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Robert Habeck hatte kritisiert, dass Kapitalerträge bislang von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt sind.

© dpa/Uli Deck

Staat könnte großen Teil der Rendite kassieren: Was Kritiker und Unterstützer zu Habecks Sozialvorstoß sagen

Die Kritik an Robert Habecks umstrittenem Vorstoß für mehr Sozialbeiträge reißt nicht ab. Arbeitgebernahe Ökonomen kritisieren, dass der Staat bald 38 Prozent der Rendite von Anlegern abschöpfen könnte.

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Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßt den umstrittenen Vorstoß von Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck zur Heranziehung von Kapitalgewinnen zur Finanzierung der Sozialbeiträge. „Robert Habeck liegt richtig“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Grundsätzliche Offenheit für eine Heranziehung von mehr Beitragszahlenden für die Solidarsysteme zeigte der Arbeitnehmerflügel der CDU, die CDA.

„Es ist doch so, dass unsere Gesellschaft immer vermögender wird, die wenigsten Menschen aber durch Arbeit reich werden“, sagte der CDA-Vorsitzende Dennis Radtke. Ohne langfristige Anpassung an diese Entwicklung gehe die Akzeptanz der Abgaben zurück. „Dem sollten wir frühzeitig zuvorkommen“, sagte Radtke. „Grundsätzlich bin ich offen dafür, die Finanzierung der Sozialversicherungen auf breitere Beine zu stellen.“

AfD und SPD gegen Habecks Vorschlag

Habeck hatte vorgeschlagen, Einkünfte aus Kapitalerträgen auch zur Finanzierung etwa der Krankenversicherung zu verbeitragen. Keine sechs Wochen vor der Bundestagswahl kamen von CSU und FDP harsche Reaktionen. Ihre Parteispitzen warnten vor einem Griff in die Taschen der Menschen.

Die Kritik hält an. Der Vize-Bundessprecher der AfD, Peter Boehringer, sagte laut einer Mitteilung: „Der Vorschlag von Robert Habeck, Kapitalerträge künftig mit Sozialabgaben zu belasten, ist ein Schlag ins Gesicht der deutschen Sparer.“ Serpil Midyatli, SPD-Vizechefin und Schleswig-Holsteins SPD-Fraktionschefin, sagte: „Anstatt Menschen, die fürs Alter vorsorgen, zusätzlich zur Kasse zu bitten, wollen wir, dass sich alle solidarisch an der Finanzierung der Krankenversicherung beteiligen.“ Eine solche Bürgerversicherung unter Einbeziehung aller Einkommen, auch Kapitaleinkünften, wollen auch die Grünen, etwa ausweislich ihres Grundsatzprogramms 2020.

Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lehnt den Habeck-Vorschlag ab. „Wir haben eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt. Jetzt noch Beiträge auf Erspartes in schlechte Strukturen zu pumpen, verärgert die Versicherten“, sagte Lauterbach der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Das Ersparte der gesetzlich Versicherten anzugreifen, treibe die gesetzlich Versicherten in die private Krankenversicherung.

DGB fordert gerechteren Beitrag von Kapitalanlegern

Habeck war gefragt worden, wie er den steigenden Krankenkassenbeiträgen begegnen wolle. So hatte die Techniker Krankenkasse vor einem Anstieg von derzeit 14,6 plus im Schnitt 2,91 (Zusatzbeitrag) auf künftig 20 Prozent gewarnt. Hauptgründe des seit Jahren spürbaren Beitragsanstiegs sind der medizinisch-technische Fortschritt, die Alterung sowie Reformen für bessere Bedingungen in der Pflege und für die Versorgung der Patientinnen und Patienten.

Piel sagte: „Arbeitnehmer brauchen dringend Entlastung.“ Der DGB fordere schon lange, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auch von Kapitaleinkünften zu erheben. Das sei gerechter. „Wichtig ist, dafür einen Freibetrag festzulegen.“ Sonst würde belastet, wer schon hohe Beiträge zahle. Doch beteiligt werden müssten die wirklich großen Vermögen. „Starke Schultern können einfach mehr stemmen.“

Kassenkreise: „Wenn Reiche mehr zahlen, könnten Beiträge sinken“

In Kreisen der Krankenkassen wird Habecks Vorschlag zumindest teilweise als gangbar diskutiert. „Reiche Personen mit hohen Kapitaleinkünften zahlen heute fast nichts“, heißt es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dort etwa. „Wenn Reiche ernsthaft mehr zahlen, könnten die Beiträge sinken.“ Aber so ein Modell müsse genau konzipiert und gerechnet werden, sodass die gewünschten Effekte erzielt würden.

Radtke nannte eine nachhaltige Finanzierung der Sozialversicherungssysteme „eine der großen Aufgaben der kommenden Regierung“. Habecks Idee aber schloss sich der CDA-Chef ausdrücklich nicht an. Für Schnellschüsse im Wahlkampf eigne sich das Thema nicht. Beitragsmittel und Steuergelder müssten wieder getrennt werden. „Da muss dringend aufgeräumt werden.“ Der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion, Axel Knoerig, sagte: „Bei Habecks Vorstoß fehlt mir, wie wir die arbeitende Mitte, die nebenher privat etwas vorsorgt, entlasten können.“

IW: Staat könnte 38 Prozent der Rendite abschöpfen

Was der Habeck-Vorschlag für Privatanleger und ihre Rendite auf Kapitalerträge bedeuten würde, haben Ökonom:innen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) berechnet. Dafür haben IW-Forschende einen Investitionsbetrag von 100.000 Euro und eine Rendite von fünf Prozent angenommen. Würde der Staat auf Erträge aus Aktienverkäufen, Dividenden und Zinsen auch noch Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge erheben, würde die Nettorendite für Anleger von 3,9 auf 3,1 Prozent sinken. Nach ihrer Rechnung würde der Staat also insgesamt rund 38 Prozent oder 1907 Euro kassieren. Das Investitionsrisiko trägt er allerdings nicht.

Bei noch höheren Investitionen oder Erträgen würde der Anteil für den Staat noch weiter steigen, da Freibeträge weniger stark ins Gewicht fallen. Diese wollen die Grünen allerdings ebenfalls erhöhen.

Dröge verteidigt Habeck und kritisiert Debattenkultur

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge verteidigte Habecks Vorstoß daher erneut. Es gehe dabei nicht um Menschen mit ein bisschen Geld auf dem Konto. „Dass die nicht gemeint sind, ist sonnenklar in der Debatte“, sagte sie in Berlin. Es gehe um ein durchdachtes Konzept mit hohen Freibeträgen. Zahlen nannte auch Dröge nicht.

Die Fraktionschefin kritisierte zudem den Tenor der Diskussion um das Thema. „Immer wenn jemand einen Vorschlag macht, der die Reichsten belastet, wird eine Debatte fälschlicherweise inszeniert, die denjenigen, die nicht gemeint sind, das Gefühl gibt, dass sie gemeint sein könnten.“

Auch Habeck betonte, es gehe um die „Einbeziehung der Kapitaleinkünfte von Leuten, die große Kapitaleinkünfte haben“. Derzeit würde der Druck auf die Löhne der arbeitenden Bevölkerung immer höher. Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt sagte im „Frühstart“ von ntv und RTL: „Wenn man Gerechtigkeit will, (...) dann muss man auch ehrliche Vorschläge machen.“

Die Anlegerschützer vom DSW werten Habecks Idee als „eine Attacke auf die private Altersvorsorge“ der Bürger. „Denn es würde ausschließlich Privatanleger treffen, da die größeren Vermögen in Kapitalgesellschaften gebunden sind“, sagte Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler. (fki, dpa, AFP)

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