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Die rechtsradikale Politikerin Marine Le Pen

© Denis Charlet / AFP

Zwischen Lähmung und radikaler Zeitenwende: Was eine Wahl Le Pens für Europa bedeuten würde

Ein Triumph der Rechten in Frankreich hätte in Europa ein politisches Erdbeben zur Folge. Und der deutsch-französische Motor wäre Schrott. Eine Analyse.

Die Spitzen der Europäischen Union geben sich in Sachen Frankreich-Wahl wortkarg. Niemand möchte öffentlich mit einem Satz zitiert werden, der womöglich die Chancen von Marine Le Pen auf den Sieg noch weiter erhöhen könnte. Die rechtsradikale Politikerin auf dem Präsidentensessel wäre für die EU eine ähnliche Katastrophe wie der Brexit, so die fast einhellige Meinung auf den Fluren in Brüssel.

„Die Zusammenarbeit in Europa würde sehr, sehr schwierig werden“, formuliert es Daniel Freund, Europaparlamentarier für die Grünen und Fachmann für Fragen in Sachen Rechtsstaatlichkeit. Er macht deutlich, dass ihre Wahl eine ganze Kaskade von fundamentalen Problemen nach sich ziehen würde.

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Beobachter gehen davon aus, dass ein Sieg von Marine Le Pen zuerst einmal Paris in einen politischen Lähmungszustand versetzen würde. Sie wäre zwar die mächtigste Politikerin im Land, aber auch ihr würde es nicht gelingen, gegen den Senat und die Nationalversammlung zu regieren. Dort verfügt Marine Le Pen über keinerlei Rückhalt und die Mehrheit der bürgerlichen Parteien würde sich geschlossen gegen sie positionieren. Es käme zu einer noch nie dagewesenen Machtprobe – mit ungewissem Ausgang.

Daniel Freund erinnert an die große Machtfülle des französischen Präsidentenamtes. „Natürlich muss man abwarten, was Marine Le Pen tun würde“, sagt der Politiker, sie könne aber auf jeden Fall „enormen Schaden“ anrichten. Er sieht eine Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit in vielen Ländern der Europäischen Union und nennt das Beispiel Ungarn.

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Die Mechanismen der EU, um Sanktionen gegen Mitgliedsländern wegen möglicher Eingriffe in den Rechtsstaat in Gang zu setzen, sei auf eine qualifizierte Mehrheit der Staaten gebaut. „Wenn Frankreich einem solchen Verfahren gegen Ungarn nicht mehr zustimmen würde, wäre auch dieses Instrument wirkungslos“, erklärt Daniel Freund. Er verweist auf die große Nähe von Marine Le Pen zu dem umstrittenen Premier Victor Orban, der sein Land immer autoritärer regiert.

Emmanuel Macron wählte im nordfranzösischen Badeort Le Touquet-Paris-Plage.
Emmanuel Macron wählte im nordfranzösischen Badeort Le Touquet-Paris-Plage.

© Thibault Camus/AFP

Eine ähnliche Faszination hegt die französische Rechtspopulistin für den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Noch 2017 ließ sie sich für den Wahlkampf auf einer Moskaureise mit ihm fotografieren und erklärte, sie teile seine Sicht auf die Ukraine. In diesen Tagen erklärte sie, dass der inzwischen von der demokratischen Welt geächtete Kreml-Herrscher „selbstverständlich“ wieder ein guter Partner für den Westen werden könne. Das heißt, dass mit ihrem Einzug in den Élysée-Palast die europäische Einheitsfront gegen Russlands Krieg in der Ukraine zerbrechen würde.

Ein Blick in das Wahlprogramm von Marine Le Pen verrät noch mehr – allerdings wieder nichts Gutes für die EU. Gefahr besteht für den Green Deal, das wichtigste Politikprogramm der EU für die kommenden Jahrzehnte. So sollen in Europa etwa die alternativen Energieformen mit Milliardensummen aus Brüssel gefördert und der Kontinent klimaneutral gemacht werden. Dazu ist in vielen Bereichen allerdings noch die Zustimmung der Mitgliedstaaten notwendig.

Die Rechtspopulistin fordert für ihr Land aber ein Moratorium für Solaranlagen und Windkraft. Viele der bestehenden Windräder will sie wieder abbauen lassen. Gefördert werden soll nur die Atomkraft, mit der Frankreich heute rund 70 Prozent seiner benötigten Energie erzeugt. Eine solche Herangehensweise würde nicht nur die Idee des Green Deal zerstören, sondern die ehrgeizigen Ziele in unerreichbare Ferne rücken.

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Vor allem Berlin müsste sich auf eine radikale Zeitenwende einstellen. Marine Le Pen würde nicht zögern, den vielgepriesenen und ebenso häufig kritisierten deutsch-französischen Motor zu verschrotten. Tatsache ist, dass viele wichtige Reformen nur aufgrund der Verständigung zwischen den beiden politischen und wirtschaftlichen Schwergewichten realisiert werden konnten. Marin Le Pen möchte aber, dass Frankreich seine Partnerschaften künftig neu ausrichtet. Mit der engen Kooperation zwischen Berlin und Paris will sie brechen. Zuletzt erklärte sie, die deutsch-französische Beziehung bedeute im Ergebnis, „desillusioniert, verraten und im Stich gelassen zu werden“.

Le Pen sieht Nato-Osterweiterung als Bedrohung Russlands

Aber nicht nur die Einheit der Europäischen Union wäre in Gefahr, auch die Nato würde nach einem möglichen Sieg von Marine Le Pen in eine Krise stürzen – und das während der größten militärischen Bedrohung Europas seit dem Zweiten Weltkrieg. Beim Blick auf das Verteidigungsbündnis teilt die Rechtspopulistin ausgerechnet die Einschätzung von Wladimir Putin. Die Nato sei eine „bellizitische Organisation“ und die Osterweiterung eine Bedrohung Russlands.

Konkret bedeutet das, dass Marin Le Pen Frankreich aus den Kommandostrukturen der Nato lösen will. Das würde nicht den Austritt der Atommacht bedeuten, hätte aber wohl im Falle des Krieges in der Ukraine fatale Konsequenzen. Denn die französischen Truppen, die bis jetzt an der sogenannten Ostflanke im Baltikum und in Rumänien das Bündnisgebiet schützen, würden sehr wahrscheinlich abgezogen.

Angesichts dieser Szenarien möchte sich der Grünen-Politiker Daniel Freund einen Wahlsieg Marine Le Pens nicht vorstellen. Er sei zuversichtlich, dass die Rechtspopulistin es nicht in den Élysée-Palast schaffe, sagt er. Aber auch bei einer Niederlage sei die Gefahr nicht gebannt. „Allein dass sie immer stärker wird, ist kein gutes Zeichen für die Gesundheit der Demokratie in Frankreich.“

Knut Krohn

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