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Gewählt von BSW und Linken: Die CDU setzt in Thüringen ihr Dogma außer Kraft
Mario Voigt ist neuer Thüringer Ministerpräsident, gewählt mithilfe von BSW und Linken. Das ist gut so.

Stand:
Mit der Wahl Mario Voigts zum Ministerpräsidenten hat Thüringen nach zehn Jahren wieder einen christdemokratischen Regierungschef – so wie es im ersten Vierteljahrhundert nach der Neugründung des Freistaates 1990 üblich war. Die ohnehin dahin siechende Linke hat mit Bodo Ramelow ihren ersten und einzigen Regierungschef eines Landes verloren.
Was nach außen ein wenig nach politischer Normalisierung aussieht, ist in Wahrheit das krasse Gegenteil. In Erfurt regiert die CDU, also die Partei von Europa, Nato und Westbindung, seit Donnerstag nicht nur mit der staatstragenden SPD, sondern auch mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Jenes BSW fremdelt mit Europa, der Nato und dem Westen. Es ist eine teilweise autoritär geführte Kaderpartei, in den Augen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz „rechtsextrem und linksextrem“ zugleich. Konrad Adenauer und Helmut Kohl dürften in ihren Gräbern rotieren. Doch was bitte wäre die Alternative zu dieser Koalition? Eine AfD-Minderheitsregierung?
Seit dieser Woche ist das BSW, erst im Januar gegründet, mit Brandenburg und Thüringen in zwei Landesregierungen vertreten. Das ist ein enormer Erfolg für Wagenknechts Partei, durchaus mit bundespolitischer Signalwirkung. Über den Bundesrat ist das BSW formal ein nationaler politischer Akteur.
Doch damit nicht genug: Da die CDU/BSW/SPD-Koalition im Thüringer Landtag keine parlamentarische Mehrheit auf die Beine stellt, hat die Linke des bisherigen Ministerpräsidenten Ramelow gleich im ersten Wahlgang Voigt unterstützt und ihm damit ohne Umwege in die Staatskanzlei verholfen.
Ramelow und seine Fraktionskollegen haben so verhindert, dass die rechtsextreme AfD Björn Höckes auch nur den Hauch eines Einflusses bei der Wahl des Regierungschefs geltend machen konnte. Wer bisher, warum auch immer, Zweifel an der staatstragenden Vernunft Ramelows hatte, müsste spätestens jetzt eines Besseren belehrt sein. Derart souverän sich selbst abzuwählen, wie es der überzeugte Demokrat und Parlamentarier Ramelow getan hat – das hat Format über den Tag hinaus.
Den Linken im Thüringer Landtag ist es gelungen, der Regierung Voigt eine Art Regularium abzutrotzen, wie CDU/BSW/SPD-Koalition und Linke in Zukunft zusammenarbeiten wollen. Die sogenannte Brombeerkoalition will die Linke bei zentralen Projekten einbinden, etwa durch regelmäßige Gespräche von Spitzenleuten der Fraktionen. Der Landeshaushalt dürfte dabei zum ersten Test werden.
Die von den Linken ermöglichte Wahl Voigts und die geplante Kooperation widerspricht voll dem Beschluss, den die CDU 2018, übrigens noch unter Angela Merkel, gefasst hatte. Darin heißt es: „Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.“ Es ist gut, dass die thüringische CDU dieses Dogma aushebelt.
Die bisherige reine Lehre der CDU, die Gleichbehandlung von Linken und AfD, war schon immer fragwürdig. Ja, die Linke ist eine Nachfolgepartei der SED (so wie die CDU Nachfolgepartei der regimetreuen DDR-CDU ist). Doch die Linke hat sich längst gehäutet und demokratisch bewährt. Sie ist nicht weniger im Westen angekommen als Thüringens CDU, und gewiss mehr als Sachsens CDU.
Bodo Ramelow ist ein sozialdemokratischer Politiker. Zehn Jahre lang hat Ramelow Thüringen „gedient“, wie Voigt am Donnerstag sagte, und das gewiss mit Verantwortungsgefühl und Augenmaß.
Linke und die rechtsextreme, Putin-freundliche AfD gleichzusetzen, wie es die CDU seit 2018 tut, – das ist politisch bodenlos. Friedrich Merz dürfte sich dessen bewusst sein. Seitdem die CDU mit Wagenknecht regiert, ist ihr Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken geradezu verlogen.
Das BSW hat in Erfurt und Potsdam Verantwortung übernommen. Thüringens neue Finanzministerin Katja Wolf ist eine erfahrene Politikerin, anders als Wagenknecht Exekutiv-erfahren. Wolf und ihr kluger Pragmatismus, ihre Vernunft dürften Wagenknecht auf Dauer gar nicht gefallen. Thüringen zeigt sich, wieder einmal, als ein politisches Labor für ganz Deutschland.
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