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Syrische Entwicklungshelferinnen haben in den vergangenen Tagen in der Nähe des Grenzübergangs Bab Al-Hawa gegen die Aussetzung von Hilfslieferungen protestiert. Vergebens.

© Anas Alkharboutli/dpa

Russland verhindert Hilfe: Syrien droht „eine unkontrollierbare Hungersnot“

Nach einem Veto Russlands ist der Übergang an der türkisch-syrischen Grenze für Hilfsgüter gesperrt. Nutznießer ist Syriens Machthaber Baschar al Assad.

Eine Lebensader für vier Millionen Menschen im Nordwesten Syriens ist blockiert. Seit Freitag rollen keine Lastwagen mit UN-Hilfsgütern mehr über den Grenzübergang Bab al-Hawa zwischen der Türkei und der Rebellen-Provinz Idlib. Russland hat per Veto die Verlängerung des UN-Mandats für die Hilfe verhindert.

Hilfsorganisationen befürchten eine Katastrophe. Nutznießer ist der syrische Präsident Baschar al Assad, denn nun werden die UN versuchen müssen, Hilfsgüter über seinen Machtbereich nach Idlib zu transportieren. Das gibt Assad die Möglichkeit, Druck auf das von Regimegegnern kontrollierte Gebiet auszuüben.

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Die 15 Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrates waren am Freitag mit dem Versuch gescheitert, das Mandat für UN-Lieferungen über Bab al-Hawa zu verlängern. Russland, Assads wichtigster internationaler Unterstützer, legte gegen die reguläre Erneuerung um ein Jahr sein Veto ein.

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Westliche Länder stimmten daraufhin gegen den russischen Vorschlag, Bab al-Hawa nur noch ein halbes Jahr zu nutzen, denn das hätte bedeutet, die Hilfe für die Flüchtlinge in Idlib mitten im Winter einstellen zu müssen.

Bab al-Hawa ist derzeit wegen des islamischen Opferfestes geschlossen und öffnet am Mittwoch wieder – dann dürfen aber keine UN-Lastwagen mehr passieren. Die Feiertags-Pause im Grenzverkehr gibt den Diplomaten am UN-Sitz von New York noch eine kleine Chance auf eine Einigung.

Die Lage in dem Gebiet ist lebensgefährlich

Die Aussichten sind aber schlecht: Russland hat öffentlich angekündigt, alle Lösungen zu verhindern, die nicht dem eigenen Vorschlag entsprechen.

Selbst mit Unterstützung der UN ist das Leben für die Menschen in den Flüchtlingslagern von Idlib kaum erträglich. Ohne die rund 10.000 Lastwagen mit Nahrung und Medikamenten, die im vergangenen Jahr über Bab al-Hawa nach Idlib fuhren, wird die Lage für Einheimische und Flüchtlinge in dem Gebiet lebensgefährlich.

Das Zelt für ihre Familie schütze im Winter nicht vor dem Regen und im Sommer nicht vor der Hitze, sagt eine syrische Mutter in einem Video, das vom stellvertretenden UN-Hilfskoordinator für Syrien, Mark Cutts, auf Twitter veröffentlicht wurde. „Ohne Hilfe verhungern wir.“

Die Vorräte an Hilfsgütern in Idlib reichen nur einige Wochen. Tamer Kirolos vom Kinderhilfswerk Save the Children fürchtet um hunderttausende Kinder in den Flüchtlingslagern von Idlib. „Eine unkontrollierbare Hungersnot“ in Idlib sagte Mazen Allouch, ein Mitarbeiter der Grenzanlage in Bab al-Hawa, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP voraus.

Sollte sich das bewahrheiten, müsse die Türkei, die bereits mehr als drei Millionen Syrer aufgenommen hat, mit einer neuen Fluchtwelle aus Idlib rechnen, meint Sinan Ülgen, Chef der türkischen Denkfabrik Edam. Russland wolle mit seinem Veto auch die Türkei für ihre Haltung im Ukraine-Krieg bestrafen, schrieb Ülgen auf Twitter.

Die Folgen könnten bis nach Europa reichen: Die türkische Regierung hat mehrmals erklärt, die Aufnahmefähigkeit ihres Landes sei erschöpft. Im Jahr 2015 waren rund eine Million Syrer in die EU geflohen.

Um eine neue Flüchtlingskrise zu verhindern, wird über Alternativen zum UN-Mandat für Bab al-Hawa nachgedacht. Großbritannien wolle eine internationale Koalition schmieden, um Hilfsgüter auch weiter über die Türkei nach Idlib zu bringen, berichtet die Nachrichten-Website The New Arab.

Türkei hat Gebiete im Norden Syriens besetzt

Der türkische Außenpolitik-Experte Ömer Özkizilcik schlug auf Twitter vor, die Hilfe künftig über den türkischen Roten Halbmond fließen zu lassen. Die Türkei hat mehrere Gebiete im Norden Syriens besetzt und auch in Idlib Soldaten stationiert.

Zwar können private und nationale Hilfsorganisationen auch ohne UN-Mandat ihre Konvois nach Idlib schicken. Das Volumen der bisherigen Hilfsaktion kann damit aber nicht erreicht werden, denn die UN dürfen ohne Verlängerung des Mandats nicht mehr liefern.

Ohne UN-Dach fehlt zudem die internationale Legitimation für die Versorgung von Idlib aus dem Ausland. Die Vereinten Nationen koordinierten außerdem bisher die Projekte vieler verschiedener Hilfswerke aus der ganzen Welt.

Nach dem russischen Veto werden die UN ihre Hilfe für Idlib über Assads Machtbereich in Syrien rollen lassen. In dem Bürgerkriegsland sind insgesamt mehr als 13 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen. Russland und Syrien fordern schon lange, dass die gesamte Versorgung mit Hilfsgütern aus dem Ausland über die Regierung in Damaskus abgewickelt werden müsse, auch die Lieferungen in Rebellengebiete.

Assad könnte versuchen, Idlib auszuhungern

Auf Druck von Moskau wurden in den vergangenen Jahren alle Grenzübergänge für die Auslandshilfe bis auf Bab al-Hawa gesperrt. Nun hat Russland auch das letzte Grenztor zugeschlagen.

Hilfslieferungen für Idlib über Assads Gebiet gibt es bisher kaum. Im ganzen vergangenen Jahr rollten nur fünf Konvois über die Frontlinie zwischen Regierungstruppen und Rebellen. UN-Vertreter, westliche Staaten und Hilfsorganisationen misstrauen dieser Route, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben.

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Menschenrechtler werfen Assads Regierung vor, einen Teil der internationalen Hilfsgüter umzuleiten, um damit ihre Armee und regierungstreue Gebiete zu versorgen.

Zudem müssen die UN das Geld für Hilfslieferungen in Assads Gebiet auf syrischen Banken deponieren. Bei der Umrechnung von US-Dollar auf syrische Pfund gilt ein überhöhter Wechselkurs der syrischen Zentralbank – internationale Geldgeber für Syrien subventionieren so indirekt das Assad-Regime.

Trotz ihrer Sanktionen gegen Assad seien westliche Regierungen zu wichtigen Devisenbringern für den syrischen Staatschef geworden, schrieben die Experten der US-Denkfabrik CSIS in einem Bericht.

Assad wird nach Einschätzung von Hilfsorganisationen nach der Schließung von Bab al-Hawa versuchen, seine neu gewonnene Macht über die Hilfslieferungen auch im Konflikt mit den Rebellen in Idlib zu nutzen. Ohne die „Lebensader“ Bab al-Hawa könne Assad versuchen, Idlib auszuhungern, sagt Mohammed Alabbas vom Hilfswerk Hihfad.

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