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Von Peter Tiede: Aktion Selbstkrönung

Durchgeplant: Brandenburgs SPD lässt sich von Frank-Walter Steinmeier in den Bundestagswahlkampf führen und zeigt damit auch, wie man aus einem Politikangestellten „einen von hier“ und einen der Parteibasis macht. Eine Draufsicht.

Stand:

Potsdam - Es ist eine Selbstkrönung, im Selbstverständnis der märkischen SPD, eine vollends verdiente, die am Samstag im Potsdamer Hans Otto Theater auf der Landesvertreterversammlung der brandenburgischen SPD vollzogen wurde. Großes Theater: Einer der mitgliederschwachen (rund 6500), daher bisher relativ bedeutungslosen Ost-Landesverbände zieht mit dem Kanzlerkandidaten der Bundes-SPD an der Spitze in den Bundestagswahlkampf. An diesem Samstag wurde Außenminister Frank-Walter Steinmeier, seit Herbst 2008 SPD-Kanzlerkandidat, von der märkischen SPD auch zu ihrem Spitzenkandidaten für den Bundestagswahlkampf im Land gekürt - mit mehr als 98 Prozent, mit 116 der 118 abgegebenen Stimmen.

Da im September gleichzeitig mit dem Bundestag auch der hiesige Landtag gewählt wird, hofft die Partei nun auf den Dopplereffekt: Platzeck und Steinmeier sollen sich gegenseitig überstrahlen, oder bodenständiger: den SPD-Karren gemeinsam ziehen. Ein Duo für den Doppelsieg. Platzeck, 55, – der von hier, der Landesvati – und Steinmeier, 53, das Berliner Schwergewicht, – mit dem Kopf in der Welt, Deutschland im Herzen und immer einem Bein in Brandenburg. So gut, so prominent besetzt war die Partei hier noch nie.

Die Krone haben sich die Parteistrategen um Landeschef- und Ex-Bundes-SPD-Chef Matthias Platzeck und um Generalsekretär Klaus Ness aber auch hart erarbeitet. Sie haben die parteiinterne Aktion, der Steinmeier die Rolle des Kanzlerkandidaten verdankt und die Kurt Beck an einem Septembermorgen des Jahres 2008 auf einem Restaurant-Parkplatz in Ferch am Schwielowsee seinen Parteivorsitz hinschmeißen ließ, wesentlich mitgesteuert. Zumindest haben sie heftig mit gefrickelt am Aufstieg des Außenministers Steinmeier und am Fall des Parteichefs Beck.

Auch, wenn die Parteioberen im Brandenburgischen öffentlich immer wieder bestreiten, an der Beck-muss-weg-Kampagne mit samt Schwielowsee-Putsch aktiv beteiligt gewesen zu sein. Sie waren es.

Es ist bekannt, dass die sogenannten SPD-Netzwerker (pragmatisch, nicht so links, nicht ganz so konservativ wie der rechte Flügel), zu denen Platzeck und Steinmeier gehören, Beck weg haben wollten. Da war auch nichts dabei. Mit Beck, das ist inzwischen Lehrmeinung in der SPD, wär’ das nie was geworden. Man musste sich der tragischen Figur frühzeitig entledigen.

Und das Verhältnis der Steinmeier/Platzeck/Netzwerker-Truppe zu Beck wird parteiintern gern mit einer Szene am Rande der kirchlichen Trauung Platzecks in der Uckermark 2008 illustriert. Da steht ein prominenter Teil der sozialdemokratischen Hochzeitsgesellschaft auf einem Steg und schaut über einen See (Steinmeier war da, Wowereit und andere auch, Beck nicht geladen). Als sich ein Kahn nähert, spottet einer: „Oh Gott, jetzt kommt der Beck doch noch!“. Nach der Schrecksekunde: Ein Heidenspaß.

Ob es mit Steinmeier etwas werden wird, ist nach derzeitigem Stand der Demoskopie auch noch mehr als unklar. Aber immer noch besser als mit Beck. Das steht fest unter Genossen.

Dabei war schon lange klar, dass Frank-Walter Steinmeier, der kein Bundestagsmandat hat, abgesichert werden muss, dass er einen Wahlkreis braucht. Bei einer schwarz/gelben Bundesregierung wäre er sonst arbeitslos. Und so wurde zunächst auf die Absicherung, später dann auf den Aufstieg Steinmeiers hingearbeitet.

Steinmeier, zunächst ab 1993 Büroleiter des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten und späteren Bundeskanzlers Gerhard Schröder, dann bis 2005 Schröders Kanzleramtsminister und Geheimdienstkoordinator, hatte bis dahin in der Partei keine Hausmacht, keinen Landesverband, der ihn stützen, ja auch nur für irgend ein höheres Amt nominieren könnte. Und es gibt nur wenige SPD-Landesverbände, in denen Steinmeier mit seinen Ambitionen niemandem auf die Füße getreten wäre. Einer wie er, ein Nichtparteifunktionär, ein Basisfrischling ohne Stallgeruch, der zwar mit Parteibuch Karriere gemacht, sich aber nie einer Wahl gestellt, sich nicht aus Dorfverbänden hochgearbeitet hat.

In Brandenburgs SPD aber ist Platz genug für einen wie Steinmeier. Die Märker sehnen sich nach einem Schwergewicht. Im Bundestag drückt man die Hinterbank. Brandenburgs SPD hat kein Zugpferd für die Bundestagswahl. Und hinter Platzeck ist personell soviel nun auch nicht los. Ein paar gute Strategen, ein harter Finanzminister. Das war’s.

Im Jahr 2007 wechselte Steinmeier – nach einem Kandidatenplatzangebot von Platzeck – in den SPD-Ortsverein Brandenburg/Kirchmöser. Steinmeier mit seiner Westvita und dem Ost-Ortsverband lässt sich prima vermarkten. Jetzt auch im Osten. Und der ist besonders wichtig. Schließlich hat die SPD nach der allgemein gültigen Auslegung der letzten Bundestagswahlergebnisse die Wahl im Osten verloren. Und das soll nicht noch einmal passieren. Deshalb sehen auch führende Sozialdemokraten die DDR plötzlich nicht mehr als lupenreinen Unrechtsstaat. Bis zum 27. September gilt: Ossis vergraulen verboten!

Und wenn die Wahl schon im Osten gewonnen werden muss, dann darf auch in Brandenburg nichts schiefgehen, dann muss für Frank Steinmeier (Bindestrich und Walter verschwindet im Wahlkampf ab und an wegen der biederen Anmutung), auch der Wahlkreis und das Land Brandenburg (ein Leichtes) gewonnen werden. Überzeugend. Wie bei den vorangegangenen vier Bundestagswahlen sollen alle Wahlkreise direkt gewonnen werden.

So läuft denn auch, seit Steinmeier ein Zweitheim in Brandenburg hat, alles nach Plan. Er ist regelmäßig in Kirchmöser und der Gegend um die Stadt Brandenburg unterwegs, er fuhr Fahrrad, erreiste sich das unbekannte Land, trinkt – ganz alter Sozialdemokrat – volksnah Bier. Die Lokaljournalisten aus dem Wahlkreis immer mit dabei, ganz dicht und oft auch exklusiv. Die Leute sollen sehen, dass der Steinmeier da ist, nicht nur seine Alibiwohnung in der Region hat. Er gibt exklusive Interviews, die nur im Lokalteil der Zeitung erscheinen dürfen.

Die Zeitung ist überhaupt immer dichte bei, wenn der Kanzlerkandidat von hier in der Region unterwegs ist – schließlich gehören zum Wahlkreis neben der Stadt Brandenburg auch Teile des Havellandes und des Kreises Potsdam-Mittelmark und eine Ecke von Teltow-Fläming. Wird irgendwo am Horizont – oder noch dahinter – etwas investorenartiges gesichtet, bleibt in der Zeitung nicht unerwähnt, wie groß der Anteil des Außenministers von hier an der Erscheinung ist. Hat er keinen sofort erkennbaren, so wird doch sein Lob für die Lokalverwaltung dafür vermeldet, dass sie die Investoren wahlweise gut betreut oder nicht vergrault oder aber zumindest die Pläne nicht einfach ausgeplaudert hat. Ja, so die Botschaft aus der Zeitung: Der Steinmeier, der Kanzlerkandidat von hier und der Außenminister von Deutschland der tut was, der kümmert sich. Brandenburg – das Land zwischen Hindukusch und Washington.

Steinmeier ist oft in dieser Region; in dieser Woche ist er nicht mit dem Hubschrauber oder der Dienstwagenkolonne, sondern, wie man in der Zeitung lesen konnte, mit dem Zug ins Havelland gereist. Von einem möglichen Investor ließ er sich dessen wohl mögliche, aber noch nicht so richtig beantragte Investition erläutern. Fest stand laut der Zeitung: Bei der Realisierung wird der Kanzlerkandidat von hier einen Anteil gehabt haben. Und die Menschen der Region freuen sich darüber. Jedenfalls fanden die Autogrammkarten, wie am nächsten Tag im Politikteil der Zeitung zu lesen war, regen Absatz.

Aber auch an der großen Welt des Frank(-Walter) Steinmeier dürfen die Menschen aus seinem Wahlkreis 61 Anteil nehmen. Die Zeitung begleitete ihn bis nach Afghanistan und schilderte eindrücklich den harten Job.

Egal, wie man das findet: So schafft man fix Verbundenheit, da entsteht Nähe zu den Leuten der Region. Dort fragt ihn niemand nach Murat Kurnaz, dem einst vermeintlichen „Bremer Taliban“, der ohne Beweise und ohne Urteil in Guantanamo schmoren musste. Die Agenda 2010, die Steinmeier wesentlich mit gestaltete, stößt hier auch auf wenig Gegenfrage.

In Kirchmöser und Umgebung verlangt auch niemand von ihm, so ein bisschen Obama zu sein, wie die Wahlkampfstrategen der Bundes-SPD das immer wollen und auch bekommen werden. Die bauen schon mal runde Bühnen auf, wie sie Barack Obama in den USA im Wahlkmpf bespielt hat. Mit dem Redner in der Mitte, nicht mehr frontal vor dem gecasteten Klatschvolk. Der Kandidat nicht mehr ständig erhöht auf einem Podium, sondern auf Normalnull oder drunter. Auf Augenhöhe bis leicht ansteigend: Das Volk. Volksverbundenheit, voll in der Mitte, um die es geht.

Nur: frei reden oder flüssig vom Teleprompter ablesen können muss man bei solchen öffentlichen, nicht nur mit Parteivolk besetzten Inszenierungen. An der Basis reicht dagegen oft die richtige Tonlage. Die zumindest hat Steinmeier für Brandenburg offenkundig schon. Und für die Inszenierung mit den rund 140 mitwirkenden Delegierten im – Obama-Alarm?! – eigens umgebauten – Potsdamer Hans Otto Theater reichte es auf jeden Fall. Er war souverän und von Rednern verwöhnt ist das hiesige Parteipublikum ohnehin noch nicht.

Auch wenn die Bühne in Potsdam noch nicht obamarund war. Aber überhöht stand keiner mehr - immer schön auf Augenhöhe. Das Sitzungspräsidum musste bei Reden hinter einem Vorhang verschwinden - ist ja auch zu unmordern die Anmutung, die Präsidumsköpfe sitzen nur den Bildern vom Kandidaten und den Slogans der Partei, die auf sich auf der Vorhang-Leinwand abwechseln, nur im Wege. So: Menschen und Slogans immer schön auf allen Bildern. Immer schöne Bilder: Er mit Kindern. Er mit Volk. Er hier. Er: von hier. Mittendrin und volldabei.

Gute Inszenierung.

Blöd nur, wenn man dann seiner Zeit doch voraus ist. Im Internet. Das ist schon schnell. Verdammt schnell. Manchmal zu schnell. Manchmal so zu schnell, dass man sich da selbst überholen kann: Da hat die SPD auf ihrer Homepage einen Liveticker eingerichtet, der immer schön die aktuellen Schlagzeilen aus dem Saal nach draußen sendet. Angeblich. Denn er ist zu schnell, verkündet Sachen die noch nicht passiert sind, versendet Redetexte, die erst Sekunden später gesprochen worden sein werden. Und mitunter irrt er auch. "Die Rede Steinmeiers wird häufig von Applaus unterbrochen." Stimmt noch. "Die Stimmung im Saal ist klasse!",livetickerten dann die Genossen Strategen während das Parteivolk zwar lauscht, aber vom Toben doch noch deutlich Abstand hält. Das kommt mehrfach vor. Man übt das noch. Muss man auch. Denn: Wer zu schnell ist, den entlarvt das Leben.

Bei all dem Tempo tut ein Rückgriff doppelt gut: Platzeck und Steinmeier in sozialistsicher Popartentfremdung auf Plakat und Leinwand - der Schattenriss zur Kapitalismuskritik. Auf Rotem Hintergrudn die beiden Köpfe in schwarz-weiß. Der Ostkopf denkt sich Lenin mit dazu, oder Marx oder Engels. Auf jeden Fall: Früher waren's drei. Fürs Westhirn ist das einer zu viel. Der Popart Che war alleine auf ritem Grund. Und Mao auch.

Gibts bestimmmt auch bald zu kaufen oder als Mitnehmsel am Wahlkampfstand.

Was bleibt? Das Fazit: Das alles ist - alles in allem - gute, professionelle Promotion-Arbeit, Politikberatung vom aller Besten. Die Provinz als Probebühne. So verkauft man Menschen Menschen. Das ist die moderne SPD: die Partei des PR-oletariats. Auch in Brandenburg.

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