CHRONIK: 17 Jahre Streit um die Heide Die Zukunft heißt Tourismus
Politiker fordern das Ende des Bombodroms / Die Bundeswehr legt sich noch nicht fest
Stand:
23.8.1992: Die Bürgerinitiative „Freie Heide“ wird gegründet.
3.9.1992: Der brandenburgische Landtag verabschiedet mit großer Mehrheit eine Entschließung gegen die „weitere militärische Nutzung des Truppenübungsplatzes als Bombenabwurf- und Raketenschießplatz“.
14.1.1993: Der Bundestag billigt mit der schwarz-gelben Mehrheit das Bundeswehrkonzept.
19.10.1993: Die Landesregierung Brandenburgs spricht sich grundsätzlich gegen das Bombodrom aus.
17.1.1994: Erste „Tornado“-Tiefflüge über der Wittstocker Heide.
29.8.1996: Das Verwaltungsgericht Potsdam gibt den Klagen von Kommunen statt; die Bundeswehr wird zur Durchführung eines förmlichen Planungsverfahrens verpflichtet. Diese Entscheidung wird später vom Oberverwaltungsgericht (OVG) in Frankfurt (Oder) in letzter Instanz bestätigt.
30.5.2002: Der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern spricht sich mit Stimmen aus allen Fraktionen gegen die Pläne der Bundeswehr aus.
28.6.2002: Das OVG Frankfurt untersagt die militärische Nutzung des Bombodroms bis zum Abschluss des Anhörungsverfahrens.
23.10.2002: Im Koalitionsvertrag der rot-grünen Bundesregierung wird die „Überprüfung“ der zukünftigen Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide beschlossen.
9.7.2003: Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) gibt die Entscheidung für die militärische Nutzung des Bombodroms ab dem 18.8.2003 bekannt.
30.7.2003: Sechs Gemeinden, zwei Naturschutzverbände, zwei Unternehmen und mehrere Privatpersonen klagen gegen den Genehmigungsbescheid für die Inbetriebnahme des Bombodroms.
6.8.2003: Das Verteidigungsministerium ordnet den sofortigen Vollzug der Betriebserlaubnis für das Bombodrom an.
11.8.2003: Die Bombodrom-Gegner beantragen beim Verwaltungsgericht Potsdam eine Einstweilige Anordnung gegen den sofortigen Vollzug.
19.9.2003: Das Verwaltungsgericht verleiht der Klage einer Gemeinde aufschiebende Wirkung – der Bundeswehr ist damit die Nutzung des Platzes bis zur Entscheidung in der Hauptsache untersagt. Der Beschluss wird in allen Instanzen bestätigt.
16.12.2005: Die Bundeswehr reicht vor dem Verwaltungsgericht Potsdam fünf Eilanträge zur sofortigen Inbetriebnahme des Bombodroms ein.
26.5.2006: Das Verwaltungsgericht lehnt die Eilanträge der Bundeswehr ab.
30.05.08: Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg lässt die Berufung des Bundesverteidigungsministeriums gegen Urteile des Verwaltungsgerichts Potsdam vom Juli 2007 zu, mit denen die Betriebserlaubnis für den Übungsplatz aufgehoben wurde.
27.03.08: Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg weist die Berufung dagegen zurück.
Berlin - Benedikt Schirge hob sofort die Faust, als der Richterspruch fest stand: Die Bundeswehr wird die Kyritz-Ruppiner Heide in Nordbrandenburg nicht für Tiefflieger nutzen können. Seit Jahren hat der Sprecher der Bürgerinitiative Freie Heide dafür gekämpft. Nun entschied der Zweite Senat des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg, die Bundeswehr hat wesentliche Grundsätze des Planungsrechts verletzt, Anlieger, Unternehmen und Naturschutz zu wenig berücksichtigt. Nun verlangt Schirge ein Einschreiten der Politik, da die Bundeswehr nach insgesamt 25 verlorenen Verfahren weiterhin keine Einsicht zeige. Bundesregierung und Bundestag sollten das Projekt endlich aufgeben und den Konflikt beenden.
Wie er äußern sich an diesem Tag viele, vor allem sind es Politiker. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) kündigte an, dass „wir nach diesem Urteil auf den Bund mit der klaren Forderung zugehen werden, auf das Vorhaben zu verzichten“. Für den Nordwesten Brandenburgs und den Süden Mecklenburg-Vorpommerns lägen die Zukunftschancen in einem sanften Tourismus. Die Region punkte mit einer „unverbrauchten Natur“.
Der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Winfried Nachtwei meinte, die Zeiten seien vorbei, in denen das Verteidigungsministerium nach Gutsherrenart Übungsplätze für sich beanspruchen könne. Seine Parteikollegin, die Potsdamer Bundestagsabgeordnete Cornelia Behm meinte, die Bundeswehr habe mit ihren Bombodrom-Plänen erneut bewiesen, dass sie versuche, ein Staat im Staate zu sein. „Das ist untragbar“, so Behm.
Besonders auffällig ist allerdings, wie sich Vertreter der Großen Regierungskoalition in Berlin äußern. So sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), das Urteil müsse ein Schlusspunkt sein in dem viel zu langen dauernden Rechtsstreit. Die Menschen in an der Kyritz-Ruppiner Heide bräuchten jetzt eine klare und verlässliche Perspektive für die Zukunft – und die heißt bekanntlich Tourismus. „Deshalb appelliere ich an den Verteidigungsminister, auf Fortsetzung des Klageweges zu verzichten“, so Steinmeier.
Die SPD bereitet sich auf den Bundestagswahlkampf vor, Generalsekretär Hubertus Heil hat daher auch die Verteidigungspolitiker seiner Fraktion überzeugt, nach der neuerlichen Niederlage für die Bundeswehr Abstand von den Plänen zu nehmen. So sagte der verteidigungspolitische Sprecher Rainer Arnold, eigentlich ein Befürworter des Bombodroms: „Mein Rat an das Verteidigungsministerium: Die Revision macht keinen Sinn.“ Das sei der Luftwaffe und den Menschen in der Region nicht zuzumuten. Bleibt abzuwarten, wie sich die SPD nach der Bundestagswahl verhält, oft genug hatte sie in der Vergangenheit ein Aus der Luftwaffen-Pläne versprochen und dann doch daran festgehalten.
Auch in der Union werden Zweifel am Festhalten des Militärs an dem 14 000 Hektar großen Areal bei Wittstock (Ostprignitz-Ruppin) laut. Der stellvertretende verteidigungspolitische Sprecher Jürgen Herrmann betonte, man könne das Vorhaben nicht mit aller Brachialgewalt durchsetzen. Selbst ein ordentliches Planungsverfahren dauere, und in zehn Jahren könnten die heutigen Anforderungen an die Bundeswehr längst überholt sein – und damit auch die bisher auf dem Bombodrom geplanten Übungen.
Selbst im Verteidigungsministerium wird nun ernsthaft erwogen, auf eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht zu verzichten, wie die PNN aus gut informierten Kreisen erfuhren. Denn eine Revision scheint wenig aussichtsreich. Dabei werden keine neuen Beweise erhoben, sondern nur das Urteil auf Rechtsfehler untersucht. Das Ministerium hatte 2003 sich selbst eine Betriebserlaubnis für das Bombodrom erteilt, mehrere Kläger – eine Putenfarm, die Gemeinde Lärz und eine Hotel - brachten diese dann 2007 vor dem Verwaltungsgericht zu Fall, weshalb die Bundeswehr nun in Berufung ging und scheiterte. Das Ministerium berief sich auf das Landbeschaffungsgesetz aus dem Jahr 1955, mit dem sollte damals die Bundeswehr einfach Übungsflächen für sich deklarieren. Das OVG hält dieses Gesetz für überholt, Standard seien inzwischen hochkomplexe Planungsverfahren, in denen alle Bedenken gehört und abgewogen werden - auch die Bundeswehr müsse sich daran halten. Es war eine schallende Ohrfeige für das Militär, das vor Gericht immer wieder seine Sonderrolle betonte. Anlass zu Spekulationen gab aber Ministerialdirektorin Greyer-Wieninger. Sie sagte, das Urteil sei eine völlig neue Weichenstellung in der Rechtssprechung, wegen der „starken Verrechtlichung“ von verteidigungspolitischen Belangen müsse ihr Haus bei künftigen Vorhaben möglicherweise neue Wege in der Planung gehen. Ein ordentliches Verfahren zur Inbetriebnahme des Bombodroms ist also durchaus möglich – auch wenn es sich noch Jahre hinzieht.
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