Von Alexander Fröhlich und Peter Tiede: Aktenzeichen „FDP“ ungelöst
Brandenburgs Liberale schleudern auf ihren Parteitag zu und haben beim Umgang mit der Vergangenheit einiges zu erklären
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Potsdam -Die Führungskrise und die Vergangenheitsdebatte in der märkischen FDP spitzen sich weiter zu. Unmittelbar vor dem Landesparteitag am Samstag in Eberswalde versucht FDP-Landeschef Heinz Lanfermann offenbar einen Teil der aus verschiedenen Kreisverbänden geäußerten Kritik allein auf den Chef der Landtagsfraktion, Hans-Peter Goetz, und den FDP-Landesgeneralsekretär, Andreas Büttner, abzuleiten. Deutlich wurde dies am Donnerstag an der Kritik am Umgang mit dem, wegen seiner früheren IM-Tätigkeit für den DDR-Geheimdienst MfS zurückgetretenen FDP-Schatzmeister Rainer Siebert. Kurz nach Sieberts Rücktritt am 17. März hatten Goetz und Büttner Sieberts Abdankung angesichts der Aktenlage als folgerichtig bezeichnet. Eine Erklärung Sieberts aus dem Jahr 1991, wonach er nur kurz Kontakt zum MfS gehabt habe und niemanden ausspioniert habe, halte der Aktenlage nicht stand, sagten beide vor der Presse.
Gestern nun wollte Lanfermann, der mit Siebert noch unmittelbar vor dessen Rücktritt über die Aktenlage gesprochen hatte, von neuen Erkenntnissen, wie sie Goetz und Büttner hatten, nichts mehr wissen. Der Märkischen Allgemeinen sagte Lanfermann: „Erstaunlich ist ja, dass wir in den letzten Wochen nur das gehört haben, was seit fast 20 Jahren bekannt war. Eigentlich gibt es keine neuen Fakten, weder bei Siebert, noch bei anderen Namen, die hier ins Spiel gebracht wurden.“ Dabei hatte Lanfermann bis zum Abend vor Sieberts Rücktritt nicht einmal in die alte Akte geguckt – obwohl die PNN einen Monat zuvor schon darüber berichtet hatten. Lanfermann hatte, nach öffentlichen Angaben von Goetz und Büttner, erst in die bei der FDP seit fast 20 Jahren bekannte Siebert-Akte geschaut, als sie ihm von einem Reporter der Bild-Zeitung im Reichstag unter die Nase gehalten wurde. Am Tag darauf trat Siebert zurück.
Lanfermann verteidigte aber die Entscheidung der Fraktion, in die vom Landtag eingesetzte Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der märkischen Nachwendepolitik neben Fraktionschef Goetz nicht auch die junge Potsdamer Abgeordnete Linda Teuteberg zu entsenden. Wie berichtet war Teuteberg, die offen ihr Interesse angemeldet hatte und die sich seit Jahren ehrenamtlich in der Aufarbeitung der DDR–Geschichte engagiert, in der Fraktion gleich zwei Mal übergangen worden. Statt ihrer schickt die FDP als Goetz’ Stellvertreter Raimund Tomczak, wie Goetz einst SED-Mitglied und Grenzsoldat, in die Kommission. Lanfermann begründete dies mit dem Alter Teutebergs: „...zu Zeiten der Wende war sie acht Jahre alt. Sie hat die Zeit, von der wir reden, nur als Kind erlebt.“
Brandenburgs Grüne warfen der FDP nach Lanfermanns Einlassungen gestern vor, der Enquete-Kommission „einen Bärendienst zu erweisen“. Grünen-Landeschefin Annalena Baerbock erklärte in Potsdam: „Wer von anderen Parteien und Mandatsträgern einen transparenten, ehrlichen und kritischen Umgang mit der Stasi-Vergangenheit fordert, sollte solche Maßstäbe auch bei sich selbst anlegen“, sagte sie zu Lanfermanns Sieberts-Äußerungen. Auch die FDP müsse bereit sein, „Akten, die in der Vergangenheit als Grenzfälle bezeichnet wurden, nun selbst aktiv und kritisch auf den Tisch zu legen und gegebenenfalls neu zu bewerten“.
Die Entscheidung der Liberalen, „jüngere und kritischere Parteimitglieder wie Linda Teuteberg nicht in den Aufarbeitungsprozess mit einzubeziehen“, sei unverständlich. Wer, wie Lanfermann, für die Enquete-Kommission „allein die ältere Generation für zuständig erklärt, hat nicht verstanden, was kritische Aufarbeitung bedeutet und scheint auch von demokratischer Vielfalt nicht allzu viel zu halten“, so Baerbock. „Mit der Prämisse Alter vor Qualifikation gefährdet die FDP das Ansehen des Gremiums.“ Baerbock verwies darauf, dass die am Mittwoch zur Vorsitzenden der Enquete-Kommission gewählte SPD-Abgeordnete Klara Geywitz „nur wenige Jahre älter ist als Teuteberg“. Die Sozialdemokratin Geywitz allerdings war der FDP nicht zu jung. Geywitz wurde auch mit FDP-Stimmen gewählt.
Unterdessen kommt die FDP-Fraktionsspitze auch in einem anderen Fall des Umgangs mit der Vergangenheit immer mehr in Erklärungsnot. Im Februar hatte das Landtagspräsidium darüber zu entscheiden, was mit den Unterlagen der ersten und bislang einzigen Stasi-Überprüfung der Landtagsabgeordneten aus den Jahren 1990/91 geschehen soll. Bis dahin lagerten die Akten – auch mit bislang unbekannten Verdachtsfällen aus der ersten Legislaturperiode – in einem Safe des Landtages. Nach einem Gutachten der Landtagsverwaltung hätten die Akten unter bestimmten Umständen einem Untersuchungsausschuss oder einem ähnlichen Gremium zugänglich gemacht werden können. Die drei Oppositionsparteien im Landtag, CDU, Grüne und FDP, wollten die Offenlegung der Akten. Am 2. Februar forderte Fraktionschef Goetz öffentlich: „Wir wollen erreichen, dass nun endlich alle (F)Akten offengelegt werden.“
Hinter verschlossenen Türen jedoch stimmte die FDP-Fraktionsspitze im Landtagspräsidium zum Erstaunen selbst der rot-roten Regierungsfraktionen für den Abtransport der Akten ins Landeshauptarchiv. Dort sind sie nun auf unabsehbare Zeit vor der Öffentlichkeit weggeschlossen. Unter diesen Akten war auch mindestens eine der FDP: die des ersten liberalen Fraktionschefs im Landtag und späteren Schatzmeisters, Rainer Siebert. Einen Tag nach dem Präsidiumsbeschluss vom 18. Februar, berichteten die PNN über den Inhalt der geheimen Akten – und Widerspüche in der 1990/91 getroffenen Bewertung des Falls Siebert.
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