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„Steht nicht an der Seite der Juden“: Zentralratspräsident entsetzt über Parteitagsbeschluss der Linkspartei
Die Linke will künftig eine umstrittene Antisemitismus-Definition verwenden. Nach Kritik jüdischer Verbände steht die Partei vor einer Zerreißprobe. Prominente Mitglieder erwägen einen Austritt.
Stand:
Die Linke hat bei mehreren jüdischen Organisationen Entsetzen ausgelöst, nachdem sie auf ihrem Parteitag in Chemnitz eine umstrittene Definition von Antisemitismus angenommen hat. „Die Linke zeigt, wo sie steht – und das ist nicht an der Seite der Jüdinnen und Juden in Deutschland“, sagte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Auch der jüdische Verein Werte-Initiative verurteilte die Entscheidung der Linken, künftig die sogenannte Jerusalemer Erklärung für die Definition von Antisemitismus heranzuziehen. Damit „öffnet die Partei israelfeindlicher Agitation unter dem Deckmantel der Kritik die Tür – und entzieht sich damit der Verantwortung, jüdisches Leben und jüdische Perspektiven wirksam zu schützen“, erklärte der Vereinsvorsitzende Elio Adler.
Die Linke zeigt, wo sie steht – und das ist nicht an der Seite der Jüdinnen und Juden in Deutschland.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
Mit ihrer Entscheidung stellt sich die Linke gegen die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Mit ihr könne man jegliche Kritik an der israelischen Regierung als Antisemitismus diffamieren, sagte zur Begründung die Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel-Böhlke. Diese Aussage ist umstritten.
Im Beschluss selbst heißt es über die IHRA-Definition, diese sei „ein massives Einfallstor für autoritäres, staatliches Handeln“. Damit habe sich die Definition „zu einem repressiven Instrument entwickelt, um unliebsame Kritik und politischen Protest zu verhindern“.

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Der Zentralrat der Juden weist diese Kritik an der IHRA-Definition zurück. Sie benenne Antisemitismus in seinen konkreten Ausformungen, betonte Schuster. Sie werde von fast allen demokratischen Staaten der Welt anerkannt. Das Erkennen und Benennen sei die Voraussetzung dafür, Antisemitismus bekämpfen zu können.
Die IHRA-Definition ist rechtlich nicht bindend. Sie wird in Deutschland nach Angaben des Antisemitismusbeauftragten Felix Klein aber in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens auf Bundesebene angewandt, etwa bei Veranstaltungen und Publikationen der Bundeszentrale für politische Bildung und im Rahmen der Ausbildung bei den Sicherheitsbehörden.
Die Linke will sich laut Parteitagsbeschluss nun dafür einsetzen, dass in Deutschland künftig stattdessen die Jerusalemer Erklärung verwendet wird. Sie differenziert vor allem beim Thema des israelbezogenen Antisemitismus. So sei es zwar antisemitisch, Jüdinnen und Juden kollektiv für das Verhalten Israels verantwortlich zu machen. Boykotte gegen Israel, zu denen etwa die pro-palästinensische BDS-Bewegung aufruft, seien es allerdings nicht.
Schuster warf der Linkspartei deshalb Ignoranz gegenüber der jüdischen Gemeinschaft vor, „in der die IHRA-Definition weltweit anerkannt ist“. Er sieht bei der Linken „einen radikalen Kern, der – getrieben von Israelhass – dazu beiträgt, den Antisemitismus unserer Zeit zu verschweigen“. Die Werte-Initiative teilte mit, dass es keinerlei Kooperation mit der Linkspartei mehr geben werde.
Nur wenige Minuten Debatte
Die Entscheidung für die künftige Anwendung der Jerusalemer Erklärung fiel am Samstagnachmittag kurz vor Ende des Parteitags in Chemnitz. 213 Delegierte stimmten dafür, 181 dagegen, 48 enthielten. Zugleich waren viele Delegierte laut Teilnehmern bereits abgereist.
Über den Beschluss, den die Parteispitze eigentlich an die Gremien verweisen wollte, wurde nur wenige Minuten debattiert. In seiner Gegenrede argumentierte Parteichef Jan van Aken nicht inhaltlich, er bekannte, dass auch er mit der IHRA-Definition nicht einverstanden sei. Die Linke könne eine wissenschaftliche Debatte aber nicht per Parteitagsbeschluss entscheiden, so van Aken.
Dieses Argument reichte nicht, um die Zustimmung einer knappen Mehrheit der Delegierten zu verhindern. Im Anschluss des Parteitages sorgte die Annahme der Jerusalemer Erklärung allerdings auch bei führenden Parteimitgliedern für Empörung.
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„Wie kann man etwas beschließen, was eine Angelegenheit von Wissenschaft&Analyse ist? Wie kann man durch Mehrheit versuchen, etwas zu bestimmen, was Angelegenheit von Haltung ist?“, fragte der Bundestagsabgeordnete und frühere Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow bei X. „Wer Israel auslöschen und Juden vernichten oder vertreiben will, der ist Antisemit!“
Die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss erklärte bei X, die Mehrheit des Parteitags habe entschieden, dass die Linke nicht mehr gegen jeden Antisemitismus stehe.
Zugleich verteidigten die Bundestagsabgeordneten Ferat Koçak und Cansın Köktürk den Beschluss. „Kritik am Handeln der israelischen Regierung und ihrer Kriegsverbrechen ist kein Antisemitismus“, schrieb der Neuköllner Abgeordnete Koçak. Die Repression gegen solche Kritiker relativiere den tatsächlichen Kampf gegen Antisemitismus.
Parteiaustritte in Berlin?
Wegen ihrer Haltung zum Nahost-Konflikt steht die Linke damit erneut vor einer Zerreißprobe. Im Oktober 2024 waren in Berlin mehrere prominente Mitglieder aus der Partei ausgetreten – darunter die Ex-Senatoren Elke Breitenbach und Klaus Lederer. Anlass war ein Eklat auf dem Landesparteitag, auf dem in einem Antrag zu Antisemitismus Passagen gestrichen wurden, die Judenhass von links thematisierten.
Auch der Beschluss des Chemnitzer Parteitags für die Annahme der Jerusalemer Erklärung wurde nun von mehreren Berliner Kreisverbänden eingebracht. Nach Tagesspiegel-Informationen erwägen deshalb derzeit weitere prominente Mitglieder der Berliner Linken einen Parteiaustritt. (mit AFP, KNA)
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