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Antrittsbesuch beim transatlantischen Partner: Olaf Scholz bei Joe Biden im Weißen Haus.

© imago images/UPI Photo

USA-Experte Josef Braml: „Olaf Scholz hat das souverän gemacht“

Wie weit trägt der Ansatz des Westens im Konflikt mit Russland. Und ziehen die USA und Deutschland wirklich an einem Strang? Ein Interview. 

Von Hans Monath

Josef Braml ist USA-Experte. Der promovierte Politikwissenschaftler war lange bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und ist nun Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission, einer Plattform für den Dialog politischer und wirtschaftlicher Entscheider Amerikas, Europas und Asiens zur kooperativen Lösung geopolitischer, wirtschaftlicher und sozialer Probleme. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog „usaexperte.com“.

Herr Braml, von einem schwierigen, belasteten Antrittsbesuch von Olaf Scholz in Washington war vor seiner Ankunft die Rede – wie hat der Kanzler ihn absolviert?
Olaf Scholz hat das souverän gemacht. Mein Eindruck ist: Er managed auch die komplizierte Lage, die er als neuer Kanzler vorfand, insgesamt souverän.

Die deutsche Botschafterin in Washington, Emily Haber, hatte in einem Brandbrief  an das Auswärtige Amt von erodierendem Vertrauen in der US-Hauptstadt in die Verlässlichkeit Deutschlands im Konflikt mit Russland berichtet – „in bed with Putin“ lautete eines ihrer Zitate. Sind diese Zweifel in Washington nach der Demonstration Einigkeit durch den Präsidenten und den Kanzler nun ausgeräumt?
Ich frage mich, ob der Hund mit dem Schwanz oder der Schwanz mit dem Hund wedelt. Was ich meine, ist: Deutschland und Europa müssen sich umgekehrt fragen, ob sie sich noch auf die USA verlassen können. Und diese Frage müsste sich auch die Ukraine stellen. Mein Eindruck ist: Wir können uns nicht mehr auf den Schutz der USA verlassen und sollten sehr viel mehr tun, uns im Verbund mit Frankreich eigene militärische Fähigkeiten zuzulegen.

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Warum können wir das nicht mehr?
Biden ist unter Druck geraten, er ist innenpolitisch führungsschwach, hat außenpolitisch etwa beim überstürzten Abzug aus Afghanistan Fehler gemacht. Ob Deutschland an die Ukraine Waffen liefert oder nicht, ist nicht entscheidend. Es kommt darauf an, wie die USA reagieren auf eine mögliche Aggression Russlands gegen die Ukraine. Das wissen die Russen, und deshalb reden sie direkt mit den Amerikanern.

Das heißt, Sie glauben den Bekenntnissen zur Einigkeit und Partnerschaft von Biden und Scholz nicht?
Natürlich werden auf einer solchen Pressekonferenz solche Slogans ausgegeben. Wir wissen aber genau: Wenn es hart auf hart kommt, setzen die Amerikaner knallhart ihre eigenen Interessen durch. Sie haben ihre Verbündeten beim Abzug aus Afghanistan blank stehen lassen, das ist nun unser Problem. Abschreckung bleibt wichtig, aber ich traue Präsident Biden zu, dass er bald die nukleare Abschreckung aufweichen wird. Wir sollten deshalb mit Frankreich darüber reden, ob deren „Force de frappe“ nicht auch Europa schützen könnte. Es geht aber nicht nur um Abschreckung, sondern auch um Diplomatie. Die dürfen wir nicht den Amerikanern überlassen, die andere Interessen haben als wir. Deshalb war es ein kluger Schachzug von Olaf Scholz, gemeinsam mit Emmanuel Macron das Normandieformat wieder zu beleben.

Warum weicht Biden die nukleare Abschreckung auf?
Als Vizepräsident von Obama und im Wahlkampf hat er die Idee vorangetrieben, dass die US-Atomwaffen nur russische Atomwaffen-Angriffe abschrecken sollen – Stichwort „sole purpose“.  Wer die bisherige Ambiguität aufgibt, schadet der bereichsübergreifenden Abschreckung auch im konventionellen Bereich. Dann stehen wir nackt da. Und das werden wir, weil Biden außenpolitische Fehler von historischen Dimensionen macht – Afghanistan hatte ich genannt.

Präsident Joe Biden machte deutlich, dass die Gaspipeline Nord Stream 2 im Fall einer russischen Aggression gegen die Ukraine gestoppt wird – ein vor allem deutsches Projekt. Tat er das nach ihrem Eindruck mit Billigung des Kanzlers?
Der Kanzler hat sich nicht festgelegt. Er spricht ja von der Notwendigkeit der Ambiguität, wonach der Gegner eben nicht genau wissen soll, was ihm im Ernstfall droht. Wenn die Russen die Ukraine angreifen, wird Nord Stream 2 nicht zu halten sein.

Wladimir Putin hat sich kürzlich demonstrativ mit Xi Jinping getroffen und von ihm Unterstützung für seine Forderung zur Eindämmung der Nato erhalten. Welche Rolle spielt China im aktuellen Konflikt?
Durch das, was wir jetzt machen, treiben wir die Russen in die Arme der Chinesen. Wir sollten auf die Ukraine einwirken, dass sie das Ziel des Nato-Beitritts aufgibt und sich um einen neutralen Status wie Finnland bemüht.  Aus guten Gründen hat sich die Bundesregierung 2008 gegen den amerikanischen Vorschlag gestellt, Georgien und die Ukraine in die Nato aufzunehmen.

Putin wird es nicht hinnehmen, dass die Nato sich bis an seine Grenze ausdehnt. Erinnern wir uns, dass er im vergangenen Jahr in diesem Zusammenhang mit einem „nuklearen Tsunami“ drohte.  Es geht um Einflussbereiche. Wer nun von Werten redet und nur auf das Selbstbestimmungsrecht pocht, sollte sich darin erinnern, wie viel Selbstbestimmungsrecht die USA Kuba zubilligten, als auf der Insel russische Raketen stationiert werden sollten: keines. Wir werden diesen Konflikt nicht lösen, wenn wir nicht die Sprache der Weltmächte verstehen.

Josef Braml, USA-Experte und Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission
Josef Braml, USA-Experte und Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission

© dpa/Arno Wolff

Es geht doch nicht nur um Werte, sondern um internationale Abmachungen, die Russland unterschrieben hat und die Stabilität in Europa garantierten. Wenn wir diese selbst aufgeben, stellen wir selbst die internationale Ordnung infrage, die wir erhalten wollen.
Die internationale Ordnung ist ohnehin infrage gestellt. Wir haben noch nicht gemerkt, dass nicht mehr das Recht der Gänse, sondern wilderer Tiere gilt. Wir sind nicht mehr in einer regelbasierten Welt, weil weder die USA noch Russland oder China sich mehr an sie halten. Wir müssen uns der Realität stellen. Was hat die Ukraine davon, wenn wir ihr Waffen liefern? Das ist doch ein zynisches Spiel, damit der Preis für die Russen und die Ukrainer noch höher wird.

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Sollten wir diese Entscheidung nicht den Ukrainern überlassen?
Einverstanden. Deshalb habe ich vorhin dafür plädiert, den Ukrainern klar zu machen, dass sie sich auf die Amerikaner nicht mehr verlassen können. Wenn sie das verstehen, werden sie auch andere Schlüsse für ihre Zukunft ziehen. Es wird kein Amerikaner für die Ukraine sterben, die USA haben nur ein peripheres Interesse an dieser Region, die eigentliche Auseinandersetzung findet für sie im Indopazifik gegen China statt. Russland aber hat ein vitales Interesse daran, die Nato nicht noch näher an seine Grenze rücken zu lassen.

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