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Ukraine-Krieg Tag 253: Russlands neue Verteidigungslinie im Süden
Selenskyj schließt Teilnahme an G20-Gipfel bei Putins Anwesenheit aus, Getreide-Exporte laufen wieder an. Der Überblick am Abend.
Stand:
In Cherson mehren sich die Indizien, dass Russland einen Abzug aus der Gegend plant. Heute wurden Videos und Fotos bekannt, die zeigen, dass die lokale Stadtverwaltung die russische Flagge vom zentralen Verwaltungsgebäude entfernt hat (mehr dazu hier).
Westliche Sicherheitskreise glauben, dass Russland auch bald sein Militär - laut Schätzungen zwischen 20.000 und 40.000 Mann - von der Westseite des Ufers abziehen wird. Schon in den vergangenen Wochen war immer wieder über einen Abzug der Russen spekuliert worden, auch russische Offizielle selbst hatten die Spekulationen angeheizt. Gleichzeitig aber verstärkte Russland seine Truppen am Westufer vor allem mit neu mobilisierten Soldaten.
Sollte sich Russland tatsächlich zurückziehen - was eine große symbolische Niederlage wäre - würde das die Ukraine militärisch vor eine weitere schwere Aufgabe stellen. Denn Russland ist dabei, am Westufer des Djnepr eine Verteidigungslinie zu errichten. Direkt am Ufer entstehen Schützengräben und einzelne, gesicherte Stellungen. Die großangelegte Evakuierung und Deportation der Bewohner der Stadt Cherson könnte zudem die Vorbereitung für eine breitflächige Bombardierung des Westufers sein.
Auch am Ostufer siedelt Russland die Bewohner in Flußnähe um. In ihre Häuser sollen wohl Soldaten einziehen. Zuletzt hat Russland immer noch die Möglichkeit, den großen Damm bei Nowa Kachowka zu sprengen. Die folgende Überflutung würde die natürliche Verteidigungslinie noch einmal stark vergrößern.
Die Folge von alldem: Wenn der Fluss Djnepr unüberwindlich wird, könnte die Ukraine künftig nur noch vom Norden, aus der Richtung von Saporischschja die südlichen besetzten Territorien angreifen. Russland könnte in diesem Frontabschnitt seine Soldaten konzentrieren, die Verteidigungsfähigkeit würde verbessert.
Militärisch wären all diese Faktoren für Russland ein Vorteil. In der russischen Generalität scheint das schon länger common sense. Ende September wollten die russischen Befehlshaber den Rückzug einleiten. Putin soll es damals laut Informationen von westlichen Nachrichtendiensten verboten haben.
Die wichtigsten Nachrichten des Tages
- Bemühungen der Bundesregierung gehen für viele Deutsche nicht weit genug: Weniger als ein Drittel halten die diplomatischen Bemühungen derzeit für ausreichend. Beim Thema Waffenlieferung gehen die Meinungen auseinander. Mehr hier.
- Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hat nach eigenen Angaben bisher keine Hinweise auf den Bau einer „schmutzigen Bombe“ durch die Ukraine gefunden. Das habe eine Inspektion von drei Standorten in der Ukraine ergeben, sagte IAEA-Direktor Rafael Grossi am Donnerstag. „Unsere bisher vorliegende technische und wissenschaftliche Auswertung der Ergebnisse ergab an diesen drei Standorten keine Hinweise auf nicht deklarierte nukleare Aktivitäten und Materialien.“ Mehr in unserem Liveblog.
- Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schließt aus, dass er und der russische Präsident Wladimir Putin gemeinsam an dem G20-Gipfel in Indonesien teilnehmen werden. „Mein persönlicher Standpunkt und der Standpunkt der Ukraine ist, dass die Ukraine nicht teilnehmen wird, sollte der Chef der Russischen Föderation teilnehmen“, sagt Selenskyj.
- Einen Tag nach der Wiederbelebung des Abkommens mit Russland zu Getreideexporten durch das Schwarze Meer haben mehrere Schiffe mit solcher Fracht ukrainische Häfen verlassen. Sieben Frachter mit insgesamt rund 290.000 Tonnen Getreide und anderen Lebensmitteln würden am Donnerstag durch den eingerichteten Schutzkorridor fahren, teilten an der Koordination der Lieferungen beteiligte UN-Vertreter mit.
- Millionenschwere Gelder für den Kauf von Schutzwesten für die ukrainische Armee sollen nach Angaben von Ermittlern veruntreut worden sein. Das Staatliche Ermittlungsbüro der Ukraine bezifferte den Schaden am Donnerstag auf 250 Millionen Griwna (knapp 7 Millionen Euro). Der Verdacht richte sich gegen das frühere Management der Patentbehörde Ukrpatent, eine ranghohe Beamtin im Wirtschaftsministerium und den Leiter einer Hilfsorganisation. Den Beschuldigten drohen bis zu 12 Jahre Haft.
- Die Schweiz hat die Weitergabe von Panzermunition von Deutschland an die Ukraine zum zweiten Mal blockiert. Bern könne solch einer Lieferung von in der Schweiz hergestelltem Kriegsmaterial nicht zustimmen, wenn das Empfängerland in einen internationalen Konflikt verwickelt sei, schrieb der Schweizer Wirtschaftsminister Guy Parmelin der deutschen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht.
- Russland hat nach eigenen Angaben bei der einbestellten britischen Botschafterin Deborah Bronnert gegen die dem Vereinigten Königreich vorgeworfene Einmischung in einen ukrainischen Drohnenangriff auf seine Flotte protestiert. Durch solche konfrontativen Handlungen der Briten drohe eine Eskalation der Situation, die gefährliche Folgen nach sich ziehen könne, erklärt das russische Außenministerium. Russland wirft Großbritannien vor, an einem Drohnenangriff auf seine Schwarzmeerflotte am Samstag beteiligt gewesen zu sein.
- Das von russisch besetzte Atomkraftwerk Saporischschja soll Teil des russischen Energieanbieters Rosenergoatom werden. Das gaben russische Behörden in der besetzten Region Saporischschja am Mittwoch an. „Das AKW Saporischschja hat begonnen, unter die Zuständigkeit von Rosenergoatom zu fallen”, werden die Behörden in russischen Nachrichtenmedien zitiert. Das Atomkraftwerk befindet sich in von Russland besetztem Gebiet. Betrieben wird es von ukrainischen Angestellten.
- In der russisch besetzten Stadt Melitopol in der Südukraine hat es in der Nacht zum Donnerstag mehrere schwere Explosionen gegeben. Das bestätigten Vertreter beider Seiten, wobei die Darstellungen auseinandergingen. Die russische Flugabwehr habe anfliegende ukrainische Raketen abgeschossen, schrieb ein Vertreter der Besatzungsverwaltung, Wladimir Rogow, auf Telegram. Der vertriebene ukrainische Bürgermeister von Melitopol, Iwan Fedorow, sagte, es sei ein Fabrikgebäude mit einem russischen Stab darin beschossen worden. Unabhängig überprüfen ließen sich die Angaben nicht.
- Nach enormen Verlusten fehlen Russland im Ukraine-Krieg nach Einschätzung britischer Geheimdienste moderne Kampffahrzeuge. Russische Soldaten seien mutmaßlich frustriert, dass sie alte Infanterie-Fahrzeuge nutzen müssten, die „Aluminiumdosen“ genannt würden, hieß es am Donnerstag im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums.
- Der UN-Sicherheitsrat hat eine von Russland eingereichte Resolution zur Untersuchung von Vorwürfen einer Beteiligung der USA an der Entwicklung biologischer Waffen in der Ukraine abgelehnt. Lediglich die ständigen Sicherheitsratsmitglieder Russland und China stimmten am Mittwoch für die Resolution, Frankreich, die USA und Großbritannien dagegen. Alle zehn nichtständigen Mitglieder enthielten sich. Russland hatte die „Einsetzung einer aus allen Mitgliedern des Sicherheitsrats bestehenden Kommission“ gefordert.
- Russlands Einmarsch in die Ukraine hat nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zur größten Vertreibung von Personen seit Jahrzehnten geführt. „Etwa 14 Millionen Menschen wurden seit dem 24. Februar aus ihren Häusern vertrieben“, sagte UNHCR-Chef Filippo Grandi am Mittwoch (Ortszeit).
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