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Zu liberal bei Abtreibungen, zu strikt bei Corona?: Union mobilisiert gegen die Wahl „ultralinker Juristin“ für Karlsruhe
Die anstehende Nachbesetzung der frei werdenden Richterstellen am Verfassungsgericht droht zu scheitern. Kritik regt sich sowohl bei der Linken, als auch in der Union – aus unterschiedlichen Gründen.
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Es sind die wichtigsten Posten, die Juristen in Deutschland besetzen können: Am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe werden in diesem Jahr zwei Richterstellen frei, ein dritter Platz ist schon seit vergangenem Jahr nur noch geschäftsführend besetzt. Zuständig für die Neuwahl der Richterinnen und Richter ist der Bundestag. Doch es scheint alles andere als sicher, dass man sich dort einig wird.
Normalerweise bleiben die Kandidaten für Karlsruhe bis zu ihrer Wahl geheim. Doch nun berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die CDU plane den Bundesarbeitsrichter Günter Spinner zu nominieren, die SPD die Staatsrechtsprofessorinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold. Gegen den SPD-Vorschlag Brosius-Gersdorf regt sich Widerstand in der Union.
Mehrere Abgeordnete seien nicht bereit, für sie zu stimmen, berichtet die Zeitung. Namentlich nicht genannte Mitglieder der Unionsfraktion bezeichnen sie als „ultralinke Juristin“ und „dem Amt nicht angemessen“. Kritisiert wird insbesondere ihre Haltung zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Als Mitglied der Regierungskommission zur Reform des Schwangerschaftsabbruchs sprach sie sich 2024 für eine Legalisierung aus.

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Zudem wird ihr vorgeworfen, dass sie sich in der Pandemie vehement für eine Corona-Impfpflicht einsetzte. Die Potsdamer CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig erinnerte bereits am Dienstag an ein entsprechendes Zitat der Juristin und rief zu ihrer Nicht-Wahl auf. „Frau Brosius-Gersdorf ist als Richterin am Bundesverfassungsgericht maximal ungeeignet und für jeden Demokraten unwählbar“, schrieb Ludwig auf X.
Auch, dass sie sich in der Vergangenheit offen für die paritätische Besetzung der Listen bei Land- und Bundestagswahlen zeigte, sorgt für Kritik aus den Reihen der Union. In einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel schrieb Brosius-Gersdorf 2020, solche Quoten seien durch das Grundgesetz gerechtfertigt, ohne sie „bliebe der Gleichstellungsauftrag auf der Strecke“.
Bei der SPD will man sich am Donnerstag nicht zu dem Vorgang äußern, hinter vorgehaltener Hand zeigt man sich jedoch irritiert über die Durchstecherei und die Kritik an der eigenen Kandidatin. Man wolle weiter an ihr festhalten, denn alle drei Juristen sollen als Gesamtpaket gewählt werden.
Doch selbst wenn diese Differenzen innerhalb der Koalition beigelegt werden sollten, droht die Wahl im Bundestag zu scheitern.
Die CDU braucht die Linke, möchte aber bislang nicht mit ihr reden
Schon lange gilt unter den Parteien der Mitte die Absprache, dass von den acht Richterinnen und Richtern in jedem der beiden Senate je drei von CDU/CSU und SPD und je eine oder einer von Grünen und FDP nominiert werden. Sofern es gegen den jeweiligen Vorschlag keine grundsätzlichen Vorbehalte gab, wurde er von all diesen Parteien gemeinsam gewählt und erreichte so die vorgeschriebene Zweidrittelmehrheit.
Doch im neuen Bundestag haben Union, SPD und Grüne keine solche Mehrheit mehr, die FDP ist gar nicht mehr vertreten. Und da liegt für die Parteien das Problem: Ohne Zustimmung der AfD oder der Linken wird es im Bundestag keine erfolgreiche Richterwahl geben.
Wer mit unserer Zustimmung rechnet, muss auch bereit sein, mit uns zu sprechen.
Clara Bünger, Sprecherin der Linksfraktion für Innenpolitik, droht den Nominierungen nicht zuzustimmen, sollte die Union nicht zu Gesprächen mit ihrer Fraktion bereit sein.
Die Linke fühlt sich übergangen und droht mit Blockade: „Die erforderliche Zweidrittelmehrheit kommt nur mit Stimmen unserer Fraktion zustande. Dennoch gab es bisher keinerlei gemeinsames Gesprächsangebot der Union“, sagt Clara Bünger, innenpolitische Sprecherin der Fraktion, dem Tagesspiegel.
Die Linke habe ein Gespräch angeboten, die Union verweigere sich dem aber bislang. „Natürlich prüfen wir die Vorschläge sorgfältig. Aber wer mit unserer Zustimmung rechnet, muss auch bereit sein, mit uns zu sprechen“, sagt Bünger. Die Entscheidung der Union, Heidi Reichinnek nicht ins Parlamentarische Kontrollgremium zu wählen, habe das Vertrauen in die Gesprächsbereitschaft der Union allerdings stark beschädigt.
In der CDU gilt ein Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linkspartei. Ob sich dieser unter den Bedingungen der neuen Mehrheitsverhältnisse weiter durchhalten lässt, erscheint zunehmend fraglich.
Grundsätzlich würde die Linke gerne eine Veränderung des Nominierungsschlüssels erreichen. Im Gespräch mit der „Rheinischen Post“ forderte Parteichef Jan van Aken ein eigenes Vorschlagsrecht für seine Fraktion: „Warum die FDP jetzt noch ein Zugriffsrecht haben soll und wir nicht, erschließt sich mir nicht.“
Die Wahl soll am 10. Juli stattfinden – wenn alle Fraktionen mitspielen. Gelingt dies nicht, fällt das Wahlrecht für den von der CDU beanspruchten Platz nach der parlamentarischen Sommerpause an den Bundesrat. Dort wäre sie zwar nicht auf die Stimmen der Linken angewiesen, müsste sich aber wohl der Kritik aussetzen, sich das Verfahren so zurechtzubiegen, wie es ihr passt. (Mitarbeit: Felix Hackenbruch)
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