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DDR-Erbe: „Ab nach Schwedt!“

Das frühere NVA-Gefängnis in Schwedt steht jetzt unter Denkmalschutz. Seine „Disziplinareinheit“ war in Europa einmalig. Und nun?

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Schwedt - Ein Wort, ein Stadtname. Doch damals genügte es schon, um Furcht auszulösen: „Schwedt!“ Was gemeint war, wusste jeder, der in der Nationalen Volksarmee der DDR seinen Wehrdienst leistete. In der uckermärkischen Stadt, 90 Kilometer nordöstlich von Berlin, stand vor 1989 nämlich das NVA-Militärgefängnis, das einzige der DDR. Es war so gefürchtet, dass Rekruten auf dem obligatorischen Bandmaß, bei dem täglich ein Zentimeter abgeschnitten wurde, um die die verbleibenden Armeetage zu zählen, regelmäßig die Zahl „133“ markierten, mit einem schwarzen Gitter. Denn „1330“, das war die Postleitzahl von Schwedt, damals zum Synonym geworden.

Und jetzt, im Juni 2012, der Bescheid ist frisch, mehr als zwei Jahrzehnte danach, hat das brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege zentrale Gebäudekomplexe dieses früheren NVA-Gefängnisses unter Denkmalschutz gestellt, nachdem zahlreiche Gebäude auf dem weiträumigen Areal, heute teilweise ein Gewerbegebiet im Norden von Schwedt, bereits abgerissen worden waren, auf den ersten Blick kaum mehr etwas an diese Vergangenheit erinnert. Und prompt beginnt die Debatte, die schwierige Suche, was mit dem früheren NVA-Gefängnis werden soll und kann, in Zeiten immer knapperer Kassen von Bund, Land und Kommune, was ein über Brandenburg hinausreichendes Projekt wäre.

„Hier lässt sich ahnen, dass der Ausspruch ’Ab nach Schwedt!’ geeignet war, jeden Armeedienstleistenden mit Schrecken erfüllen“, heißt es im amtlichen Denkmalbescheid aus Wünsdorf vom 26.Juni 2012. „Als einzigem und in dieser Anschaulichkeit nahezu unversehrten Zeugnis der Militärjustiz der DDR“ komme dem Komplex „eine große militär- und justizgeschichtliche sowie wissenschaftliche Bedeutung zu.“ Für die Nachwelt erhalten werden sollen konkret zwei DDR-Plattenbau-Kasernen aus den 80er Jahren, außen eher unscheinbar. Eins, das frühere Stabsgebäude, ist heute ein Wohnheim samt Spielplatz davor. Das andere, das frühere „Unterkunfts- und Schulungsgebäude mit Zellentrakt“, steht seit Jahren leer. Unter Schutz gestellt wurde der damalige Sitz der sogenannten „Disziplinareinheit“, einer speziellen NVA-Strafeinheit, die eine „im Militärwesen Europas einzigartige Einrichtung“ gewesen sei, wie es im Denkmalbescheid heißt. Sie existierte zwar am gleichen Ort, aber separat zum „regulären“ Militärgefängnis, in dem über die DDR-Zeit 2552 Militär-Strafgefangene einsaßen, teilweise auch wegen krimineller Delikte wie Diebstahl, Körperverletzung oder Vergewaltigung. Die Strafkompanie habe zur „Disziplinierung von Armeeangehörigen“ gedient, so der Bescheid, zunächst schon durch die abschreckende Wirkung allein ihrer Existenz, für die Insassen konkret durch die Art der Verwahrung, besonders „hartem militärischen Drill und ständige Indoktrination“, aber auch Zwangsarbeit im benachbarten Chemiewerk. Nach Schwedt kurzerhand strafversetzt wurde, wer sich nach Ansicht von Vorgesetzten Dienstvergehen hatte zuschulden kommen lassen: NVA-Kommandeure konnten bei Delikten wie unerlaubtes Entfernen von der Truppe, Alkoholkonsum oder Befehlsverweigerung Soldaten und Unteroffiziere nach Schwedt schicken, „ein mit der Strafe verbundener Freiheitsentzug“, den es so laut Bescheid selbst nach den Gesetzen der DDR gar nicht hätte geben dürfen, weil es der DDR-Verfassung und dem Völkerrecht widersprach.

In diese „Disziplinareinheit“ der NVA kamen von 1982 bis 1990 788 Soldaten, nach Schätzungen 15 bis 25 Prozent allein aus politischen Gründen, so der Bescheid. Die durchschnittliche Kompaniestärke betrug damit etwa 70 Soldaten. „Die Verwendung von anspruchslosen Plattenbauten, deren einer, ausgestattet mit Zellen, Unterkunfts- und Schulungsräumen, sich im äußeren Erscheinungsbild kaum vom anderen für den Stab unterscheidet, suggeriert eine Alltagsnormalität, die keine Weise auf das durchorganisierte Straf- und Disziplinierungssystem schließen lässt“. Von außen einsehbar habe es den Eindruck einer „gesicherten, aber durchaus im DDR-Kontext komfortablen Wohnanlage“ gemacht“, so die Denkmalbehörde. Es liege nahe, in dieser „stadträumlichen Komposition auch einen Tarnungszweck zu vermuten.“

Dieses Kapital der Diktaturgeschichte ist immer noch wenig erforscht, kaum bekannt. Und was nun mit den Gebäuden passiert, beide im Eigentum der Stadt Schwedt, ist offen. Die Stadtväter wie auch Brandenburgs Diktaturbeauftragte Ulrike Poppe begrüßen, dass dieser Komplex jetzt als Denkmal geschützt ist. „Nun sollte überlegt werden, wie an diesem Ort an die dort begangenen Verletzungen der Menschenrechte erinnert werden kann“, sagt Poppe - und macht einen konkreten Vorschlag. Die Stadt und das dortige Museum sollten „vom Land und vom Bund dabei unterstützt werden, an diesem Ort eine Dokumentationsstelle unter Einbeziehung der historischen Bausubstanz einzurichten und zu betreiben“. Er sei geeignet, um über die Besonderheiten des Militärstrafsystems der DDR zu informieren und an das Leid zu erinnern. Man habe schon eine „Projektgruppe" initiiert, um nach "einem angemessenen Umgang mit diesem Stück jüngster deutscher Geschichte zu suchen.“

Schwedt, die Kleinstadt im strukturschwachen Nordosten des Landes, wäre allerdings allein überfordert. Für ein Museum, dauerhaft geöffnet, mit Personal, sieht man dort keine eigenen Spielräume. Doch der Verantwortung für dieses Areal sei man sich bewusst, betont Lutz Herrmann, Vize-Bürgermeister und 1. Beigeordneter in Schwedt. Man probiert eine Politik der kleinen Schritte, das zu tun, was möglich und finanzierbar ist: Man werde das Kasernengebäude mit den Arrestzellen „weiter leer stehen lassen“ müssen, wolle „es aber erhalten, als Erinnerungsort nutzten, etwa "für Führungen und Veranstaltungen“. Zusammen mit der Diktaturbeauftragten und der Stiftung Aufarbeitung wolle man weiße Flecken schließen, habe gerade Zeitzeugen, die in der NVA-Strafeinheit waren, befragen lassen. Für ein ähnliches Projekt zum eigentlichen Schwedter Militärstrafvollzug laufe ein Förderantrag. Vielleicht könne das alles in eine „kleine Ausstellung“ münden, sagt Herrmann. Und nachdem die Bauten der „Disziplinareinheit“ jetzt unter Denkmalschutz stehen, wolle man dort Informationstafeln aufstellen, um an das Schwedter Militärgefängnis zu erinnern. „Wir wollen uns dem stellen.“

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