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Linken-Chefin Heidi Reichinnek

© dpa/Kay Nietfeld

Update

„Dobrindt versucht offensichtlich abzulenken“: Linken-Chefin reagiert zurückhaltend auf Gesprächsangebot der Union

Nach dem Richterwahl-Debakel für Union und SPD im Bundestag ging Innenminister Dobrindt (CSU) einen Schritt auf die Linken zu. Deren Parteichefin Reichinnek traut dem Angebot nicht.

Stand:

Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek hat die prinzipielle Offenheit von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt für Gespräche mit ihrer Partei reserviert aufgenommen. Das sei zwar „interessant“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Mit Blick auf die geplatzte Wahl dreier neuer Bundesverfassungsrichter fügte sie aber hinzu: „Alexander Dobrindt versucht doch mit dieser Aussage offensichtlich davon abzulenken, was im Bundestag passiert ist.“

Reichinnek warf der Union vor, sich „an einer rechten Hetzkampagne gegen eine angesehene Juristin beteiligt“ zu haben. „Sie hat auch für ihren eigenen Kandidaten keine demokratischen Mehrheiten gesucht, sondern war bereit, ihn mit den Stimmen der gesichert rechtsextremen AfD wählen zu lassen.“ 

Dobrindt zeigt sich offenbar für Gespräch mit Linken

Damit bezog sie sich auf den vom Verfassungsgericht empfohlenen Unionskandidaten Günter Spinner. In seinem Fall hatte die Linke Unterstützung in Aussicht gestellt, falls sie ein eigenes Nominierungsrecht für Kandidaten bekäme.

Die Union war auf dieses Ansinnen nicht eingegangen und hoffte, dass bei einer relevanten Zahl abwesender Abgeordneter eine Zweidrittelmehrheit der Koalition zusammen mit den Grünen hätte erreicht werden können. Allerdings hatte auch die AfD Zustimmung signalisiert, ihr Anteil wäre bei der geheimen Wahl schwer identifizierbar gewesen.

Dobrindt zeigte sich nun prinzipiell offen, in außergewöhnlichen Situationen erneut das Gespräch auch mit der Linken zu suchen, so wie nach der im ersten Anlauf gescheiterten Kanzlerwahl. „Ich hätte auch in einem weiteren Fall, wenn es notwendig wäre, nicht das Problem, zum Telefon zu greifen und jemanden bei der Linkspartei anzurufen“, sagte er im Deutschlandfunk.

Reichinnek entgegnete: „Die Union muss aber jetzt erst mal klar zeigen, dass sie dieses Problem intern aufarbeitet und dass eine schwarz-blaue Koalition nicht ihr Ziel ist.“ Sie wiederholte ihre Darstellung, dass eine solche Konstellation unter Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) aber immer realistischer werde.

Dobrindt sieht Bundesverfassungsgericht nicht beschädigt

Dobrindt hatte am Sonntag auch Wertungen von SPD und Opposition widersprochen, dass die geplatzte Richterwahl das Bundesverfassungsgericht beschädigt habe.

„Alles, was nicht zu einem ganz bestimmten Ergebnis führt, ist automatisch eine Beschädigung des Bundesverfassungsgerichts: Dieser Sichtweise kann ich mich nicht anschließen“, sagte Dobrindt im Deutschlandfunk-„Interview der Woche“. „Ich sehe auch überhaupt ein Bundesverfassungsgericht nicht beschädigt.“

Dobrdint bemühte sich um eine gelassene Betrachtung der am Freitag eskalierten Entwicklung. Er stellte es als einen politischen Prozess dar, der vielen Einflüssen unterliegt und bei dem deshalb das ursprünglich beabsichtigte Ziel nicht zwingend dem letztlichen Ergebnis entspreche. 

„Wenn man um höchste Ämter sich bewirbt, gewählt werden muss, dann wird man auch in der Öffentlichkeit betrachtet. Dann gibt es auch Diskussionen und Debatten dazu. Die können das Ganze auch mitbeeinflussen. Und dann läuft es eben nicht wie vorhergesehen. Oder dann muss man auch die Möglichkeit und die Kraft haben, mal etwas zu verändern“, erklärte er. Dies relativiere nicht, „dass das nicht der normale Prozess war und dass man sich einen anderen Prozess oder ein anderes Ergebnis im Prozess gewünscht hätte“.

CSU will bei Lösungssuche nichts überstürzen

CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann plädierte dafür, bei der Suche nach einer Lösung nichts zu überstürzen. „Wir stehen als Koalition in der Verantwortung, uns auf ein gemeinsames Kandidaten-Paket für das Bundesverfassungsgericht zu verständigen. Dazu gehört, dass wir uns jetzt Zeit nehmen und uns nicht verrennen“, sagte der Vorsitzende der CSU-Bundestagsabgeordneten der Deutschen Presse-Agentur. „Das gebietet der Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht, der Respekt vor den Kandidaten und der Respekt vor den Abgeordneten, die am Ende diese Wahlentscheidung treffen.“

Zum Vorschlag der SPD, dass Brosius-Gersdorf sich nun persönlich den Fragen der Unionsfraktion stellt, äußerte sich Hoffmann nicht. „Wir werden innerhalb der Koalition Gespräche führen, wie eine Wahl von Verfassungsrichtern im Bundestag gelingen kann“, sagte er lediglich.

Auch Merz-Vertrauter versucht, zu deeskalieren

Auch Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) versuchte nach dem Debakel im Bundestag, zu deeskalieren. Er zeigte sich optimistisch, dass die schwarz-rote Koalition noch zu einer Einigung kommt. „Die Wahl von Verfassungsrichtern liegt in der Sphäre des Parlaments. Ich bin sicher, dass die Koalitionsfraktionen über den Sommer eine tragfähige Lösung finden werden“, sagte der Merz-Vertraute der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) und Kanzler Fredrich Merz sitzen im Bundestag.

© obs/SWR/Südwestrundfunk/Geisler-Fotopress/Frederic Kern

Der Bundestag hatte am Freitag über die Neubesetzung von drei Richterposten beim Bundesverfassungsgericht befinden sollen. Die Unionsfraktion forderte aber kurzfristig die Absetzung der Wahl der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf und verwies auf Plagiatsvorwürfe. Nach anderthalbstündigen Krisengesprächen zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD wurden alle drei geplanten Richterwahlen von der Tagesordnung genommen.

In großen Teilen der Union wird die liberale Haltung der Professorin zu Abtreibungen, aber auch ihre Forderung nach einer Impfpflicht während der Corona-Pandemie kritisch gesehen. Begründet wurde die Ablehnung dann durch den Hinweis des österreichischen Plagiatssuchers Stefan Weber auf Übereinstimmungen zwischen der Dissertation Brosius-Gersdorfs und der Habilitationsschrift ihres Ehemanns. Weber weist allerdings darauf hin, dass er ausdrücklich nicht von Plagiaten spricht.

Außer Brosius-Gersdorf hatte die SPD noch die Münchner Juraprofessorin Ann-Katrin Kaufhold nominiert und die Union den vom Verfassungsgericht empfohlenen Arbeitsrichter Günter Spinner.

Wir halten an unseren Kandidatinnen fest. Ich erwarte, dass die Mehrheit steht.

Matthias Miersch, SPD-Fraktionschef

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch kritisierte den Regierungspartner für den Eklat kurz vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause in einer persönlichen Erklärung. „Was wir heute aber auch erleben mussten, ist die bewusste Demontage unseres höchsten deutschen Gerichts und unserer demokratischen Institutionen. Das ist brandgefährlich“, schrieb Miersch.

Er verwies auf den gemeinsamen Vorschlag und die erfolgte Zweidrittelmehrheit im Richterwahlausschuss. In gefetteter Schrift stellte Miersch klar: „Wir halten an unseren Kandidatinnen fest. Ich erwarte, dass die Mehrheit steht.“ 

Der SPD-Politiker Ralf Stegner sprach von einem „Debakel“. „Wenn wir bei so kleinen Dingen schon anfangen zu scheitern, dann ist das Schiff in schwerer See, und zwar ziemlich schnell“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, zeigte sich verwundert, dass die Unionsfraktion weder der ursprünglichen Empfehlung ihres Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn gefolgt sei noch der von Kanzler Merz. „Da gibt es ein Autoritätsproblem“, so Wiese.

In die gleiche Richtung ging auch die Kritik vom ehemaligen Verfassungsrichter und CDU-Spitzenpolitiker Peter Müller. „So etwas darf nicht passieren“, sagte Müller der „Süddeutschen Zeitung“. „Dies ist ein eklatantes Führungsversagen der Union“, fügte Müller hinzu.

Er war von 1999 bis 2011 saarländischer Ministerpräsident und von 2011 bis 2023 Richter am Bundesverfassungsgericht. Dass es Vorbehalte gegen Personalvorschläge für Karlsruhe gebe, sei zwar „nichts Neues“, sagte der 69-Jährige. „Nur: Bisher wurde das im Vorfeld geklärt.“ 

Die Frage ist, wer hat in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mehr Einfluss: ,Nius‘ und Julian Reichelt – oder Jens Spahn und Friedrich Merz?

Franziska Brantner, Grünen-Co-Chefin

Grünen-Co-Chefin Franziska Brantner ging CDU/CSU scharf an. „Viele Abgeordnete der Union sind schlicht ihrer Verantwortung nicht nachgekommen, sich vorab gründlich zu informieren, wozu uns Abgeordneten ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen“, sagte sie der „Welt“.

Stattdessen hätten sie auf „Sharepics“ im Internet vertraut; Brantner verwies in diesem Kontext auf den Einfluss von Medienportalen wie „Nius“. Zur Frage, ob sie glaube, dass Brosius-Gersdorf noch Verfassungsrichterin wird, sagte sie: „Die Frage ist, wer hat in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mehr Einfluss: ,Nius‘ und Julian Reichelt – oder Jens Spahn und Friedrich Merz?“

Zur Begründung der Unionsführung für die von ihr initiierte Absage der Richterwahl – der Plagiatsverdacht gegen Brosius-Gersdorf – sagte Brantner: „Es war ja offensichtlich nur der Strohhalm, an den die Union sich zu klammern suchte.“

Sondersitzung des Bundestags im August?

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte im „heute journal up:date“ des ZDF einem Bericht der Agentur dpa zufolge, das Verfassungsgericht, die drei Kandidaten und auch das Parlament hätten „massiven Schaden genommen“. „Dafür trägt Jens Spahn die Verantwortung.“ 

Haßelmann bekräftigte die Forderung ihrer Fraktion, für die Wahl schon kommende Woche in einer Sondersitzung des Bundestags einen Neuanlauf vorzunehmen. Dazu könne jederzeit eingeladen werden. „Wir wollen doch keine Hängepartie über den ganzen Sommer“, sagte sie.

Nach Informationen des Tagesspiegel will die SPD ihrer Kandidatin keine lange Ungewissheit zumuten. Die Überlegungen gehen in Richtung einer Sondersitzung des Bundestages etwa im August, heißt es. 

Seit Freitag ist der Bundestag eigentlich in die parlamentarische Sommerpause gestartet. Parlamentsvizepräsident Omid Nouripour (Grüne) hatte den Bundestag planmäßig für den 10. September einberufen und zugefügt, er „hoffe, das stimmt“.

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