vermute, hierfür gibt es mehrere Gründe.
Seine enorme Reichweite ist seinen Feinden unlieb
Erstens arbeitet Potter für die taz, eine dezidiert linke Zeitung. Es ist nachvollziehbar, dass linke Antisemiten nicht wollen, dass ein Journalist in einer linken Tageszeitung so deutlich Antisemitismus von links benennt. Diese Personen haben kein Interesse daran, dass ihr eigenes Milieu erfährt, was sie unter dem Deckmantel vermeintlich linker Politik so treiben.
Zweitens hat Potter es gewagt, kritisch über „Red“ zu berichten, sowohl in der „taz“ als auch in der „Jerusalem Post“.
Drittens ist er englischer Muttersprachler. Während ich zum Beispiel nur auf Deutsch schreibe und meine Texte im Netz außerhalb der deutschsprachigen Bubble keine Rolle spielen, berichtet Potter für den britischen „Guardian“ und die israelische Zeitung „Haaretz“, er wird von der BBC interviewt und in der „New York Times“ zitiert.
Nun ist er auch noch Korrespondent für das schwedische Magazin „Stiftelsen Expo“ und berichtet dort über Rechtsextremismus in Deutschland. Diese enorme Reichweite ist seinen Feinden unlieb.
Hetzer diffamieren Potter als „menschenverachtenden Rassisten“
Wahrscheinlich hat ihn auch sein Buch „Judenhass Underground“ zum Hassobjekt gemacht. Denn die darin enthaltenen Einblicke, auf welche Arten Antisemiten versuchen, in tendenziell linken Subkulturen Fuß zu fassen, hat es so bislang nicht gegeben. Wer es noch nicht gelesen hat: Ich kann das Buch sehr empfehlen.
Die Hetzer diffamieren Potter als „menschenverachtenden Rassisten“, wünschen sich, dass er ermordet wird. Ich hoffe, dass sein Arbeitgeber, die „taz“, Potter nach Kräften unterstützt und dass die Redaktion ihre eigenen Mitarbeiter genauso resolut gegen Extremisten verteidigt, wie es meine tut.
Die Kampagne gegen Nicholas Potter gibt mir sehr zu denken. Es ist ein Fall, in dem systematisch versucht wird, einen Journalisten mit aggressiven, teils kriminellen Methoden zum Schweigen zu bringen und dadurch objektive Berichterstattung zu unterdrücken.
Inspiriert ausgerechnet durch Falschbehauptungen einer russlandnahen Plattform, vor der selbst die US-Regierung gewarnt hat.
Ich denke, das dürfen sich ein Rechtsstaat und auch eine Zivilgesellschaft nicht bieten lassen. Ganz besonders geht dieser Fall auch alle Journalisten an.
Denn wenn solch eine Hetzkampagne Erfolg hat, wird es Nachahmer geben.
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