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Haben Angehörige etwa von Krebs-Toten nicht dasselbe Maß an Anteilnahme verdient? Schmecken deren Tränen anders?

© Rolf Vennenbernd/dpa

Kirche und Staat gedenken der Corona-Opfer: Sind im Tod nicht alle Menschen gleich?

Der Toten zu gedenken ist ein zivilisatorisches Ritual. Doch Corona ist weder eine Naturkatastrophe noch ein Verbrechen. Es ist eine Krankheit. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

Etwas stimmt nicht an diesen Plänen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will am 18. April mit einer staatlichen Trauerfeier in Berlin der Opfer der Corona-Pandemie gedenken. Zuvor wollen die beiden christlichen Kirchen mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche dasselbe tun. Hinterbliebene der Corona-Toten sollen zu Wort kommen. Aber sind im Tod nicht alle Menschen gleich?

Jedes Jahr sterben in Deutschland rund eine Million Menschen, ein Drittel davon an Herz-Kreislauf-Erkrankungen (im Jahr 2019 waren es 331.211), ein Viertel an Krebs (239.591). Das sind die mit Abstand häufigsten Todesursachen. An Corona sind bislang rund 70.000 Menschen in Deutschland gestorben. Warum werden diese Opfer mit Gottesdienst und Staatsakt gewissermaßen herausgehoben?

Der Toten zu gedenken ist ein elementares zivilisatorisches Ritual. Staatlicher- und kirchlicherseits wird es traditionell am Volkstrauertag und Totensonntag vollzogen. Üblich ist es auch, bei Naturkatastrophen oder besonders grausamen Verbrechen zu Gedenkgottesdiensten aufzurufen oder zu Schweigeminuten im Parlament. Dann ist der Maßstab die Wucht des Ereignisses. Doch Corona ist weder eine Naturkatastrophe noch ein Verbrechen. Es ist eine Krankheit und steht damit in einer Reihe anderer Krankheiten.

Mehr als eine halbe Million Amerikaner sind gestorben

Ohne Zweifel hat die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben während der Pandemie an Intensität zugenommen. Als zu Recht abstoßend wurde gemeinhin die Bagatellisierung von Covid-19 etwa durch Ex-US-Präsident Donald Trump oder hiesige Querdenker wahrgenommen.

Doch wer offiziell um die Opfer einer bestimmten Krankheit trauert und sein Mitgefühl mit den Hinterbliebenen genau dieser Opfer zum Ausdruck bringt, gerät in den Verdacht einer Priorisierung. Dadurch kann sich Gutgemeintes leicht in Missverständliches verwandeln.

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Der neue amerikanische Präsident, Joe Biden, hat wohl vor allem einen Kontrapunkt zur Empathiearmut seines Vorgängers setzen wollen, als er bereits zu Beginn seines Amtsantritts demonstrativ der Corona-Toten gedachte und das Leid der Hinterbliebenen thematisierte. Doch haben Angehörige etwa von Krebs-Toten nicht dasselbe Maß an Anteilnahme verdient? Schmecken deren Tränen anders?

Im Fokus muss der Tod an sich stehen

Inzwischen sind mehr als eine halbe Million Amerikaner im Zusammenhang mit einer Covid-19-Infektion gestorben. Das sind mehr, so wird betont, als im Ersten und Zweiten Weltkrieg plus Vietnamkrieg umgekommen waren. Derselbe Vergleich wäre allerdings auch bei anderen Todesursachen möglich. Im Jahr 2020 starben in den USA nämlich 661.00 Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und 580.000 an Krebs.

Die Corona-Pandemie ist neu, das Virus hoch ansteckend, das Leben fast aller Menschen wurde im vergangenen Jahr auf den Kopf gestellt. Der Reflex, dies durch Gottesdienst und Staatsakt zum Ausdruck zu bringen, ist verständlich. Doch im Fokus muss der Tod an sich und die Trauer von Angehörigen aller Toten stehen. Andernfalls würde die spezifische Ursache des Todes unterschiedliche Formen der Anteilnahme legitimieren. Das kann, das darf nicht sein.

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