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Merz und Scholz schauen tatenlos zu: Sahra Wagenknecht prägt ein neues Deutschland
Für die BSW-Parteigründerin sind die angestrebten Koalitionen in Brandenburg und Thüringen ein Coup. Sahra Wagenknecht hat das politische Koordinatensystem der Republik verändert.

Stand:
Sage noch einer, Wahlen würden nichts verändern! Wie sehr sich die Dinge zum Guten, aber eben auch zum Schlechten wenden können, wenn die Menschen in einer Demokratie ihr Kreuz machen, haben die vergangenen zwei Monate eindrucksvoll demonstriert.
Die politische Landschaft sieht nach den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen fundamental anders aus als zuvor. Sahra Wagenknechts Bündnis ist nicht nur ein Machtfaktor geworden. Es spielt seine starke Hand in Parlamenten, in denen es ohne die AfD keine anderen Mehrheiten gibt, auch geschickt aus.
Die nun in Potsdam vereinbarten Koalitionsgespräche mit der SPD von Ministerpräsident Dietmar Woidke sind für Wagenknecht ein doppelter Coup. Sie kann die Kritik entkräften, die ihr rund um die stockenden Sondierungsgespräche in Sachsen und Thüringen entgegengeschlagen war. Das BSW kann sich fortan als Kraft inszenieren, der es nicht nur um Fundamentalopposition geht, sondern die auch Verantwortung und Kompromisse nicht scheut.
Woidkes Zugeständnisse spiegeln die gewandelte Debatte
Die Zugeständnisse, die sie in der Sicherheitspolitik dafür machen musste, sind erschreckend klein ausgefallen. Ganz abgesehen davon, dass sich auf Druck von Wagenknecht künftige Landesregierungen in Dresden, Erfurt und Potsdam entgegen der föderalen Arbeitsteilung in der Bundesrepublik überhaupt zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine positionieren wollen, verändert der Wortlaut des Brandenburger Sondierungspapiers erst recht das Koordinatensystem der Republik.
Da kann noch so oft darauf verwiesen werden, dass außenpolitisch der Bund entscheidet: Wenn Ministerpräsidenten einer Rückwärtsrolle bei der „Zeitenwende“ das Wort reden, wird das Spuren hinterlassen.
Wir sehen vor diesem Hintergrund die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch.
Auszug aus dem Sondierungspapier von SPD und BSW in Brandenburg
Wie weit Woidke auf Wagenknecht zugegangen ist, wie sehr sich die deutsche Debatte inzwischen verschoben hat, verdeutlicht ein Termin aus dem Oktober des Vorjahres. Als „sehr, sehr willkommen“ bezeichnete es Brandenburgs Regierungschef damals, dass der Bundeswehrstandort Schönewalde für das Raketenabwehrsystem „Arrow“ ausgebaut wird. Es soll unter anderem Schutz bieten vor Russlands in Kaliningrad stationierten Raketen.
Derselben Bedrohung soll auch die ab 2026 geplante US-Raketenstationierung im Westen der Republik begegnen – sie aber sieht Woidke nun „kritisch“. Dass ein Bekenntnis zu den Truppenstandorten des Landes ausdrücklich erwähnt werden muss, spricht ebenfalls Bände.
Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz, dem CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz gerade erst wieder Zaudern und Zögern in der Ukrainepolitik vorgeworfen hat, steht im Vergleich zum Papier, dem der Potsdamer Parteifreund seinen Segen gegeben hat, als regelrechter „Falke“ da.
Der Sondierungssatz, wonach der Krieg nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden könne, geht frontal gegen die Zusage des Kanzlers, die Ukraine nachhaltig militärisch zu unterstützen und Wladimir Putins Feldzug nicht noch zu belohnen, mit Geländegewinnen entlang der jetzigen Frontlinie. Scholz, schon als Wahlkämpfer unerwünscht, muss tatenlos zuschauen.
Die Brandenburger Vorlage ist für die CDU Chance und Gefahr zugleich
Viele Sozialdemokraten, denen ohnehin vorgeworfen wird, die Zeitenwende ihres Regierungschefs nie recht nachvollzogen zu haben, tun sich mit entsprechenden BSW-Forderungen offenbar leichter als die CDU. In Brandenburg, wo die letzte der drei Ost-Wahlen dieses Herbstes stattfand, hat man geräuschloser zusammengefunden als in Sachsen und Thüringen.
Aber auch in Dresden gehen die Gespräche weiter, und in Erfurt ist man nach den zwischenzeitlichen Turbulenzen der vergangenen Tage nun ebenfalls übereingekommen, offizielle Koalitionsverhandlungen zu beginnen.
Auch dort gibt es eine „Friedensformel“. Sie fällt allerdings weit differenzierter aus. Jenseits der allgemeinen Unterstützung für mehr diplomatisches Engagement halten die Parteien ihre unterschiedlichen Positionen zu Waffenlieferungen schriftlich fest, erkennen „nur“ an, dass die Raketenstationierung in ihrem Bundesland teils mit Sorge betrachtet wird.
Die CDU von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz hat damit die größte Gefahr erst einmal umschifft – in Dresden ist sie noch nicht gebannt. Formulierungen wie in Potsdam könnten die Westbindungs-Partei von Konrad Adenauer zerreißen.
Die Gelegenheit, die Unterschiede zur SPD aufzuzeigen, hat Merz jedoch kaum genutzt. Der besseren Formulierungskünste zum Trotz lässt er den Seinen vor Ort freie Hand, pocht nicht auf Minderheitsregierungen als Alternative zu BSW-Koalitionen – und schaut zu, wie Sahra Wagenknecht ein neues Deutschland prägt.
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