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EU-Ratschef Charles Michel.

© dpa

Streit um Rechtsstaatlichkeit in der EU: Sondieren und drohen

Nach dem Veto Ungarns und Polens zeichnet sich keine schnelle Lösung ab. Vor allem auf EU-Ratschef Charles Michel kommt jetzt die Kompromisssuche zu.

Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. So lässt sich die Situation nach dem EU-Videogipfel vom Donnerstagabend beschreiben, bei dem die Staats- und Regierungschef angesichts der Blockade Ungarns und Polens ohne Einigung geblieben waren. „Das ist ein schon sehr ernsthaftes Problem, das wir zu lösen haben“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Videokonferenz. Die Hoffnung auf einen Durchbruch im Streit um die EU-Finanzen und die Rechtsstaatlichkeit richtet sich nun auf den Gipfel am 10. Dezember.

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Beim Videogipfel vom Donnerstagabend referierte Merkel den Stand der Dinge, während Ungarns Regierungschef Viktor Orban und Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki das Veto ihrer Länder bekräftigten. Nach knapp 20 Minuten war der Tagesordnungspunkt abgehakt. Einzig der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa hatte sich zuvor dazu hinreißen lassen, den geplanten Rechtsstaatsmechanismus zu kritisieren, obwohl sein Land in Brüssel gar kein Veto eingelegt hat.

Blockade läuft zum Teil ins Leere

Ungarn und Polen hatten am Montag eine Blockade gegen ein EU-Finanzpaket über  1,8 Billionen Euro in die Wege geleitet, das ab Anfang kommenden Jahres die Zahlung frischer Gelder im EU-Haushalt und von Corona-Hilfen ermöglichen soll. Vor allem Italien und Spanien warten dringend auf die Gelder aus dem Corona-Fonds. Allerdings läuft die Blockade Ungarns und Polens zum Teil ins Leere: In einem Nothaushalt ließe es sich bewerkstelligen, dass der EU ab Januar 2021 pro Monat ein Zwölftel des Etats von 2020 zur Verfügung steht.

Komplizierter liegen die Dinge beim Corona-Fonds mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro, der erst einmal auf Eis liegt. Um die Gelder trotz des Vetos lockerzumachen, gibt es mehrere Gedankenspiele in Brüssel. Eine Überlegung geht dahin, den Corona-Fonds alternativ im Rahmen der so genannten verstärkten Zusammenarbeit zu beschließen - ohne Ungarn und Polen. Nach diesem Modell, das der liberale EU-Abgeordnete Guy Verhofstadt erwogen hatte, müssten sich mindestens neun Mitgliedstaaten für einen neuen Corona-Fonds zusammentun. Derartige Überlegungen sollen aber erst dann ernsthaft ins Spiel kommen, falls in den nächsten Tagen und Wochen die Gespräche mit Ungarn und Warschau scheitern sollten, heißt es in Brüssel.

EU-Vertreter: Der Ball liegt bei Ungarn und Polen

Auch wenn Orban am Freitag in einem Interview erklärte, eine Einigung sei nur „eine Frage des politischen Willens“, so geht der Nervenkrieg um die Rechtsstaatlichkeit und die Corona-Milliarden vorerst weiter. „Der Ball liegt bei Ungarn und Polen“, sagte ein EU-Vertreter dem Tagesspiegel. Beim Videogipfel sei es immerhin gelungen, die Situation zu entdramatisieren. „Aber es gibt noch keine Lösung“, fügte er hinzu.

Falls die Lösung aus der Sicht Ungarns und Polens darin bestehen sollte, die Verhandlungen um den Rechtsstaatsmechanismus noch einmal neu aufzurollen, so stoßen Orban und Morawiecki dabei beim Europaparlament auf Granit. Dass die Parlamentarier nicht nachgeben wollen, machte der SPD-Abgeordnete Jens Geier am Freitag deutlich: „Hier geht es um eine Richtungsentscheidung für die Zukunft der EU“, erklärte er.

Kommissionsvize Jourova: Keine Steuergelder in Länder ohne Rechtsstaatlichkeit

EU-Kommissionsvize Vera Jourova erklärte unterdessen, dass der Rechtsstaatsmechanismus nicht auf bestimmte Länder ziele. „Im Gegenteil, er soll möglichen Risiken begegnen, wo immer sie auftauchen“, sagte sie. Nach den Worten von Jourova sei es eine Minimalforderung, dass das Geld von EU-Steuerzahlern nur dorthin fließe, wo die Rechtsstaatlichkeit nicht bedroht sei.

Vor allem vom EU-Ratschef Charles Michel wird jetzt erwartet, mit Orban und Morawiecki Lösungsmöglichkeiten im Streit um den Rechtsstaatsmechanismus zu sondieren. Eine Möglichkeit besteht nach Angaben aus EU-Kommissionskreisen darin, das Vorgehen bei der Verhängung der Sanktionen zu präzisieren, ohne den eigentlichen Rechtstext zu verändern. Geier warnte allerdings vor einer Verwässerung der Neuregelung: „Wenn die Mitgliedstaaten jetzt etwas Halbgares zum Rechtsstaatsmechanismus vorlegen, dann fängt die EU an, ihre Legitimität zu verlieren.“

Pandemie erschwert die Kompromisssuche

Ein Punkt erschwert derweil die Kompromisssuche erheblich: Damit der Durchbruch gelingt, müsste man eigentlich etliche physische Treffen zwischen dem Ungarn Orban, dem Polen Morawiecki, dem Belgier Michel und Merkel abhalten, deren Land gegenwärtig den Vorsitz in den entscheidenden EU-Ministerräten hat. Aber die Pandemie verbannt die Suche nach einer Einigung in den virtuellen Raum - was zwangsläufig für Verzögerungen sorgt.

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