zum Hauptinhalt
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Olaf Scholz.

© imago images/photothek

Wirecard-Affäre im Finanzausschuss: Warum die Regierung nervös sein muss

Haben sich führende Politiker der Koalition bis hinauf zur Kanzlerin in ein Betrugssystem verwickeln lassen? Im Finanzausschuss wird jetzt nachgehakt.

An diesem Mittwoch beginnt im Sitzungssaal 2300 des Paul-Löbe-Hauses der Bundestagswahlkampf. Um 16 Uhr kommt der Finanzausschuss des Bundestages zu einer Sondersitzung zusammen. Abgeordnete, die fern der Hauptstadt sind, dürfen sich per Telefon zuschalten. Einziger Tagesordnungspunkt der nicht öffentlichen Zusammenkunft: „Aktueller Sachstand zu den Vorkommnissen bei der Wirecard AG.“ Eingeladen sind (und kommen werden) Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier.

Am Ende der Fragerunden, die auch als Geheimsache eingestuft werden können, wird wohl ein Untersuchungsausschuss stehen. Die Oppositionsfraktionen haben angedeutet, einen solchen zu beantragen, Union und SPD können sich nicht sperren. Und damit könnte bis ins kommende Jahr hinein untersucht werden, wer in der Regierung wann, was, wie und warum unternommen hat in der Wirecard-Affäre - oder eben nicht.

Die Opposition hat ein Interesse, einerseits dem potenziellen Kanzlerkandidaten der SPD etwas ans Bein zu binden und andererseits die sich aufdrängenden Fragen zum Verhalten von Kanzlerin und Wirtschaftsminister zu vertiefen. Wie groß der Zusammenhalt von Union und SPD sein wird, ist eine spannende Frage. Die Nervosität in der Koalition ist aber schwer zu übersehen und zu überhören.

Potenzielles Gift

Für die Bundesregierung ist der Fall Wirecard potenziell giftig, weil sowohl das Finanzministerium als auch das Kanzleramt in Kontakt waren mit Managern des Unternehmens oder deren Beauftragten. Vor allem ging es dabei um den Marktzugang in China, den das wachstumsversessene Management des Zahlungsdienstleisters 2019 durch einen Firmenzukauf anpeilte.

Im Licht der neuen Erkenntnisse und Verdachtsmomente zu Wirecard – nach einem Bericht des „Handelsblatts“ könnte der Bilanzbetrug schon vor 15 Jahren begonnen haben – geht es um nichts weniger als die Frage: Haben sich führende Regierungspolitiker bis hinauf zur Kanzlerin in ein Betrugssystem verwickeln lassen? Wenn ja: Warum konnte das passieren? Und geschah das arglos oder wider besseres Wissen?

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können. ]

Um Transparenz zu schaffen, hat Scholz dem Finanzausschuss schon vor knapp zwei Wochen eine recht detaillierte Chronologie zukommen lassen. Und auch das Kanzleramt informierte verblüffend ausführlich über Kontakte.

Die Ausgangsfrage in einem Ausschuss dürfte dennoch sein, warum Spitzen der Regierung sich noch mit Wirecard befasst und dem Unternehmen bei dessen Bemühungen in China geholfen haben, als das Finanzministerium bereits wusste, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) wegen Marktmanipulation in alle Richtungen ermittelte, also auch gegen das Unternehmen selbst. Und auch eine Strafe gegen das Unternehmen verhängt hatte wegen Bummelei bei der Bilanzvorlage. Das war im Februar 2019, und seither hatte die Bafin regelmäßig zu Wirecard an das Scholz-Ressort berichtet.

Warum Scholz auftreten muss

Das Bundesfinanzministerium und seine nachgeordnete Behörde Bafin sind die erste Adresse in der Bundesregierung, wenn es um die Kontrolle von Unternehmen wie Wirecard geht. Das Problem: Der Konzern als Ganzes war nicht als Finanzdienstleister eingestuft, direkt zuständig war die Bafin daher nur für die Wirecard Bank AG, eine Unterfirma des Unternehmens.

Aber natürlich schaut die Bafin auf das Börsengeschehen. Und da ist Wirecard seit Jahren ein Thema gewesen, weil es den Verdacht der Marktmanipulation gegen Wirecard gab. Lange konnte das Unternehmen mit Sitz in Aschheim in Oberbayern bei Ermittlern den Eindruck erwecken, man sei ein Opfer von Machenschaften zu dem Zweck, den Börsenkurs zu drücken.

Ein Beispiel, auf das auch Scholz verweisen lässt: Der Bericht der Firma Zatarra Research 2016, in dem bereits von Korruption, Betrug und Geldwäsche im Zusammenhang mit Wirecard die Rede war. Allerdings war Zatarra eine dubiose Quelle, genutzt von einem mutmaßlich an einem Kurseinbruch der Wirecard-Aktie interessierten Börsenspekulanten, weshalb die Staatsanwaltschaft München ermittelte – das Verfahren endete im Mai 2020 mit einem Strafbefehl gegen den Spekulanten, wenn auch mit einer relativ geringen Summe.

Wendepunkt Frühjahr 2019

Im Frühjahr 2019 allerdings änderte sich die Lage. Die Bafin prüfte nun wegen mutmaßlicher Marktmanipulation in alle Richtungen, also auch gegen Wirecard. Und sie ließ nun erstmals auch die Bilanz prüfen, von der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung, einer im Staatsauftrag arbeitenden Privatfirma, die ebenfalls in die Sondersitzung des Finanzausschusses geladen wurde.

Seither gab es auch regelmäßig Berichte der Bafin zu Wirecard an das Scholz-Ressort. Am 15. April verhängte die Bafin zudem ein Bußgeld gegen Wirecard in Höhe von 1,52 Millionen Euro wegen Regelverstößen im Zusammenhang mit der Bilanz 2018 (die allerdings gut eine Woche später vom Wirtschaftsprüfungsinstitut EY uneingeschränkt bestätigt wurde).

Seither aber war klar, dass die bisherige Unschuldsvermutung zugunsten Wirecards behördlich mit einem Fragezeichen versehen war. Am 17. Juni schrieb Finanzstaatssekretär Wolfgang Schmidt, enger Vertrauter von Scholz, eine Mail an sein Gegenüber in Peking, um diesen vom Interesse Wirecards am Marktzugang in China zu informieren. Er war nach den bisher bekannten Dokumenten der erste ranghohe Regierungsvertreter, der sich in dieser – moderaten – Form für den Zahlungsdienstleister einsetzte.

Im November traf sich Schmidts Staatssekretärskollege Jörg Kukies mit Wirecard- Chef Markus Braun zu einem direkten Gespräch in München . Kukies arbeitete vor seinem Eintritt ins Ministerium bei Goldman Sachs. Das Finanzunternehmen war ein größerer Investor bei Wirecard mit einem Anteil von zuletzt fast drei Prozent.

Warum Altmaier geladen ist

Der Auftritt des Wirtschaftsministers in der Sondersitzung kommt nicht zuletzt auf Verlangen der SPD zustande, es ist eine Entlastungsaktion zugunsten von Scholz. Die Begründung: Altmaier sei für die Wirtschaftsprüfungsinstitute zuständig. Und zur Verteidigungslinie von Scholz gehört der Verweis, dass die Firma EY (früher Ernst & Young) bis 2018 alle Wirecard-Bilanzen testiert habe, dass also die mutmaßlichen Bilanzbetrügereien selbst den Prüfern nicht aufgefallen seien.

Tatsächlich liegt die oberste Aufsicht beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa), das Altmaier untersteht. Weil der Betrugsskandal bei Wirecard immer größere Formen annimmt und die die EY-Kontrolleure im Verdacht stehen, ebenfalls in die Machenschaften verstrickt zu sein, geht es bei der Altmaier-Befragung darum, ob diese Aufsicht und auch die gesetzlichen Vorschriften wirksam genug ist.

Wie das Kanzleramt in die Affäre geriet

Es sind zwei CSU-Leute, die sich im Kanzleramt direkt für Wirecard stark machten: der frühere Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg, der heute als Lobbyist arbeitet, und der frühere Geheimdienstbeauftragter im Kanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche.

Fritsche bat um einen Termin in der Regierungszentrale für Wirecard, worauf „auf Arbeitsebene“, wie ein Regierungssprecher mitteilt, Informationen vom Finanzministerium erbeten wurden. Geliefert wurden laut der Darstellung des Vorgangs nur öffentlich zugängliche Dokumente: Antworten auf Anfragen aus dem Bundestag, Links zur Bafin-Webseite, ein Artikel des Handelsblatts.

[Die Coronavirus-Krise ist auch für die Politik eine historische Herausforderung. Jeden Morgen informieren wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, in unserer Morgenlage über die politischen Entscheidungen, Nachrichten und Hintergründe. Zur kostenlosen Anmeldung geht es hier.]

Am 3. September sprach Angela Merkel mit Guttenberg, auf ihrer Reise nach China vom 5. bis 7. September hat die Kanzlerin die von Wirecard geplante Übernahme von Allscore „angesprochen“ – ohne Kenntnis von „möglichen schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard“ und „laufenden oder vergangenen strafrechtlichen Ermittlungen“ gegen Allscore, wie es in dem Papier heißt. Guttenberg wurde hernach über den zuständigen Abteilungsleiter Hendrik Röller „weitere Flankierung zugesagt“.

Röller traf sich am 11. September mit Fritsche und zwei Wirecard-Managern, in dem es um Geschäftsaktivitäten in Fernost gingen. Zu deren Verbesserung hatte sich Wirecard im Sommer und Herbst 2019 also – über nahe Mitarbeiter von Merkel und Scholz – recht gut positioniert. Doch die Wolken brauten sich bereits zusammen: Im Oktober sah sich Wirecard veranlasst, eine Sonderprüfung bei dem Unternehmen KPMG in Auftrag geben, um den Vorwürfen der Bilanzfälschung – zuletzt einige Wochen davor einmal mehr in der „Financial Times“ – entgegentreten zu können. Das KPMG-Gutachten, im April 2020 veröffentlicht, konnte schwerwiegende Vorwürfe nicht ausräumen und war der Beginn des Absturzes von Wirecard in die Insolvenz.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false