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Von Alexander Fröhlich: Bauern kippen wieder ihre Milch weg
Erste Landwirte schließen sich Protesten ihrer französischen Kollegen an / Protest gegen niedrige Preise
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Potsdam – Trotz Verbots eines Lieferstreiks schließen sich auch in Brandenburg die ersten Milchbauern den Protesten ihrer Kollegen in Frankreich gegen niedrige Milchpreise und die von der Europäischen Union geplante Liberalisierung des Milchmarktes an. „Ich kippe die Hälfte meiner Milch weg“, sagt Jens Gerloff. Er ist Landwirt aus Teetz bei Kyritz (Ostprignitz-Ruppin) und Vorstandsmitglied beim Bauernbund, der bäuerliche Familienbetriebe vertritt, in Brandenburg. „Ob ich das wegschütte oder nicht, Verluste bringt es sowieso.“
Eine Woche lang will Gerloff 1 200 Liter Milch nicht mehr an die Molkerei liefern. 100 Milchkühe stehen in Gerloffs Stall und noch einmal 120 Jungtiere, doch leben kann der Landwirt davon nicht, „es ist ein Minusgeschäft“. Sein Kollege Arnold Blum aus Glövzin in der Prignitz gibt vorerst gar keine Milch mehr ab. Mit zwischenzeitlich 17 Cent und derzeit 20 Cent je Liter kann er nicht wirtschaften. „Wir sind schon lange tot.“
Beide Landwirte folgen dem Aufruf des französischen Milchbauernverbands zu einem Lieferboykott von vergangener Woche. In Belgien und Österreich gab es erste Aktionen, vor dem Aldi-Zentrallager in Schleswig-Holstein protestierten Milchbauern gegen die Niedrigpreise der Molkereien. Über derlei Aktionen liegen die Berufsverbände aber über Kreuz, Unterstützung kommt von Bauernbund und dem Verband Deutscher Milchviehhalter. Brandenburgs Bauernverband, der die meisten Großbetriebe im Land vertritt, aber lehnt den Boykott ab.
Reinhard Jung, Geschäftsführer des kleineren märkischen Bauernbunds, kritisiert Brandenburgs Bauernverbandspräsident Udo Folgart scharf. Folgart, Landtagsabgeordneter der SPD und agrarpolitischer Sprecher der Fraktion, ist Agrarexperte im Kompetenzteam von SPD–Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier und im Bauernverband auf Bundesebene als Vize-Präsident für Milchpolitik zuständig. Jung: „Folgart hat die Milchviehhalter verraten und kungelt mit den großen Molkereikonzernen, die Milch als billigen Rohstoff brauchen.“ Folgarts Sprecher Holger Brantsch sagt: „Wir halten einen Lieferboykott nicht für das geeignete Mittel und wollen eine Lösung auf europäischer Ebene.“
Ohnehin hat das Bundeskartellamt Landwirte, die sich im Frühjahr 2008 am Milchstreik beteiligt hatte abgemahnt – und das zu recht. Kürzlich erst wertete das Oberlandesgericht Düsseldorf jeden Aufruf zu flächendeckenden Maßnahmen als Verstoß gegen das Kartellrecht. Kostendeckende Preise dürften nicht durch Boykott erzwungen werden, hieß es. Landwirt Arnold Blum meint dennoch: „Wir wissen, dass wir nicht zum Milchstreik aufrufen dürfen. Aber wir möchten ein Zeichen gegen die Resignation setzen.“ Jens Gerloff sagt: „Für mich ist es eine Frage der Berufsehre.“
Viel eingebracht haben den Bauern die im Jahr 2008 über Wochen anhaltenden Proteste und Lieferboykotts jedenfalls nicht. Damals gab es 30 Cent pro Liter, der Lebensmitteleinzelhandel hatte massive Preissenkungen bei den Molkereien durchgesetzt. Heute, mehr als ein Jahr später sind die Preise noch niedriger; dabei sollten vor einem Jahr Preise von 40 Cent durchgesetzt werden. Dass die Preise dennoch weiter sanken, liegt vor allem an der Milchquote. Bis zum Jahr 2015 darf jedes EU–Land ein Prozent Milch mehr produzieren, dann fällt die Quote weg, der Markt ist dann liberalisiert.
Zuletzt war Deutschland mit einem Vorstoß gescheitert, die Erhöhung der Quote im kommenden Jahr auszusetzen. Bauernbund und Milchbauern gehen noch weiter: Sie wollen die Milchmengen begrenzen lassen. Angesichts der Widerstände in der EU hat sich der große Bauernverband hingegen mit der Lage abgefunden, Sprecher Brantsch berichtet zwar von zahlreichen Betrieben, die wegen der Preise keine Milch mehr produzieren, dennoch meint er: „Die Milchwirtschaft ist der einzige Bereich, in dem der Markt noch nicht funktioniert. Das wird aber kommen, da haben wir keine Chance.“ Nun müssten die Betriebe fit für Wettbewerb gemacht werden.
Landwirt Blum hingegen spricht von einer „waschechten Milchmafia aus Molkereien, Handel und Exportfirmen“. So verweist auch der Bauernbund darauf, dass große Agrarbetriebe und der Bauernverband selbst in den Aufsichtsräten von Genossenschaftsmolkereien säßen und Meiereien große Beitragszahler im Bauernverband seien. Jens Gerloff meint: „Das ist Politik für den Weltmarkt. Ein Strukturwandel geht nur über genügend Pleiten.“ Erst, wenn es auch weniger Milchbauern gibt „steigen auch die Preise wieder“. Auch er selbst lebe vom Ersparten, „lange geht es nicht mehr, dann ist Ende“.
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