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„Wir sind in einem Wettlauf gegen die Zeit“: Klimaforscher kritisieren Beschlüsse des Koalitionsausschusses
Um der Wirtschaft zu helfen, lockert Schwarz-Rot Klimaschutzvorgaben. Verabschiedet sich die Regierung stillschweigend von den eigenen Klimaschutzzielen?
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25 Minuten lang präsentieren die Parteivorsitzenden von Union und SPD am Donnerstagabend im Bundestag die Zwischenergebnisse des Koalitionsausschusses: Einen Industriestrompreis, neue Gaskraftwerke, ein Deutschlandfonds und eine Absenkung der Ticketsteuer im Luftverkehr. „Es geht darum, unsere Wirtschaft signifikant zu entlasten“, betont Friedrich Merz.
Ein anderes Thema, das eng mit den Beschlüssen zusammenhängt, wird vom Bundeskanzler dagegen nur einmal in einem Nebensatz thematisiert. Die neuen Gaskraftwerke würden so ausgeschrieben, dass sie auf Wasserstoff umrüstbar und somit mit den Klimazielen Deutschlands vereinbar seien. Ansonsten kein Wort zum Klima von Lars Klingbeil, Bärbel Bas, Markus Söder und Merz.
Dabei geht es bei dem, was Schwarz-Rot planen, nicht nur um die Wirtschaft, sondern auch ums Klima. Inlandsflüge sollen wieder lukrativer, die Erdgas-Infrastruktur ausgebaut, der Industriestrompreis aus dem Klima- und Transformationsfond finanziert werden. Auch das Verbrenner-Aus in der EU und das Heizungsgesetz in Deutschland wollen Union und SPD aufweichen.
Dabei hat sich Deutschland eigentlich vorgenommen, bis 2045 klimaneutral zu sein. Es ist aber nicht nur ein ambitioniertes Ziel, sondern ein verbindliches Gesetz, inklusive Zwischenzielen für die Jahre 2030 und 2040. Geraten diese Ziele beim Versuch der Wirtschaft zu helfen gerade aus dem Blick?
Klimaforscher reagieren am Tag nach dem Koalitionsausschuss alarmiert. „Wir sind in einem Wettlauf gegen die Zeit, um noch eine lebenswerte Zukunft für unsere Kinder und Enkel zu sichern“, sagt Stefan Rahmstorf, der seit 1996 am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung forscht, dem Tagesspiegel.
Rahmstorf kritisiert, dass Worte und Taten von Merz und Co beim Klimaschutz auseinanderklaffen würden. „Es ist verantwortungslos, sich in Sonntagsreden zum Pariser Klimaabkommen zu bekennen, aber in der Praxis den Klimaschutz zu untergraben.“
Auch Brigitte Knopf, Direktorin am Thinktank Zukunft KlimaSozial, kritisiert die Beschlüsse von Schwarz-Rot. „Nachdem auf europäischer Ebene der Start des Emissionshandels für Gebäude und Verkehr um ein Jahr von 2027 auf 2028 verschoben wurde, wäre es eigentlich wichtig gewesen, dass die Bundesregierung nun ein starkes Signal in Richtung Klimaschutz sendet“, sagte sie dem Tagesspiegel. Mit der Senkung der Luftverkehrssteuer und der erneuten Einführung der Steuervergünstigung für Agrardiesel sei aber das Gegenteil passiert.
Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, darf die Bundesregierung jetzt keine Rolle rückwärts machen.
Die Klimawissenschaftlerin Brigitte Knopf kritisiert Schwarz-Rot.
Sie kritisierte auch den Plan der Koalition, das Heizungsgesetz abzuschwächen. Vor allem in den Reihen der Union will man die Vorgabe, dass neue Heizungen zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden, streichen. Knopf kritisiert das ebenso, wie die Debatte ums Verbrenner-Aus. „Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, darf die Bundesregierung jetzt keine Rolle rückwärts machen.“
Wenig überraschend sehen das auch Umweltaktivisten so. Greenpeace nannte die Rücknahme der Luftverkehrsteuer-Erhöhung ein fatales Signal und nahm Bezug auf die laufende Weltklimakonferenz in Brasilien: „Während die Staatengemeinschaft auf der COP30 in Belém um die Reduktion von CO₂-Emissionen ringt, verteilt die Bundesregierung Steuer- und Preisgeschenke an die fossilen Industrien“, sagte der deutsche Greenpeace-Chef Martin Kaiser der Deutschen Presse-Agentur.
Im Verkehrsbereich hakt es beim Klimaschutz seit Jahren
Diesem Eindruck widersprach jedoch die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Isabel Cademartori: „Die Luftverkehrssteuer hat keinen Klimaeffekt, weil sie Flüge lediglich ins europäische Ausland verlagert“, sagte sie. Das koste Arbeitsplätze in Deutschland und mache das Fliegen für Menschen hierzulande teurer und umständlich.
Doch auch beim Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene sieht man eine Schlagseite bei den Beschlüssen der Koalition. „Die Regierung macht Fliegen billiger, während die Bahnen in Deutschland weiterhin die höchste Bahnstromsteuer in Europa zahlen – die Bundesregierung lässt sie unverständlicherweise beim Industriestrompreis außen vor“, sagt Geschäftsführer Dirk Flege.
Auch für den Ausbau des Schiennetzes könnte künftig noch mehr Geld fehlen. Denn mögliche Steuermindereinnahmen bei der Ticketsteuer im Luftverkehr sollen laut dem Kanzler im Verkehrsetat verbucht werden – dem Ressort, das beim Klimaschutz seit Jahren hinterherhinkt.
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