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Präsidentenwahl: Wer ist die Bundesversammlung?

Sie hat 1244 Mitglieder. Die Bundestagsabgeordneten sind dabei und Vertreter der Länder. Am Mittwoch wählen sie einen neuen Bundespräsidenten. Und klären eine Machtfrage.

Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen galt lange Zeit als das politische Großereignis in diesem Jahr. Durch den Rücktritt von Horst Köhler könnte nun aber die Wahl eines neuen Bundespräsidenten die weitaus größere politische Strahlkraft haben. 1244 Sitze gibt es in der Bundesversammlung, die sich je zur Hälfte aus den 622 Bundestagsabgeordneten und genauso vielen Vertretern aus den Landtagen zusammensetzt. CDU und FDP könnten sich eigentlich beruhigt zurücklehnen – in Anbetracht einer komfortablen Mehrheit von rund 20 Stimmen. Doch erstens ist die rechnerische Überlegenheit etwas geschmolzen, weil die Nominierung der CDU-Wahlmänner und -frauen in einigen Landtagen schiefging, und zweitens täuscht sie, weil die politische Stimmung unklar ist. Denn vor allem in Teilen der FDP, aber auch bei einigen Christdemokraten ist die Überzeugung für den eigenen Kandidaten, den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff, nicht so groß. Sie liebäugeln mit dem Kandidaten der Opposition, dem ehemaligen DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck. Und so könnte die Bundespräsidentenwahl auch zur Machtfrage der Regierung Merkel werden. Und weil es eng werden könnte, werden die Bundesländer weniger Prominente aus dem gesellschaftlichen Leben als sonst für die Bundesversammlung nominieren.

BADEN-WÜRTTEMBERG

Ganz auf Prominenz wollten die Baden- Württemberger nicht verzichten. Das Bundesland hat 79 Mitglieder in der Bundesversammlung, 25 davon sind Menschen, die nicht unmittelbar aus dem politischen Betrieb stammen. Einen so hohen Anteil hat kein anderes Bundesland zu bieten. Für die Südwest-CDU gehen dieses Mal unter anderem der Verleger Hubert Burda sowie der Olympiasieger in der Nordischen Kombination, Georg Hettich, nach Berlin. Für die SPD nehmen die Paralympics-Siegerin im Biathlon, Verena Bentele, der Schauspieler Walter Sittler sowie der Präsident des VfB Stuttgart, Erwin Staudt, teil. ctr

BAYERN

In Bayern bilden SPD und Grüne wie schon 2004 und 2009 eine Zählgemeinschaft. Dadurch erhalten sie einen Sitz mehr, als ihnen eigentlich zustünde. Insgesamt setzt vor allem die CSU auf politisch bewährte Kräfte. So wurden neben diversen Landtagsabgeordneten auch die beiden Granden Edmund Stoiber und Theo Waigel von der CSU für die Bundesversammlung nominiert. Ähnlich ist es bei FDP, SPD und Grünen. Sie haben auch mehrheitlich Personen aus der Politik in ihrer Delegation, einzige Ausnahme: der Jazzmusiker Klaus Kreuzeder, der von SPD und Grünen nominiert wurde. ctr

BERLIN

Die Hauptstadt schickt 25 Vertreter in die Bundesversammlung, von denen die SPD neun, die CDU sieben, die Grünen und Linken jeweils vier und die FDP zwei nominieren durften. Dazu zählen der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der DGB-Bundesvorsitzende Michael Sommer, der Chef des Deutschen Leichtathletik-Verbands Clemens Prokop und der Liedermacher Klaus Hoffmann, die von der SPD vorgeschlagen wurden. Die Christdemokraten entsenden unter anderem die Verlegerin Friede Springer und die Rockmusikerin Petra Zieger. Auf der Liste der Grünen stehen die Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde, Marianne Birthler, sowie die Schauspielerin Nina Hoss. Linke und FDP schicken ausschließlich aktive Politiker zur Wahl. za

BRANDENBURG

Er gilt als einer der letzten Konservativen in Deutschland: Jörg Schönbohm, 72 Jahre, Kleinmachnow, Pensionär, einst General, im CDU-Bundespräsidium, Landesvorsitzender und Innenminister in Potsdam. Nun hadert er mit Angela Merkel, wieder einmal. „Ich hätte mir gewünscht, dass man sich nach dem Hickhack um den Köhler-Rücktritt auf einen parteiübergreifenden Kandidaten einigt.“ Etwa auf einen wie Gauck. Trotzdem wird er für Wulff stimmen. „Denn es geht inzwischen um eine Machtfrage.“ Ansonsten sendet Brandenburg vor allem Berufspolitiker. thm

BREMEN

Hier war die Nominierung der Delegierten besonders konfliktbeladen. Denn der CDU ging ein Wahlvertreter verloren, weil SPD, Grüne und FDP eine Zählgemeinschaft eingingen. Es kam zu einem Patt, und ein Münzwurf entschied über den fünften Wahlmann zugunsten des rot-gelb-grünen Zweckbündnisses. Dadurch konnte der Bremer FDP-Landeschef Oliver Möllenstädt nominiert werden, und der kündigte sofort an, er werde für den rot-grünen Bundespräsidentenkandidaten Gauck stimmen. ctr

HAMBURG

Auch in Hamburg musste das Los entscheiden: zwischen CDU und Linken. Den Zuschlag für den 13. Hamburger Platz bekam die CDU. Und die setzt auf bewährte Parteikräfte. Unter anderem auch auf Birgit Breuel. Die frühere niedersächsische Wirtschafts- und Verkehrsministerin im Kabinett von Ernst Albrecht sowie Finanzministerin leitete von 1991 bis 1994 die Treuhandanstalt. Sie ist inzwischen im politischen Ruhestand und lebt in Hamburg. Die SPD hat auch drei Wahlleute benannt, die keine politischen Ämter innehaben. Franz-Josef Möllenberg ist Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten, Günter Ploß steht dem Hamburger Sportbund vor. Und auch die Schauspielerin Nina Petri hat Stimmrecht. dh

HESSEN

Vor allem die Grünen haben für Aufsehen gesorgt. Ihnen ist es gelungen, Hildegard Hamm-Brücher zu nominieren. Sie war einmal Staatsministerin im Auswärtigen Amt, und vor allem war sie 1994 selbst Präsidentschaftskandidatin der FDP. Außerdem haben die Grünen den iranischen Schriftsteller Navid Kermani nominiert. Die SPD schickt unter anderem IG-Metall-Chef Berthold Huber nach Berlin. CDU und FDP setzen auf Minister und Abgeordnete. ctr

MECKLENBURG-VORPOMMERN

Hier ist es die Linke, die nicht ausschließlich auf politische Kräfte setzt. Einer der beiden Sitze geht an die Radiomoderatorin Andrea Sparmann. Die 28-Jährige moderiert beim Privatsender Ostseewelle eine Morgensendung. Mitglied der Linken ist sie aber nicht. Alle anderen Fraktionen im Landtag setzen auf Personen aus dem politischen Betrieb. ctr

NIEDERSACHSEN

Alle wollen auf Nummer sicher gehen. Deshalb ist die Liste der Wahlmänner und -frauen in diesem Jahr langweiliger. Die niedersächsische CDU hat nur Politiker aufgestellt. Bei der SPD dominieren ebenfalls politikerfahrene Vertreter, neben Landtagsabgeordneten sind aber auch der frühere Abteilungsleiter im Kultusministerium, Dieter Galas, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, und der Göttinger Verleger Gerhard Steidl dabei. Die FDP schickt ihr politisches Spitzenpersonal und eine junge Regierungsrätin. Die Grünen haben– fast traditionell – Migranten entsandt. wal

NORDRHEIN-WESTFALEN

Am Ende hat auch in NRW das Los entschieden. Weil CDU und SPD bei der Landtagswahl am 9. Mai annähernd gleich viele Stimmen erhalten haben, hätten sie rein rechnerisch jeweils 49,5 Wahlmänner oder -frauen in die Bundesversammlung schicken können. Gewonnen hat die CDU. Besonders fantasievoll sind die großen Fraktionen bei der Auswahl ihrer Kandidaten für die Wahl aber alle nicht vorgegangen. Die SPD sendet neben verdienten Fraktionsmitgliedern auch den nordrhein-westfälischen DGB- Chef Guntram Schneider und den ehemaligen Sozialexperten Rudolf Dressler in die Hauptstadt. Die Christdemokraten sind am anderen Ende der politischen Skala fündig geworden: Sie haben BDI-Chef Hans Peter Keitel und Arbeitgeberpräsident Horst-Werner Maier- Hunke nominiert. Mit Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben warten vor allem die Grünen auf. Sie haben Schauspielerin Martina Gedeck und den Regisseur Sönke Wortmann aufgeboten. jz

RHEINLAND-PFALZ

Die Rheinland-Pfälzer setzen ebenfalls vorrangig auf politische Kräfte. Allerdings gibt es Ausnahmen. So nominierte die SPD-Fraktion die frühere SWR-Nachrichtenchefin Karin von der Groeben, die Paralympics-Goldmedaillengewinnerin Hannelore Brenner und den Kaiserslauterner Opel-Betriebsratschef Alfred Klingel. Und die CDU schickt Andreas Barner, Vorstandssprecher des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim. ctr

SAARLAND

Die Saarländer verzichten gänzlich auf Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Stattdessen werden nur Berufspolitiker den Bundespräsidenten wählen. Für die Linke wird unter anderem Ex-Parteichef Oskar Lafontaine dabei sein. ctr

SACHSEN

Sachsens CDU hat bei der Wahl der Delegierten wieder einmal gepatzt. Bei der Abstimmung für die Vertreter in der Bundesversammlung im Landtag kamen die CDU-Kandidaten nur auf 52 Stimmen, sechs weniger, als die Partei Sitze hat. Dabei fehlten nur zwei Abgeordnete wegen Krankheit. Nun kann die Union nur 14 Leute nach Berlin entsenden, zwei weniger, als der Partei nach den Mehrheitsverhältnissen eigentlich zustehen. Auch bei der Wahl 2009 war ihr das passiert. Die Christdemokraten schicken unter anderem den früheren Ministerpräsidenten Georg Milbradt. Grüne und SPD bilden eine gemeinsame Liste. Prominentester Nicht-Politiker darauf ist Sebastian Krumbiegel, Sänger der Pop-Gruppe „Die Prinzen“. Besonders interessant sind aber die sächsischen Liberalen. Sie haben angekündigt, für Gauck zu stimmen. In der CDU hatte es in den vergangenen Wochen wegen dieses Seitensprungs ihres Koalitionspartners nur leises Murren gegeben. Die Unstimmigkeiten sollten nicht auf die Landespolitik überspringen, zumal es auch bei der CDU Sympathisanten für Gauck gibt. rah

SACHSEN-ANHALT

Ein Rückzug war in Sachsen-Anhalt der Höhepunkt der Kandidatenwahl. Denn die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann, war von der SPD nominiert worden. Doch CDU, FDP und Linke kritisierten diese Entscheidung für die Vertreterin einer eigentlich politisch neutralen Institution, Junkermann zog ihre Kandidatur zurück. Damit gehen für Sachsen-Anhalt vor allem Landes- und Kommunalpolitiker in die Bundesversammlung. ctr

SCHLESWIG-HOLSTEIN

Auch im Norden setzt man auf politische Kräfte. Aber nicht alle sind noch aktiv. So hat die SPD beispielsweise Heide Simonis, die ehemalige Ministerpräsidentin, nominiert. Die FDP schickt mit Wolfgang Kubicki ihren Fraktionsvorsitzenden zur Bundesversammlung. Dieser hatte offen seine Sympathie für Gauck geäußert. dh

THÜRINGEN

Thüringens früherer Ministerpräsident Dieter Althaus wird für die CDU an der Wahl teilnehmen. Damit fahren für die Thüringer Christdemokraten nur aktive Politiker und zwei Ex-Regierungschefs nach Berlin. Nicht dabei ist Dagmar Schipanski, die 1999 für die CDU Bundespräsidentin werden wollte. Sie hatte sich für Gauck ausgesprochen. Nominiert wurden die Vertreter Thüringens vom Landtag auf ungewöhnliche Weise. Wie einst bei der Nationalen Front, jenem Zusammenschluss der Parteien und Massenorganisationen in der DDR, hatten sich die fünf Fraktionen auf eine gemeinsame Liste geeinigt, über die durch Handheben im Parlament befunden wurde. Ergebnis: 100 Prozent Zustimmung, auch für Nicht-Politiker wie einen Soziologieprofessor aus Jena, eine evangelische Pröpstin aus Erfurt oder den scheidenden Biathlon-Bundestrainer Frank Ullrich. Die FDP schickt Landeschef Uwe Barth. Ähnlich wie die sächsischen Liberalen schwankt auch er, ob er Gauck oder doch wie von ihm erwartet Wulff wählen soll. Eine Entscheidung, so sagte Barth dem Tagesspiegel, werde er erst Anfang nächster Woche treffen. eke

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