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Eine Trump-Unterstützerin trägt ein QAnon-Hemd.

© REUTERS/Elijah Nouvelage

US-Wahl 2016 und 2020: Verschwörungsideologien, Trump - und ein bisschen Hoffnung

Fast jeder erinnert sich an den Wahltag 2016, und 2020 wird es auch so sein. Unser Autor verbindet damit zwei Abende, die kaum unterschiedlicher sein konnten.

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Vermutlich erinnert sich jeder halbwegs politisch interessierte Mensch an den Moment, an dem er vom Wahlsieg Donald Trumps vor vier Jahren erfahren hat. Und auch die diesjährige Wahl, deren Ergebnis am Donnerstagmittag immer noch offen ist, dürfte vielen Menschen in Erinnerung bleiben. Unser Autor Georg Ismar verbindet mit der US-Wahl zwei sehr unterschiedliche Abende - die aber dennoch eine Verbindung haben.

3. November 2020, Washington: Melanie Petrowski trinkt gegen 22 Uhr den zweiten Champagner. Auf den Monitoren in der Bar am Washingtoner Lafayette Square laufen die ersten Ergebnisse der Präsidentschaftswahl aus Florida ein, der Bundesstaat färbt sich rot. „Die Mainstream-Medien scheitern wieder“, sagt die Dame aus Neuseeland verschmitzt und nippt an ihrem Glas.

Sie interessiert sich nicht für kleinteilige County-Auszählungen, sondern sagt ohne jeden Zweifel: „Wir werden gewinnen.“ Dann berichtet sie von prophetischen Eingebungen, Gott sei an ihrer Seite. Sie hat rund 20.000 US-Dollar auf Donald Trump gewettet, ist extra aus Neuseeland angereist, um einigen religiösen Bibelevents vor der Wahl beizuwohnen. Sie nennt Trump „unseren“ wrecking ball, die Abrissbirne, gegen all die Lügen und Verschwörungen in der Welt.

Melanie Petrowski, 44 Jahre alt, ist ein gutes Beispiel, wo die Welt nach vier Jahren Donald Trump steht – und wie es zunehmend unmöglich wird, mit Fakten durchzudringen. Sie versteht nicht, dass Joe Biden überhaupt kandidieren durfte, und erzählt die Geschichte der „Biden 5“, ein Bericht der rechten Plattform Breitbart über „eine von Amerikas korruptesten Familien“.

Petrowski Swar drei Jahre bei der Armee, bei der Royal Air Force Neuseelands, hat im Finanzbusiness viel Geld verdient, ist in der Welt gereist, intelligent, also das Gegenteil von Menschen, die um ihren Job in der Kohleindustrie bangen und aus Frust über das sie vergessende Establishment und Barack Obamas Umweltauflagen 2016 erstmal Trump gewählt haben. Aber gefangen ist sie in ihrer sorgsam abgeschotteten Denk- und Informationswelt.

Dazu gehören auch evangelikale Youtube-Chanels, sie hat auch einen auf Deutsch zur Hand, er heißt „Liebesbriefe von Jesus“. Sie glaubt fest an die QAnon-„Ideologie“, wonach eine satanistische Elite Kinder entführt und tötet, um aus ihrem Blut eine Verjüngungsdroge zu gewinnen.

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Trump gilt den Anhängern dieses Irrglaubens als Vorkämpfer gegen diese von den Demokraten dominierte Elite und einen „Deep State“. So sei Biden auch bewusst für eine andere Migrationspolitik: „Sie wollen, dass die Grenzen geöffnet werden, damit mehr Kinder ohne Dokumente ins Land kommen, um an ihr Blut zu bekommen.“ Und das Coronovirus sei eine biochemische Attacke von China, Barack Obama und Bill Gates. Ford Knox sei im Übrigen auch leer, die Obamas hätten das Gold abtransportiert.

Trump dagegen ist für sie eine Lichtgestalt, die ihr ganzes Gehalt den Soldaten und Veteranen spende. Angesichts des schwierigen Verhältnis des Präsidenten zum Militär und seiner kaum zu kaschierenden Bibelferne ist es frappierend, wie Trump in dieser Szene für einen religiösen Erlöser gehalten wird. Sein Abschneiden am Wahlabend gegen alle Trends stärkt diesen Ruf noch.

Ein Prophet habe ihr übrigens nicht nur Trumps Wahlsieg zugesichert, sondern noch etwas habe sie ganz stark gespürt: „Hillary Clinton wird nächstes Jahr ins Gefängnis kommen“, sagt Petrowski. Sie habe da ein klares Signal von Gott.

Das gehört auch zur Bilanz eines Donald Trump, dass sich alternative Fakten und Quatsch hemmungslos weiterverbreiten, und sie sind längst nach Europa herübergeschwappt. Vor vier Jahren sah das noch anders aus.

3. November 2016, Amazonas-Regenwald: An jenem Wahlabend vor vier Jahren liegen Klimawissenschaftler aus aller Welt in ihren Hängematten fernab jeglicher Zivilisation im Amazonas-Regenwald. Hier steht das Amazon Tall Tower Observatory, kurz Atto, der weltweit bisher höchste Klima-Messturm, 325 Meter hoch und höher als der Eiffelturm.

Der Stahl-Gigant soll mit seinen Daten helfen, dass die Menschheit die richtigen Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel ergreift. Früher wurden Flugzeuge für Luftmessungen gechartert. Mit dem Atto-Turm, der das grüne „Dach“ des Regenwalds gewaltig überragt können in unterschiedlichen Höhen über dutzende, millionenteure Messeinheiten Daten gesammelt werden.

Die Partikelforschung ist zum Beispiel wichtig, um die Gletscherschmelze in den Anden zu verstehen, aber die Messinstrumente können hier sogar Buschbrände in der Sahara erfassen. Schon 2016 steigt auch die Regenwaldabholzung im Amazonasgebiet wieder deutlich an, unter Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, einem Trump-Fan und weiteren Gegner des Paris-Abkommens, ist die Lage heute außer Kontrolle geraten.

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Es ist deutsch-brasilianisches Gemeinschaftsprojekt, auch Meteorologen und Chemiker von zwei Max-Planck-Instituten (MPI) sind in jener Wahlnacht 2016 zunehmend fassungslos. Einer der Beteiligten ist jetzt gerade wieder in Brasilien und schreibt zum Jahrestag eine Email, erinnert an die damalige Wahlnacht.

Solche Abende, wo man spürt, hier kippt etwas und es kommt anders als gedacht, vergisst man nicht, und die Kluft zwischen der Welt von Melanie Petrowski und der der Wissenschaftler, die Fakten sammeln, sei es über den Klimawandel oder das Coronavirus, kann kaum größer sein.

Aber die Atto-Crew spornte der Wahlausgang auch an. Jenseits aller Debatten über Wahrheit und „alternativen Fakten“ in Sachen Klimawandel und Erderwärmung haben sie hier ein weltweit einmaliges Faktenerhebungsinstrument auf ihrer Seite, der deutsche Projektmanager betont damals: „Fakten sind das A und O. Wir von der wissenschaftlichen Seite würden nie mit emotionalen Argumenten hantieren.“ Inwieweit die Politik am Ende zuhöre und welche Entscheidungen sie treffe, stehe auf einem anderen Blatt. Dieses Blatt hat sich in den vier Jahren zwischen diesen beiden Wahlabenden nicht zum Besseren gewendet.

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