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Mitglieder der Kurdischen Arbeiter-Partei PKK bewachen das Hauptquartier im Nord-Irak.

© Archivfoto (2018): Safin Hamed/AFP

Laut Bundestags-Gutachten: Türkischer Einmarsch im Irak völkerrechtswidrig

Türkei bekämpft kurdische PKK im Nachbarland. Linken-Politikerin Akbulut fordert Stopp aller Waffenlieferungen an Ankara.

Mitten in der Diskussion über die türkische Ablehnung der Nato-Norderweiterung zeichnet sich neuer Streit zwischen Deutschland und der Türkei über türkische Militärinterventionen im Irak ab.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in einem neuen Gutachten zu dem Schluss, dass der jüngste türkische Einmarsch im Irak zur Bekämpfung der Terrororganisation PKK völkerrechtlich kaum zu rechtfertigen ist. Von den PKK-Kämpfern im Nordirak gehe derzeit keine unmittelbare und konkrete Bedrohung für die Türkei aus, heißt es in dem Gutachten, das unserem Istanbuler Büro vorliegt.

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Die Linken-Politikerin Gökay Akbulut fordert deshalb den Stopp aller Lieferungen von Waffen und Waffentechnologie an den Nato-Partner Türkei.

Die Türkei hatte vor einem Monat mit einem neuen Einmarsch im Nordirak begonnen. Sie setzt Kampfflugzeuge, Drohnen, Artillerie und Bodentruppen ein, um Nachschubwege und Munitionslager der PKK zu zerstören.

Die irakische Regierung hat die Intervention als Verletzung ihres Territoriums und „feindlichen Akt“ kritisiert, doch sie hat kaum Einfluss auf Entwicklungen im Nordirak.

Bereits mehr als 80 PKK-Kämpfer getötet

Die Region wird von der kurdischen Regionalregierung beherrscht, die mit Ankara zusammenarbeitet. Der Regionalregierung ist es recht, wenn der Einfluss der PKK in der Gegend begrenzt wird.

Die PKK unterhält ihr Hauptquartier im Irak und plante nach türkischen Angaben neue Angriffe in der Türkei, die mit dem Einmarsch verhindert werden sollen.

Frühjahrsoffensiven der türkischen Armee im Irak gibt es fast jedes Jahr. Sie sollen es der PKK erschweren, in die Türkei einzusickern und ihren Ableger in Syrien, die Miliz YPG, zu versorgen.

Beim derzeitigen Einmarsch sind nach türkischen Regierungsangaben bisher mehr als 80 PKK-Kämpfer getötet worden. Die Türkei kämpft seit fast 40 Jahren gegen die PKK und unterhält feste Militärposten auf irakischem Gebiet.

Ankara beruft sich aufs Selbstverteidigungsrecht

Kurz nach Beginn der neuen türkischen Offensive zeigte sich die Bundesregierung auf Anfrage von Akbulut besorgt über den türkischen Militäreinsatz im Nachbarland, vermied aber eine Aussage zu der Frage, ob die Aktion gegen das Völkerrecht verstößt.

Darauf beantragte Akbulut das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag, dessen Experten rechtliche Fragen für die Abgeordneten untersuchen.

Das Gutachten weist das Argument der Türkei zurück, sie müsse im Irak eingreifen, weil der irakische Staat nicht selbst in der Lage sei, Angriffe der PKK zu verhindern. Ankara nenne keinen konkreten PKK-Anschlag, der den Einsatz nötig gemacht habe, schreiben die Bundestags-Fachleute.

"Erhebliche Zweifel" an der türkischen Argumentation

Vielmehr habe die Zahl der PKK-Angriffe in der Türkei in den vergangenen Jahren eher ab- als zugenommen. Solange es keinen konkreten Angriff oder akute Gefahr gebe, könne sich die Türkei nicht auf das Selbstverteidigungsrecht nach der Charta der Vereinten Nationen berufen. Es gebe „ganz erhebliche Zweifel“ an der türkischen Argumentation.

Akbulut rief die Bundesregierung auf, die Intervention der Türkei zu verurteilen und Waffenlieferungen einzustellen. „Das gilt insbesondere angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine“, erklärte sie. „Es ist absolut inakzeptabel, wenn die ‚Bündnispartnerin‘ Türkei das Völkerrecht derart missachtet.“

Präsident Recep Tayyip Erdogan hat in den vergangenen Jahren auch mehrmals Soldaten in den Norden Syriens geschickt, um eine PKK-nahe Miliz aus dem Grenzgebiet mit der Türkei zu drängen. Einige EU-Länder wie Finnland und Schweden verhängten ein Waffenembargo gegen Ankara.

Das Auswärtige Amt reagiert zurückhaltend

Erdogans Regierung verlangt ein Ende der Sanktionen als Vorbedingung für eine Zustimmung zum Nato-Beitritt der beiden skandinavischen Länder.

Im Auswärtigen Amt hieß es zu dem Bundestags-Gutachten, die Bundesregierung lege großen Wert auf den „Respekt für staatliche Souveränität“. Allerdings lägen „keine eigenen Erkenntnisse vor, die eine abschließende völkerrechtliche Bewertung der türkischen Militäroperationen in Nordostsyrien und Nordirak erlauben“.

Mit Blick auf die Forderung nach einem Stopp von deutschen Rüstungslieferungen verlautete aus dem Ministerium, Ankara erhalte schon seit Jahren keine Waffen mehr, „die von der Türkei im Kontext regionaler Militäroperationen eingesetzt werden könnten“.

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