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Schrecken und kein Ende. In diesem Bus in Donezk starben 13 Menschen, als eine Granate explodierte. Die Konfliktparteien geben sich wieder gegenseitig die Schuld.

© dpa

Krieg im Donbass: Ukraine: Ein Land zersplittert

Es herrscht Krieg im Donbass. Die Diplomatie kommt nicht vorwärts, Kiew und die Separatisten lassen die Waffen sprechen. Wie steht es um die Ukraine?

Seit April 2014 herrscht in der Ostukraine Krieg. Zuletzt wurden die Kämpfe immer heftiger, alleine zwischen dem 13. und dem 21. Januar seien nach Angaben der UN 262 Tote zu beklagen. Insgesamt starben im Donbass damit mehr als 5000 Menschen. Das am 5. September in Minsk ausgehandelte Abkommen über einen Waffenstillstand gilt Diplomaten zwar immer noch als Ausgangspunkt ihrer Friedensbemühungen – doch mehr als ein zwischenzeitliches Abflauen der Kämpfe brachte es nicht. Kiew rüstet massiv auf und will mit einer neuen Offensive die militärische Wende. Die Separatisten kündigten am Freitag ebenfalls eine Offensive an. Im Donbass droht weiteres Blutvergießen.

Welche diplomatischen Bemühungen gibt es aktuell zur Beendigung der Krise?

Trotz vieler entmutigender Erfahrungen hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Laurent Fabius immer wieder Versuche unternommen, Russland und die Ukraine zu deeskalierenden Schritten zu bewegen. Beim Treffen der Außenminister der vier Länder am Mittwochabend in Berlin gab es laut Steinmeier zwar „wahrnehmbare Fortschritte“, aber keinen Durchbruch. Die Außenminister einigten sich zumindest darauf, dass im Osten der Ukraine eine Pufferzone eingerichtet werden soll. Dabei geht es um einen Streifen von 30 Kilometern Breite, aus dem alle schweren Waffen wie Granatwerfer und Mörser verschwinden sollen. Lawrow versprach, Russland werde in diesem Sinne auf die Separatisten einwirken, damit das Minsker Abkommen endlich Geltung erhält. Nun werden die Beobachter der OSZE darüber urteilen, ob die Versprechen erfüllt werden – angesichts der Ankündigungen neuer Offensiven sowohl der Separatisten als auch Kiews erscheinen Fortschritte derzeit sehr unwahrscheinlich.

Worum geht es in den deutschen Überlegungen für eine Freihandelszone mit Russland?

Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) nutzte die Bühne des Weltwirtschaftsforums in Davos, um am Donnerstag für eine Freihandelszone zwischen der EU und Putins Projekt einer Eurasischen Union zu werben – allerdings nur unter der Bedingung, dass Moskau die Minsker Vereinbarungen erfüllt. Als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am selben Ort später nach diesem Thema gefragt wurde, sagte sie: „Dazu sind wir bereit.“ Sie machte ebenfalls eine umfassende Friedenslösung zur Voraussetzung. Gabriels Vorschlag steht in der Tradition sozialdemokratischer Überlegungen, Russland durch Anreize zu kooperativem Verhalten zu bewegen. Außenminister Steinmeier hat diese Idee seinen EU-Kollegen unterbreitet. Merkel und die Union sind bei diesem Thema deutlich zurückhaltender, da sie daran zweifeln, dass Moskau nach westlicher Rationalität handelt. Die die Kanzlerin ließ deshalb am Freitag auch klarstellen, dass es keinen konkreten Vorschlag für eine Freihandelszone von ihr gibt, sondern dass sie unter der Voraussetzung eines russischen Einlenkens in der Ukraine-Krise grundsätzlich offen sei für wirtschaftliche Kooperation. Gabriel bekräftigte anschließend seinen Vorschlag demonstrativ. „Ich bin froh, dass die Kanzlerin die Initiative aufgegriffen hat“, sagte er dem Tagesspiegel. Voraussetzung für Gespräche über die Freihandelszone seien aber Gewaltverzicht, Unverletzlichkeit der Grenzen und Frieden durch Russland. Die unterschiedlichen Akzente werden im Kanzleramt genau registriert. Dort vermutet man hinter den Kooperationssignalen von Steinmeier und Gabriel den Wunsch, die SPD als Friedenspartei zu profilieren.

Wie ist die militärische Lage im Donbass?

Vor allem an der Grenze zu bisher nicht von Separatisten besetzten Gebieten in Luhansk und in Donezk haben die Kämpfe seit etwa zehn Tagen stark zugenommen. Das wird als Anzeichen dafür gewertet, dass die Separatisten ihre Einflussgebiete ausweiten wollen. Am Freitag erklärte der Anführer der „Volksrepublik Donezk“, Alexander Sachartschenko, vor Studenten und internationalen Medienvertretern, er wolle den gesamtem Bezirk Donezk unter seine Kontrolle bringen. Russland, das jegliche Unterstützung der Separatisten dementiert und auch Meldungen, wonach russisches Militär in der Ostukraine zum Einsatz kommt, scharf zurückweist, gibt Kiew die Schuld an der neuen Eskalation. Die Regierung der Ukraine hingegen verweist auf die ihrer Meinung nach unzähligen Beweise, dass Russland die Ostukraine überfallen und besetzt habe. Journalisten, OSZE und zivile Augenzeugen hätten seit Beginn der Kämpfe immer wieder Foto- und Videoaufnahmen gemacht, auf denen eindeutig russische Militärausrüstung und die dazugehörigen Soldaten zu sehen seien.

Warum ist der Flughafen von Donezk so bedeutend für den Konflikt?

Obwohl der Airport komplett zerstört ist, lieferten sich Soldaten der ukrainischen Armee, prorussische Separatisten und nach Angaben Kiews auch reguläre russische Truppen dort von Ende Mai bis heute schwere Kämpfe. Für die meisten Ukrainer ist der Kampf um den Flughafen ein Symbol der Wiedergeburt ihrer Armee nach schweren Niederlagen im vergangenen Sommer. Der Airport gilt als Symbol der Herrschaft des im Februar 2014 gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch. Für die Fußballeuropameisterschaft 2012 wurde der moderne Flughafen innerhalb von nur drei Jahren gebaut. Zehn Millionen Passagiere hätten dort pro Jahr abgefertigt werden können, die Baukosten sollen offiziellen Angaben zufolge umgerechnet fast 700 Millionen Euro betragen haben. Damit galt der komplett aus Steuermitteln finanzierte Airport als das teuerste Projekt der FußballEM 2012 – für die Ukrainer ist er schlichtweg ein „Denkmal der Korruption“.

Die ukrainische Armee verklärt ihre um den Flughafen kämpfenden Soldaten als Helden und nennt sie „Cyborgs“ – in Anspielung an Zwitterwesen, halb Mensch, halb Maschine. Der Einsatz am Airport war unter anderem problematisch, weil auch die unterirdischen Bauten, wie Kanalisation und offenbar mehrere Bunker und Geheimgänge, umkämpft waren. In den vergangenen Tagen sollen die Separatisten weite Teile des Flughafens erobert haben.

Wer hat in Kiew das Heft in der Hand?

In der Ukraine wird ganz offen von zwei Machtpolen gesprochen, die in Kiew spätestens seit den Parlamentswahlen im Oktober 2014 gebildet worden sind. Auf der einen Seite steht Präsident Petro Poroschenko, auf der anderen Seite Ministerpräsident Arseni Jazenjuk. Beide Lager beäugen sich misstrauisch. Ohne den Druck der Geldgeber aus EU, USA und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wäre die Regierungsbildung Ende vergangenen Jahres nicht so schnell über die Bühne gegangen. Lautlos war sie dennoch nicht. Poroschenko, obwohl für die Sicherheitspolitik verantwortlich, hat mit Innenminister Arsen Awakow und dem Chef des Sicherheitsrats Alexander Turschinow zwei Vertraute von Jazenjuk im Boot. Vor allem der als verschlossener Eigenbrötler geltende Turtschinow hat in den vergangenen 15 Jahren viele hohe Ämter im Sicherheitsapparat des Landes bekleidet und galt bis zu seinem Bruch mit Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko als deren rechte Hand.

Wie ist die wirtschaftliche Lage in der Ukraine?

Die ukrainische Wirtschaft ist in einem katastrophalen Zustand, 2014 ist sie um 7,5 Prozent geschrumpft. Das Land hängt am Tropf westlicher Kreditgeber. Die EU-Finanzminister erwägen denn Diplomaten zufolge auch eine Erhöhung der Kredite für die Ukraine auf bis zu 2,5 Milliarden Euro. Über die Aufstockung der bisher gewährten 1,8 Milliarden Euro werde am Dienstag in Brüssel diskutiert, sagten mit der Sache vertraute Diplomaten am Freitag. Der IWF schätzt allerdings, dass die Ukraine bis Anfang 2016 zusätzlich 15 Milliarden Dollar benötigt, deren Gewährung jedoch an politische Reformen geknüpft ist, die kaum umgesetzt werden. Die Abhängigkeit von Krediten, mit denen Kiew den Krieg finanziert, verhindert absurderweise, dass in der Ukraine das Kriegsrecht ausgerufen wird, denn die Statuten des IWF verbieten Finanzhilfen an Staaten im Krieg.

Wie wirken sich die Sanktionen des Westens auf die russische Wirtschaft aus?

Die Weltbank erwartet, dass die russische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 2,9 Prozent schrumpft. Im aktuellen Haushaltsentwurf hat Moskau allen Ressorts zehn Prozent ihrer Mittel gekürzt. Allerdings sind sich Experten einig, dass die Krise vor allem mit dem niedrigen Ölpreis zusammenhängt. Es wird kaum erwartet, dass sich die russische Politik gegenüber der Ukraine aus wirtschaftlichen Gründen ändert. Auswirkungen des Sanktionsregimes gibt es jedoch auch für die deutsche Wirtschaft. Die Einfuhren aus Russland sanken 2014 um 3,8 Prozent gegenüber 2013, die Ausfuhren gingen im gleichen Zeitraum sogar um 17,6 Prozent zurück. Eckhard Cordes, Verbandschef im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, sieht dadurch 60 000 Arbeitsplätze in Deutschland bedroht.

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