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Shimon Stein: "Saudi-Arabien hat die eigentliche Bedrohung erkannt"

Israels Botschafter Shimon Stein über Angela Merkels Nahostreise, den Friedensprozess, Gespräche mit Syrien und das lasche Vorgehen der Europäer gegen Iran.

Herr Botschafter, heute tagt das Nahost-Quartett in New York, am Samstag reist Kanzlerin Angela Merkel in den Nahen Osten und auch die US-Regierung scheint sich wieder für den israelisch-palästinensischen Konflikt zu interessieren. Gibt es tatsächlich das "Zeitfenster für den Friedensprozess", von dem Merkel spricht?

Hat sie das gesagt?

Ja, als der jordanische König zu Besuch war.

Wie oft haben wir schon das Wort vom "Fenster der Möglichkeiten" gehört! Aber es ist wahr, der Nahe Osten ist im Moment in Bewegung. Die so genannten Gemäßigten in der arabischen Welt haben verstanden, dass sie einem anderen Lager gegenüberstehen, den Extremisten. Im innerpalästinensischen Konflikt spiegelt sich die Großwetterlage wider: auf der einen Seite der Iran, in einer Allianz mit Syrien, die Hisbollah im Libanon, und die Hamas. Auf der anderen Seite stehen die Gemäßigten, bei den Palästinensern vertreten durch Abbas. Israel ist bereit, Abbas zu helfen. Dazu kommt das Quartett mit den Amerikanern, bei denen die Bereitschaft zum Ausloten auch vorhanden ist. Deshalb, glaube ich, kann man durchaus von einem "Fenster der Möglichkeiten" reden.

Hat sich also das Paradigma geändert? Die politische Großwetterlage hängt nicht mehr von der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts ab, sondern umgekehrt: Eine andere Großwetterlage wirkt sich positiv auf den Konflikt aus.

In der arabischen Welt, aber auch in Europa gibt es viele, die sagen: Wenn Israel Frieden mit den Palästinensern schließt, werden sich auch alle anderen Probleme in der Region friedlich lösen lassen. Doch inwiefern hat die Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts Auswirkungen auf die Lage im Libanon? Auf die hegemonialen Ansprüche des Irans und die Nuklearisierung des Landes? Das Axiom stimmt einfach nicht, dass die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts die Grundbedingung für die Beilegung von anderen Konflikten darstellt. Das hat der Libanonkonflikt besonders deutlich gemacht. Früher war von der Einheit der arabischen Welt die Rede. Blickt man heute auf diese Welt, dann sehen sie den Paradigmenwechsel. In der Vergangenheit haben etwa die Saudis mit wenigen Ausnahmen nie die Initiative in der arabischen Welt ergriffen. Heute sieht man die Saudis an allen Fronten aktiv, sie üben sogar Kritik an Syrien. Denn für die Saudis ist eine neue Bedrohung entstanden: die iranische. Die Gemäßigten in der arabischen Welt haben heute die eigentliche Bedrohung erkannt.

Die Großwetterlage mag günstig sein, aber die Palästinenser stehen kurz vor dem Bürgerkrieg und Israels Regierung ist, durch den Libanonkrieg und Skandale, geschwächt. Sind beiden Seiten im Moment überhaupt handlungsfähig?

Die Lage bei den Palästinensern ist in der Tat kompliziert. Innerhalb des palästinensischen Lagers findet eine Auseinandersetzung statt zwischen Abbas, der für die Vision von zwei Staaten eintritt, und der Hamas, die nicht für eine politische Lösung eintritt. Abbas beharrt darauf, dass eine nationale Einheitsregierung die drei Bedingungen des Quartetts - Existenzrecht Israels, Abschwörung des Terrors und Übernahme der Verträge - erfüllt. Das Quartett sollte sich klar auf seiner Seite positionieren. Die Staatengemeinschaft sollte sich hinter ihn stellen und ihre Verpflichtungen erfüllen, ohne Kompromisse. Israel hat bereits Geld gegeben, 100 Millionen, um Abbas in dieser Auseinandersetzung zu stärken, und wir haben vor, das weiter zu tun. Wir müssen Abbas in die Lage versetzen, den Palästinensern sagen zu können: Ihr habt eine bessere Option als jene, die Euch die Hamas anbietet. Was die Lage in Israel angeht, sollte man nicht vergessen, dass Ministerpräsident Olmert, auch wenn seine Umfragewerte derzeit so sind wie sie sind, in der Knesset eine komfortable Mehrheit für seine Vision genießt. Die Stunde der Entscheidungen ist noch nicht gekommen. Wir wollen den Prozess in Gang setzen. Und für diesen Prozess ist die israelische Regierung im Moment handlungsfähig genug.

Syrien ist auch ein Störfaktor zwischen Israelis und Palästinensern und unterstützt den extremen Flügel der Hamas, dessen Führer in Damaskus sitzt. Der deutsche Außenminister möchte Syrien aus der Allianz mit Iran herausbrechen. Warum sollte Berlin nicht mit Damaskus reden, um Syrien zu mehr Kooperation zu bewegen?

Syrien bleibt aus israelischer Sicht ein Nachbar, an dieser Realität kann niemand vorbei. Und es bleibt das strategische Interesse Israels, Frieden mit den Nachbarn zu schließen, mit denen es bisher keinen solchen Vertrag gibt. Die Frage ist, ob Syrien heute eine Politik betreibt, die die Bereitschaft zu einem ernsten Friedensprozess erkenne lässt. Nichts weist in diese Richtung. Syrien spielt keine besonders konstruktive Rolle im Konflikt mit den Palästinensern, Syrien unterstützt die Hisbollah im Libanon finanziell, politisch und militärisch. Syrien leistet auch keinen Beitrag zur Implementierung der UN-Resolution 1701, deren Ziel unter anderem die Entwaffnung der libanesischen Milizen ist. Wir sind besorgt über den Waffenschmuggel in den Libanon über die syrische Grenze, diese Lücke muss geschlossen werden. Aber auch Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien sind besorgt über die Kooperation zwischen Syrien und Iran. Auch diese moderaten Staaten denken nicht, dass Hofierung von Damaskus durch die Europäer in ihrem Interesse ist. Ein Minimum an Vertrauen ist die Vorraussetzung eines jeden diplomatischen Prozesses. Außenminister Steinmeier war in Damaskus und ich habe weder aus der Presse noch aus Gesprächen entnommen, dass er mit positiven Eindrücken zurückkam.

Wenn aber die israelische Presse liest, hat man den Eindruck, dass es viele gibt, die bereit wären, mit Syrien in Verhandlungen über den Golan zu treten. Sind es nicht die Amerikaner, die die israelische Regierung bremsen?

Das höre ich immer wieder. Man sollte aber nicht vergessen, dass alle israelischen Ministerpräsidenten der 90er Jahre, von Rabin, über Peres, Netanjahu und Barak, zunächst die syrische Option ausgelotet haben. Israel kann es sich innenpolitisch kaum erlauben, zwei große Verhandlungen, die mit großen Zugeständnissen verbunden sind, gleichzeitig zu führen. Deshalb haben wir damals immer zuerst die syrische Option versucht, ohne Erfolg. Heute fordern die Israelis und die übrige Welt eine Konzentration auf den palästinensischen Konflikt. Der hat heute für uns eine größere Priorität als der mit Syrien. Die Zweistaaten-Vision bleibt auch für uns bestimmend und wir wollen mit Abbas auf der Basis der Road map vorankommen.

Ist es kontraproduktiv, wenn andere statt Israel mit Syrien reden, vor ein paar Wochen war etwa Ex-Kanzler Schröder bei Assad in Damaskus, oder kann das eine begleitende Maßnahme sein?

Eine glaubwürdige Politik kann nur gelingen, wenn der Gegner weiß, was er zu tun hat - und dass er nicht mit normalen Beziehungen rechnen kann, solange er das nicht tut. Außenminister Steinmeier hat versucht, eine Botschaft zu überbringen und mir scheint, dass damit keinen Erfolg hatte.

Mit der Hamas verhält es sich ähnlich: unter Druck bewegt sie sich. Aber wenn man eine Entscheidung trifft, die dann von manchen nicht mitgetragen wird, ist eine solche Politik zum Scheitern verurteilt. Die Europäer müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie, wenn sie Entscheidungen treffen, auch die Geduld aufbringen müssen, politische Prozesse reifen zu lassen. Wenn die andere Seite sich nach zwei Monaten noch nicht bewegt hat, dann kann man nicht sagen, wenn die sich nicht bewegen, obwohl wir klare Bedingungen gestellt haben, dann bewegen wir uns eben. Solch ein Mechanismus ist erkennbar bei Syrien, so etwas ist erkennbar bei manchen in Sachen Hamas und auch gegenüber Iran.

Die Amerikaner fordern, dass die Europäer bilateral mehr Druck auf Iran ausüben etwa in finanziellen Fragen oder bei staatlichen Exportbürgschaften.

Manche Europäer, auch die Kommentatoren in der Presse, warnen vor der militärischen Option. Alle, auch die gemäßigten in der Region, warnen vor den Auswirkungen eines nuklearisierten Iran für den Mittleren Osten. Wir sind uns also über die Gefahren im Klaren. Der Preis, den wir heute bezahlen müssen, um den Weg wirtschaftlicher, finanzieller und politischer Sanktionen zu gehen, ist viel niedriger als der Preis, den wir bezahlen werden, wenn Iran am Ende die Atombombe hat. Wer also gegen eine militärische Option ist, muss bereit sein, Opfer zu bringen und alles zu tun, um den Iran unter Druck zu setzen. Nur so kann es zu einem Umdenken dort kommen, dessen erste Ansätze man heute schon sehen kann. So stellt etwa Rafsandschani, der alles andere als gemäßigt ist, die Klugheit der Politik von Achmadinedschad in Frage. Der Iran ist verwundbar. Er bezieht 85 Prozent seiner Einnahmen aus Ölexporten, und da andere bereit sind, diese etwas mehr als 3 Millionen Barrel pro Tag zu ersetzen und Iran heute schon Schwierigkeiten hat bei der Abwicklung seiner Transaktionen, kann ein weiteres Anziehen der Schrauben zum Erfolg führen. So viel Zeit haben wir aber nicht mehr. Ägypten überlegt sich schon eine nukleare Option und will ein Atomkraftwerk bauen, auch der jordanische König spricht darüber und die Emirate haben bei der Internationalen Atomenergiebehörde angefragt, wie sie einen Prozess starten können. Mich würde es auch nicht wundern, wenn Saudi-Arabien in Pakistan anruft, das sie finanziell stark unterstützt haben, und sich so ein paar Bomben beschafft. Wie würde sich ein solch nuklearisierter Naher Osten auch auf Europa auswirken? Deshalb glaube ich, dass sich alle Anstrengungen lohnen, solch ein Szenario zu verhindern.

Was heißt das konkret?

Es bedeutet, mehr im wirtschaftlichen und finanziellen Bereich zu tun als jetzt. Die Resolution des UN-Sicherheitsrates sollen implementiert werden, aber man sollte darüber hinausgehen. Denken sie nur daran, wie lange es gedauert hat, bis der Weltsicherheitsrat sich auf diesen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen konnte. Der politische Prozess geht einfach sehr langsam voran. Die Europäer haben ihn 2003 begonnen. Das erste Angebot - abgelehnt. Ein zweites - abgelehnt. Dann kam es zu einer UN-Resolution, die der Iran nicht erfüllt hat, dann kam die zweite, deren Frist Mitte Februar abläuft. Nun hört man schon Stimmen, die sich fragen, wie man den Iranern entgegenkommen kann. Der Onus liegt bei Iran und die Sprache der UN-Resolution ist ganz klar, Iran muss drei Bedingungen erfüllen: Die volle Suspendierung, eine intensive Inspektion durch die Atomenergiebehörde und dann muss Iran alle Fragen glaubwürdig beantworten, auf die es bisher noch nicht geantwortet hat. Deshalb glaube ich, dass es nichts zu verhandeln gibt, solange Iran nicht auf die Bedingungen der Staatengemeinschaft eingeht.

Teil der Isolierungstrategie gegenüber Iran ist auch eine Resolution, die die Amerikaner letzte Woche in die UN-Generalversammlung eingebracht haben und die die Leugnung des Holocaust verurteilt. Es wird von verschiedener Seite argumentiert, es müsse ein zweiter Holocaust verhindert werden, ein iranischer Atomangriff auf Israel. Halten sie so ein Szenario für wahrscheinlich oder sollte man das sensible Thema Holocaust nicht getrennt halten von der Frage, wie umgehen mit Irans Atomprogramm?

Wir haben das nicht auf die Agenda gesetzt, die Staatengemeinschaft hat nur reagiert auf etwas, was für uns, für die Europäer, die Amerikaner und manche andere ein Problem aufwirft. Es gibt manche, die Achmadinedschad und sein Regime abtun und sagen, das seien nur Worte. Dazu gehöre ich nicht, weil Achmadinedschad ja tatsächlich eine Weltanschauung hat und sich anschickt, sie zu implementieren. Dazu kommt der Aufruf, Israel von der Landkarte zu tilgen. Die Shoa-Leugnung ist ein Schritt, um den jüdischen Staat in der arabischen und islamischen Welt und darüber hinaus weiter zu delegitimieren. Die internationale Presse hat die Holocaust-Leugner-Konferenz aufmerksam verfolgt, sie wurde so zum Thema. Das macht Achmadinedschad in der arabischen und islamischen Welt sehr beliebt. Und für seine Mission bereitet er auch die Raketenträger vor, die die Atomsprengköpfe tragen könnten. Wollen sie diesem Regime theoretisch eine Option in die Hände geben und uns Israelis abhängig machen vom guten Willen eines Achmadinedschad und seiner Pasdaran, die jede Minute entscheiden könnten, dass es am Ende nur 7 Millionen Israelis sind und selbst wenn sie zurückschlagen und ein paar Millionen Iraner dabei umkommen, könnte es das für sie vielleicht wert sein?

Sie glauben nicht daran, dass man einen nuklearen Iran erfolgreich eindämmen könnte?

Der Zeitabläufe, in denen Leute wie Hamas und die Radikalen im Iran denken, sind andere als bei uns im Westen. Wir drängen auf schnelle Konfliktbeilegung, auf Problemlösungen. Bei denen arbeitet die Uhr anders. Deshalb sagt die Hamas, wir müssen jetzt nicht unbedingt eine politische Lösung herbeiführen, selbst wenn es uns erst in 100 Jahren gelingt, wir haben ja Zeit. Ähnlich denken auch religiös motivierte Ideologen im Iran: Um das jüdische Problem aus der Welt zu schaffen, bin ich bereit, auch ein paar Iraner zu opfern. Das hat sinngemäß übrigens auch Rafsandschani vor ein paar Jahren so gesagt. Die Frage einer zweiten Shoa muss also im größeren Zusammenhang gesehen werden, es passt zu einem Konzept, und das macht das ganze so besorgniserregend für uns und alle anderen.

Sie haben gesagt, es gibt Maßnahmen, die wir noch ergreifen können, einen kleinen Preis, den wir wirtschaftlich und politisch bezahlen müssen, um Druck auf Iran auszuüben. Wenn das nicht passiert und es einfach so weiter geht, wie lange wird Israel sich das anschauen wollen.

Wir sind uns der Gefahr bewusst und wir behalten uns die volle Handlungsfreiheit vor, um unseren nationalen Interessen nachzukommen.

Das Interview führten Moritz Schuller und Clemens Wergin ()

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