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Hinweis auf die Maskenpflicht in Freiburg

© Imago/Winfried Rothermel

Zwischen NS-Vergleich und Experten-Kritik: Warum das neue Infektionsschutzgesetz so umstritten ist

Am Mittwoch wurde das neue Gesetz zum Gesundheitsschutz beschlossen. Viele Lügen sind dazu im Umlauf. Doch es gibt auch ernsthafte Bedenken.

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In den Büros vieler Bundestagsabgeordneter herrscht Ausnahmezustand. Minütlich gehen Mails ein, auch die Telefone klingeln deutlich häufiger als sonst. „So etwas habe ich in der Intensität noch nicht erlebt“, sagt ein Mitarbeiter. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hat bis Dienstagfrüh rund 37.000 Mails bekommen, die meisten mit wortgleichem Inhalt.

Das Anliegen der Schreiber und Anrufer: Kritik am neuen Infektionsschutzgesetz, das am heutigen Mittwoch im Bundestag verabschiedet werden soll.

Die Mailflut ist Nebenprodukt einer massiven Mobilmachung, die Gegner der Coronamaßnahmen und selbst ernannte „Querdenker“ in den sozialen Netzwerken betreiben. Desinformationen werden breit gestreut. Da ist die Rede von einem „Ermächtigungsgesetz“, vom Beginn einer „Diktatur“ und von einer „Impfpflicht“. Doch auch viele ernsthafte Anfragen und besorgte Anrufe gehen ein.

Im Gespräch, sagt Dobrindt, ließen sich dann viele Sorgen entkräften. Aber die Verunsicherung über das Gesetz ist groß. Ein „Ermächtigungsgesetz“ sei es natürlich nicht, betonen Regierungs- wie Oppositionspolitiker, und auch kritische Juristen weisen solche Unterstellungen zurück. Auch von Impfpflicht steht nichts drin – geregelt wird nur, dass jeder, egal ob krankenversichert oder nicht, Anspruch auf eine kostenlose Covid-19-Impfung hat.

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Kritik gibt es von Experten und Opposition aber weiterhin. Sie lässt sich auf die Formel bringen: Das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ ist mit sehr heißer Nadel gestrickt – und es hätte viel früher kommen müssen.

Letzterem widersprechen ernsthaft nicht einmal Union und SPD. Die Verordnungen, die die zuständigen Landesregierung seit Beginn der Pandemie gegen die Ausbreitung des Virus verhängt haben, standen oft juristisch auf schwachem Grund. Gerichte kippten Beherbergungsverbote und Sperrstunden-Regeln, meist mit der Begründung, die Verbote seien unverhältnismäßig.

Alexander Dobrindt, ist Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag.
Alexander Dobrindt, ist Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag.

© dpa/Gregor Fischer

Schließlich wurde der bayerische Verwaltungsgerichtshof deutlich: Die Münchner Richter äußerten Zweifel, ob der neue Lockdown light noch mit dem Prinzip vereinbar ist, dass Grundrechte auf Dauer nur von Parlamenten eingeschränkt werden können.

Scharfe Kritik von Juristen

Die Reform des Infektionsschutzgesetzes von Union und SPD soll Bundes- und Länderregierungen eine solidere Rechtsbasis liefern als das alte Gesetz, das sich damit begnügt, dass der Bundestag eine epidemische Notlage feststellt und ab da dem Gesundheitsminister alles Weitere überlässt.

Der erste Entwurf stieß allerdings in der Anhörung auf scharfe Kritik von Juristen. Zu vage, zu viele dehnbare Formulierungen, zu wenig klar die verfassungsrechtlichen Grenzen für die Exekutive, bemängelte etwa die Bochumer Verwaltungsrechtlerin Andrea Kießling. In dieser Form, warnte sie, würden Gerichte die neue Vorschrift höchstwahrscheinlich nicht als Rechtsgrundlage akzeptieren. Auch die Opposition wies auf Mängel hin. Bis zuletzt besserten die Koalitionsfraktionen nach.

Herausgekommen ist ein Gesetz, das zumindest an einigen Punkten die Kritik aufgreift. So ist jetzt definiert, was eine „pandemische Lage von nationaler Tragweite“ überhaupt ist: Entweder hat die Weltgesundheitsorganisation eine internationale Notlage ausgerufen, oder es droht die „dynamische Ausbreitung“ einer „bedrohlichen übertragbaren Krankheit“. Der Bundestag hat zudem das Recht bekommen, die Notlage wieder aufzuheben, und die Bundesregierung wird zu regelmäßigen mündlichen Sachstandsberichten ans Parlament verpflichtet.

Ausgangssperren als letztes Mittel

Präzisiert wurde der Katalog der Maßnahmen, die Bund und Länder nach dem neuen Paragraphen 28a als „notwendige Schutzmaßnahmen“ ergreifen dürfen. Er umfasst von Abstandsgebot und Maskenpflicht bis zu Beherbergungsverbot und Geschäftsschließungen die bekannten Einschränkungen.

Das unscheinbare Wörtchen „insbesondere“ öffnet einen Spalt für weitere, nicht ausdrücklich aufgeführte Auflagen. Allerdings ist klargestellt, dass harte Ausgangssperren, Demo- und Gottesdienstverbote und Kontaktsperren in Alten- und Pflegeheimen nur als letzte Mittel zulässig sind.

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Erstmals gesetzlich festgeschrieben werden die Schwellenwerte von 35 und 50 Neuinfektionen pro Woche auf 100.000 Einwohner, die erst „breit angelegte“ und dann „umfassende“ Schutzmaßnahmen rechtfertigen. Sogar eine Art Einheitspflicht steht im Gesetz: Wird der 50er-Wert überall überschritten, seien „bundesweit abgestimmte“ Schritte „anzustreben“.

Ob das neue Gesetz ausreichend Klarheit und Parlamentsbeteiligung schafft, bleibt freilich umstritten. So ist die FDP weiterhin unzufrieden mit dem novellierten Infektionsschutzgesetz der großen Koalition. Der sei an vielen Stellen zu vage und außerdem verfassungsrechtlich unsauber, kritisiert Marco Buschmann, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion. „Es stellt der Bundesregierung einen Blankoscheck aus und lässt alles in den Händen der Exekutive.“ Der FDP-Innenpolitiker Stephan Thomae sagt mit Blick auf die Auslegung des Gesetzes: „Das wird in der Handhabung schwierig sein.“

Marco Buschmann ist Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion.
Marco Buschmann ist Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion.

© John MACDOUGALL / AFP

Vor allem geht es den Liberalen aber um eine weitere Stärkung des Parlaments. Das sollte eine eigene Experten-Kommission bekommen und es sollte eine „Pflicht zur Einholung der Zustimmung des Deutschen Bundestages“ geben, bevor Bund und Länder Maßnahmen zum Infektionsschutz vereinbaren. Die will Buschmann, „nach der Verhältnismäßigkeit“ staffeln – abhängig von der Infektionslage. Schwere Grundrechtseingriffe wie Kontaktbeschränkungen sollten erst bei einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems erlaubt sein. Im Lockdown-Fall müsse es verbindliche Regeln für die „angemessene Entschädigung“ von Unternehmen geben. Bislang seien die „von der Gnade des Finanzministers abhängig“, sagt Thomae.

Auch die Linken übten Kritik an den Groko-Plänen und sehen den Bundestag zu wenig beachtet. Es brauche ein Gesetz, das die „demokratische Kontrolle mittelfristig festhält“, fordert Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken. Die laufende Bewertung der Maßnahmen und die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit gehörten fest verankert. Die Linken haben das Groko-Gesetz abgelehnt, es gab vier Enthaltungen. Die Grünen hingegen stimmten fast alle zu.

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