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Trotz Verlusten: SPD gewinnt Bürgerschaftswahl in Hamburg deutlich
Die SPD von Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher wird erneut stärkste Kraft. Die CDU liegt knapp vor den Grünen – trotzdem könnte die rot-grüne Koalition fortgesetzt werden.
Stand:
SPD und Grüne können trotz Stimmenverlusten ihre seit 2015 bestehende Koalition in Hamburg fortsetzen. Bei der Bürgerschaftswahl in dem Stadtstaat wurde die SPD von Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher klar stärkste Kraft – trotz Einbußen. Nach vereinfachter Auszählung der für die Parteien auf den Landeslisten abgegebenen Stimmen kommt die SPD auf 33,5 Prozent (2020: 39,2).
Dahinter folgt die CDU mit 19,8 Prozent. Sie konnte sich aus ihrem historischen Tief (2020: 11,2 Prozent) befreien und ihren Stimmenanteil fast verdoppeln. Die Grünen büßten zwar Stimmen nach dem Rekord von 2020 ein, sind mit 18,5 Prozent aber stärker als bei der Bundestagswahl. Die Grünen-Bundesvorsitzende Franziska Brantner sagte im ZDF, sie sehe in Hamburg einen „klaren Regierungsauftrag für Rot-Grün“.
Dahinter folgen mit deutlichem Abstand Linke (11,2 Prozent) und AfD (7,5 Prozent). Die Sozialdemokraten können nun zwischen CDU und Grünen als Koalitionspartner wählen. „Meine erste Priorität ist, Rot-Grün fortzuführen“, sagte Tschentscher im ZDF. „Wir sprechen aber auch mit der CDU, weil sich das so gehört zwischen demokratischen Parteien“, ließ er in der ARD verlauten.
Die Linke wird erstmals in Hamburg zweistellig. Die AfD legte ebenfalls zu, ist aber nicht einmal halb so stark wie im Bund.
FDP (2,3 Prozent) und das Bündnis Sahra Wagenknecht BSW (1,8 Prozent) scheiterten deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde. Für die Liberalen wäre es das bisher schlechteste Ergebnis bei einer Bürgerschaftswahl. Die Abstimmung in der Hansestadt ist nach derzeitigem Stand die einzige Wahl auf Landesebene in diesem Jahr.

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Glückwünsche von Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gratulierte dem Wahlsieger Tschentscher und der SPD. „Hamburg bleibt in guten Händen. Gut, dass du deine Arbeit zum Wohle Hamburgs fortsetzen kannst“, schrieb Scholz auf X an seinen Amtsnachfolger.
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Landespolitische Themen bestimmten den Wahlkampf
Rund 1,3 Millionen Hamburgerinnen und Hamburger ab 16 Jahren waren wahlberechtigt. Das Landesparlament hat regulär 121 Sitze. Die Zahl kann durch Überhang- und Ausgleichsmandate sowie erfolgreiche Einzelbewerber steigen. Landespolitische Themen bestimmten den Wahlkampf, insbesondere die Verkehrsprobleme in der Stadt und der Wohnungsbau angesichts des Mangels an bezahlbarem Wohnraum. Daneben spielten auch die Migration und die Ankurbelung der durch den Hafen geprägten Wirtschaft eine wichtige Rolle.
SPD profitiert auch von Spitzenkandidat
Laut Forschungsgruppe Wahlen hätten die Sozialdemokraten mit „Sachkompetenz, hohem Ansehen und einem überragenden Spitzenkandidaten“ gewonnen. Dagegen konnten Union und die AfD „inhaltlich kaum punkten“. Im großstädtischen Umfeld hätten beide Parteien weiter „große strukturelle Defizite“. Die CDU habe zwar deutlich zugelegt, sei aber in Hamburg vergleichsweise weiter schwach. Etwa 83 Prozent der Befragten seien zudem der Ansicht, dass die AfD „nicht zu einer weltoffenen Großstadt wie Hamburg“ passe. Mit dem Thema Flüchtling und Asyl habe sich die Partei weniger gut als anderswo profilieren können.
Hamburgs Erster Bürgermeister Tschentscher zeigte sich erfreut über den Wahlsieg seiner Partei. Angesichts des Bundestagswahltermins eine Woche zuvor sei die Lage „knifflig“ gewesen, sagte Tschentscher am Sonntag auf der SPD-Wahlparty. „Wir haben es hinbekommen“, fügte er hinzu.
Die Hamburger SPD sei weder von links noch von rechts überholt worden. „Wir sind mit Abstand vor den anderen Parteien“, sagte Tschentscher. Die Botschaft, „dass uns die Schlechtgelaunten aus der rechten Ecke vom Hals gehalten wurden“, strahle hoffentlich auf ganz Deutschland aus.
Wahrscheinlich macht Rot-Grün weiter
Die Zeichen in Hamburg stehen auf „weiter so“. Die wahrscheinlichste Regierungsvariante ist die Fortsetzung der seit 2015 bestehenden rot-grünen Koalition – die Regierungsmehrheit ist aber weniger komfortabel als bisher. Seit 2020 verfügten beide Fraktionen im Rathaus sogar über eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Das ist nun nicht mehr so. Hamburg gilt seit langem als eine Hochburg der Sozialdemokraten.
Alleinregierung in weiter Ferne
Rechnerisch würde es auch für ein Bündnis mit der CDU reichen. Eine Koalition mit den Christdemokraten schließt Tschentscher zwar nicht aus, sprach ihr aber die Regierungsfähigkeit ab. Mit den erstarkten Linken möchte er nicht zusammenarbeiten.
Tschentscher steht seit 2018 an der Spitze der Hamburger Politik. Damals war der heute 59-Jährige noch relativ unbekannt in der Hansestadt und stand im Schatten seines Vorgängers, dem heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz, der damals ins Finanzministerium nach Berlin wechselte. Die Scholz-Jahre in Hamburg waren noch goldene Jahre für die Sozialdemokraten. Von 2011 bis 2015 reichte es sogar für eine Alleinregierung.
Für den bisherigen Juniorpartner dürfte das Ergebnis nach dem Rekord von 2020 und den Verlusten auf Bundesebene eine Enttäuschung sein. Hamburgs Wissenschaftssenatorin Fegebank war als Spitzenkandidatin der Grünen angetreten und setzt auf eine Neuauflage von Rot-Grün. Eine Koalition von SPD und CDU bedeute Stillstand und sei nicht gut für Hamburg, hatte sie kurz vor der Wahl immer wieder gewarnt.
Auch die CDU will regieren
CDU-Spitzenkandidat Thering (40) hat die Chance auf eine Koalition mit der SPD nicht aufgegeben. „Wir stehen für eine stabile Regierung mit positiven Veränderungen vor allem in den Bereichen Sicherheit, Wirtschaft und Verkehr zur Verfügung“, erklärte er. In der ARD fügte er hinzu, er freue sich auf Sondierungsgespräche mit der SPD. Es helfe Hamburg, wenn dort dieselben Partner wie im Bund regieren würden. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte im ZDF, es wäre Zeit für ein neues Aufbruchsignal in Richtung Rot-Schwarz.
Erst am vergangenen Sonntag war die vorgezogene Bundestagswahl, nun mussten die Hamburgerinnen und Hamburger schon wieder wählen. Während am 23. Februar die Wahlbeteiligung bei 80,8 Prozent lag, zeigt sich auch auf Landesebene deutlich mehr Interesse. Die Wahlbeteiligung stieg an – nach den Zahlen von ZDF und ARD auf 67 bis 68 Prozent. 2020 hatten 63,0 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.
Was bedeutet die Hamburg-Wahl für die Bundespolitik?
Eine Woche nach der Bundestagswahl ist die Aussagekraft über Hamburg hinaus begrenzt. Im Bundesrat – Hamburg hat hier 3 der 69 Stimmen – ändert sich nichts, sollte es bei Rot-Grün bleiben. SPD und Grüne dürften trotz Stimmenverluste darauf verweisen, dass Rot-Grün kein Auslaufmodell ist. Die Hamburger SPD konnte sich vom Bundestrend ein Stück weit abkoppeln und ist im Stadtstaat doppelt so stark wie im neuen Bundestag. CDU und AfD freuen sich über Stimmenzuwachs auch auf Landesebene.
Sollten Union und SPD im Bund zu einer Koalition zusammenkommen, müssen sie bis weit ins kommende Jahr keine Rücksicht mehr auf Landtagswahlen nehmen. Hamburg war die einzige Wahl auf Landesebene in diesem Jahr.
Erst 2026 folgen die nächsten, dann aber in fünf Bundesländern mit zusammen rund 23 Millionen Einwohnern. Im Frühjahr werden die Landtage in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, im Sommer in Sachsen-Anhalt gewählt. Im Herbst bestimmen die Berlinerinnen und Berliner neu über die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses. Schließlich wird auch der Landtag in Mecklenburg-Vorpommern neu gewählt. (dpa/AFP/Reuters)
Korrekturhinweis: In einer Zwischenüberschrift hieß es „FDP und AfD scheitern an 5-Prozent-Hürde“. Gemeint war statt der AfD das BSW. Wir haben den Fehler korrigiert.
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