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Wer sitzt beim Geld am längeren Hebel?: Neue Zeiten im Bund-Länder-Spiel
Die Ministerpräsidenten erwarten mehr Mittel aus Berlin. Aber bei der Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern könnten die Karten neu gemischt werden.
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Fremdelt Olaf Scholz mit dem Kreis, zu dem er einst gehörte? Nimmt der frühere Hamburger Bürgermeister die Länderchefs nicht mehr ernst genug, seit er Kanzler ist? Wenn sich die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) jetzt in Hannover trifft, wird der Kanzler fehlen - was den Länderchefs nicht gefällt. Schließlich hat er in der Bundesregierung, was in dieser Woche sehr deutlich geworden ist, die Richtlinienkompetenz.
Dass Scholz an der heute beginnenden Jahreskonferenz der Ministerpräsidenten nicht teilnimmt, ist für sich genommen zwar keine erstaunliche Tatsache. Denn üblicherweise trifft sich die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit den Kanzlern routinemäßig im Juni und Dezember. Zwischendurch gibt es Spitzentreffen nur, wenn es dringlich erscheint. Aber da gehen nun die Ansichten auseinander.
In der Flüchtlingskrise nach 2015 war Kanzlerin Angela Merkel oft in der Runde, dann in der Pandemie. Die Ministerpräsidenten haben sich so an eine höhere Frequenz beim Beisein der Kanzler gewöhnt. Zuletzt war Scholz am 4. Oktober in der MPK. Es gab einige Dinge zu besprechen: Gas- und Strompreisbremsen, Sicherheit der Energieversorgung und Maßnahmen zum Energiesparen und zum Ausbau erneuerbarer Energien, Nachfolge Neun-Euro-Ticket.
Nichts ist so schlecht wie ungeklärte Fragen in Krisen
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident
Das sind allesamt Vorhaben, bei denen die Länder mit im Boot sein müssen und die teils auch ihre Etats belasten. Die drei Entlastungspakete der Bundesregierung in diesem Jahr gingen nach Rechnung der Länder mehrheitlich zu Lasten ihrer Haushalte.
Aber zu echten Beschlüssen kam es vor zwei Wochen nicht – die Länderchefs waren unzufrieden. Vereinbart wurde allerdings, dass man sich „zeitnah“ wieder treffen wolle, „sobald die Einzelheiten zur Wirkung der Energiepreisbremsen absehbar sind und die Steuerschätzung vorliegt“. Weder das eine noch das andere ist der Fall – die Steuerschätzung kommt erst kommende Woche. Warum also sollte Scholz sich schon wieder in die MPK-Runde begeben?
Er hat ausrichten lassen, dass er vom 10. November an zur Verfügung steht. Und so muss die MPK ein Weilchen auf ihn warten. Und sich mit Christian Lindner und Robert Habeck begnügen, die nun am Freitag zur Jahreskonferenz anreisen. Prokura haben sie nicht. Insofern wird es keine Bund-Länder-Beschlüsse geben.
Der 10.11. ist den Ländern zu spät
Winfried Kretschmann ist deswegen sauer, andere sind es auch. „Nichts ist so schlecht wie ungeklärte Fragen in Krisen“, sagt der baden-württembergische Regierungschef. Der 10. November sei zu spät. Der aktuelle Chef der MPK, Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil lässt durchblicken, dass die Länder insgesamt ganz gern einen früheren Termin hätten. Sie alle fürchten, dass Unklarheit den Unmut beiden Bürgern wachsen lässt.
Scholz & Co. aber können warten. Denn nichts wirkt in Krisenzeiten wie diesen so unpassend wie ein Länderaufstand gegen eine Bundesregierung, die sich mit vielfältigem Krisenmanagement zu beschäftigen hat – und sei es auch nur die Klärung hausgemachter Koalitionskrisen. Will der Bundesrat etwa das Wohngeldgesetz oder den Inflationsausgleich bei der Einkommensteuer aufhalten, weil ihm die Finanzierung nicht passt?
Flüchtlinge, Nahverkehr, Kliniken
Kein Ministerpräsident denkt ernsthaft daran. Finanzverteilungsfragen zwischen den staatlichen Ebenen stehen beiden Bürgern nicht ganz so weit oben wie die eigene Heizungsrechnung. Der Bund sitzt derzeit einfach am längeren Hebel. Zudem gibt es noch einige Themen, bei denen die MPK ans Geld denkt – der Bund aber auch, jeweils mit Blick auf die eigenen Etats. Neben der Lastenverteilung bei den Entlastungen der Bürger sind das die Flüchtlingskosten, der öffentliche Nahverkehr und die Krankenhäuser.
Am Mittwoch plädierte der Deutsche Städtetag zudem dafür, endlich einen „Rettungsschirm“ für die Stadtwerke aufzuspannen – „damit in der Existenz bedrohte Stadtwerke trotz hoher Preise weiter sicher Energie beschaffen können“, wie der Verbandspräsident Markus Lewe, Oberbürgermeister in Münster, sagt.
Bei den Flüchtlingskosten herrscht besonders viel Unmut unter den Ministerpräsidenten. Lindner hat seinen Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer vorgeschickt mit einem Angebot, das aus Ländersicht eine Unverschämtheit ist. Nur eine Milliarde Euro mehr soll es vom Bund geben, obwohl vor allem die Kosten der Unterkunft für Flüchtlinge gerade immer weiter steigen. Die Länder sind hier Interessenvertreter ihrer Kommunen, die für Unterbringung zuständig sind.

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Lindner geht weitaus rücksichtsloser mit den Ländern um, weil seine Partei nur in zwei Ländern in der Regierung sitzt – in Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt. So thematisiert er offensiver als frühere Bundesfinanzminister, dass es aus Bundessicht eine deutliche Schlagseite bei der Geldverteilung gibt. Und zwar zu Lasten des Bundes.
Über viele Vereinbarungen hinweg ist über Jahre eine stärkere Mitfinanzierung von Aufgaben der Länder und Kommunen geworden – allerdings auch deshalb, weil der Bund über seine Gesetzgebung Mehrausgaben bewirkt hat und von den Ländern zur Kompensation veranlasst wurde – dank Mitregierung über den Bundesrat.
Lindner aber steht nun vor der Herausforderung, die Verdopplung der Bundesschuld wegen Corona, Ukraine-Krieg und Gaskrise in Zeiten der Zinswende stemmen zu müssen. Auf demnächst zwei Billionen Euro steigt die Bundesschuld, der geforderte Zins für neue Kredite wuchs seit Jahresbeginn von null auf deutlich mehr als zwei Prozent, und ein Teil der Notlagenschulden muss ab 2028 getilgt werden. Das läuft auf eine massive Mehrbelastung des Bundesetats hinaus.
Die Zeit der Überschüsse und Nullzinsen nach 2014 ist vorbei und damit auch die Lockerheit auf Bundesseite, was finanzielles Entgegenkommen mit Blick auf Länder und Kommunen betrifft. Insofern wird Lindner am Freitag ein Gast in der MPK sein, de alles andere als eine frohe Botschaft verkündet. Die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern gehen in eine Phase erhöhter Anspannung – die Länder aber können vorerst nicht so aufbegehren, wie sie es gerne täten.
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