zum Hauptinhalt
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Mittwoch im Europaparlament in Brüssel.

© REUTERS

„Zu spät“, „zu optimistisch“, „zu sicher“: Das Schuldeingeständnis von Ursula von der Leyen

Im Europaparlament gibt es weiter Unterstützung für die EU-weite Vakzin-Bestellung. Aber auch außerhalb Deutschlands herrscht Enttäuschung über das Impftempo.

Es war gewissermaßen ein Schuldeingeständnis in einer kleinen Dosis, das Ursula von der Leyen vor dem Europaparlament abgab. „Wir waren spät dran bei der Zulassung. Wir waren zu optimistisch bei der Massenproduktion. Und vielleicht waren wir uns auch zu sicher, dass das Bestellte tatsächlich pünktlich geliefert wird“, sagte die EU-Kommissionspräsidentin am Mittwoch vor dem Plenum des Parlaments in Brüssel angesichts der Kritik, die seit Wochen auf die EU angesichts des schleppenden Starts der Impfkampagne einprasselt.

Großbritannien liegt bei Erstimpfungen weiter vor der EU

Vor allem der massive Ausfall der Impfstoff-Lieferungen durch den britisch-schwedischen Konzern Astrazeneca hat dazu geführt, dass von der Leyen in die Defensive geraten ist. In Großbritannien, wo die Regierung im Mai des vergangenen Jahres und damit drei Monate vor der EU einen Liefervertrag mit der Pharmafirma abschloss, hat inzwischen ein wesentlich höherer Anteil als in der EU eine Erstimpfung erhalten.

Vor allem in Deutschland muss sich die EU-Kommission daher harsche Kritik anhören. Es war deshalb kein Zufall, dass von der Leyen in ihrer Rede vor dem Europaparlament die Grundsatzentscheidung für eine gemeinschaftliche europäische Bestellung in ihrer Muttersprache verteidigte: „Es war richtig und es ist richtig, dass wir Europäerinnen und Europäer den Impfstoff gemeinsam bestellt haben und nun solidarisch teilen.“ Sie wolle sich gar nicht ausmalen, was es bedeutet hätte, wenn einige große Mitgliedstaaten in der EU sich Impfstoff gesichert hätten „und der Rest leer ausgegangen wäre“, fügte sie hinzu.

Bis Ende des Sommers sollen 70 Prozent der Erwachsenen geimpft sein

Nach den Worten der Kommissionschefin hat die Impfkampagne in der EU "in Europa vielerorts an Fahrt aufgenommen". So seien in Polen seien bis Anfang Februar 94 Prozent des medizinischen Personals und 80 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner in Altenheimen geimpft worden. In Dänemark liege die Impfquote in den Altenheimen sogar bei 93 Prozent. Und in Italien hätten inzwischen mehr als vier Prozent eine Impfung erhalten. Von der Leyen bekräftigte das Ziel, dass in der EU bis zum Ende des Sommers 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung mit einem Vakzin versorgt werden sollen.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Während die belgische Sozialistin Kathleen von Brempt sich erleichtert darüber zeigte, dass in ihrem Land die Impfstoffe zu den gleichen Bedingungen und zum gleichen Preis wie in Deutschland verfügbar sind, äußerte ihr Fraktionskollege Udo Bullmann (SPD) deutliche Kritik an der Beschaffungspolitik der EU. Natürlich sei die gemeinsame Bestellung richtig gewesen, sagte er. Die Summe von 2,7 Milliarden Euro, welche die EU-Kommission für die Unterstützung bei der Impfstoffentwicklung und beim Aufbau von Produktionskapazitäten bislang ausgab, sei aber zu gering. „Das war zu wenig, und das muss korrigiert werden“, verlangte Bullmann.

CDU-Mann Liese rechnet vor: Gesamtausgaben liegen bei 22 Milliarden

Eine andere Rechnung machte hingegen der CDU-Gesundheitsexperte Peter Liese auf. Es sei ein Mythos, dass die EU insgesamt zu wenig Geld für die Bestellung der Vakzine ausgegeben habe. Denn wenn man die EU-Notfallmittel in Höhe von 2,7 Milliarden Euro mit den inzwischen von den Mitgliedstaaten für die Bestellung der Vakzine bereitgestellten Geldern addiere, komme man auf eine Summe von 22 Milliarden Euro. „Es ist nicht alles perfekt gelaufen, aber vieles wird auch verdreht“, so Liese.

Liese gehört derselben Partei an wie die CDU-Politikerin von der Leyen, und von daher erhielt die Kommissionspräsidentin bei der Debatte aus der christdemokratischen EVP-Fraktion auch den größten politischen Flankenschutz. So bemühte sich EVP-Fraktionschef Manfred Weber, den Blick nach vorne zu richten. Der CSU-Politiker forderte ein EU-Programm in Höhe von zehn Milliarden Euro, um die Impfstoffproduktion auf dem Kontinent anzukurbeln. Weber verlangte zu diesem Zweck eine Mobilisierung aller Produktionsanlagen sowie eine „große Pharmaallianz“. Zudem müsse das Format der G-7-Gipfel der westlichen Industriestaaten genutzt werden, um den in Großbritannien und den USA herrschenden „Egoismus“ bei der Versorgung mit Impfstoffen zu überwinden. Gleichzeitig dürfe die EU nicht „naiv“ sein, forderte er. Deshalb müsse ein EU-Exportverbot für Vakzine als Option auf dem Tisch bleiben.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Im Streit mit Großbritannien über den Zugang zu Impfstoffen des Herstellers Astrazeneca hat sich von der Leyen Ende Januar einen Schnitzer geleistet, für den sie sich am Mittwoch im EU-Parlament erneut entschuldigte. Zwischenzeitlich hatte die EU-Kommission erwogen, einen Notfallmechanismus im Nordirland-Protokoll des Brexit-Austrittsvertrages zu aktivieren. Dies wäre darauf hinausgelaufen, dass die EU Ausfuhrkontrollen für Impfstoffe zwischen Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland installiert hätte - ausgerechnet dort, wo wegen der jahrzehntelangen Bürgerkriegs-Erfahrungen Kontrollen eigentlich tabu sein sollten. "Das bedaure ich auch sehr", sagte von der Leyen am Mittwoch im Nachhinein.

"Frust und Desillusion" wegen fehlenden Nachschubs

Das Eingeständnis ändert aber nichts daran, dass das geringe Impftempo weiterhin Kritik auslöst - und zwar nicht nur in Deutschland. So musste sich von der Leyen etwa von der tschechischen Abgeordneten Dita Charanzova von den Liberalen den Vorwurf anhören, dass in ihrem Land wegen des fehlenden Nachschubs "Frust und Desillusion" herrschten. Derweil forderte der Grünen-Abgeordnete Rasmus Andresen, dass von der Leyen einen konkreten Plan vorlegen müsse, aus dem hervorgehe, wie die versprochene Impfung eines Großteils der erwachsenen Bevölkerung in der EU bis zum Ende des Sommers erreicht werden könne. Es sei nicht ausreichend, nur auf die Zusagen der Hersteller zu setzen, gab Andresen zu bedenken.

Verpuffen dürfte mangels parteiübergreifender Unterstützung unterdessen die Forderung der Linksfraktion im EU-Parlament, einen Untersuchungsausschuss zur Impfstoffbeschaffung einzurichten. Die Ko-Vorsitzende der Linksfraktion, Manon Aubry, kritisierte, dass in den drei inzwischen veröffentlichten Verträgen mit den Pharmaunternehmen Angaben wie der Preis der Vakzine und die Lieferfristen geschwärzt worden seien. Die EU habe sich einem "Diktat der Pharmaunternehmen" unterworfen, beklagte Aubry.

Auch in diesem Punkt will von der Leyen den Kritikern etwas den Wind aus den Segeln nehmen. Die Kommissionschefin kündigte gegenüber den Europaabgeordneten an: "Ich werde alles tun, was mir möglich ist, damit Sie alle Verträge, die wir unterzeichnet haben, einsehen können."

Zur Startseite