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Im Ferienlager „KiEZ Frauensee“ in Heidesee (Kreis Dahme-Spreewald) war es zu den rassistischen Anfeindungen gekommen.

© Julius Geiler, Bearbeitung: Tagesspiegel/Julius Geiler, Berbeitung: Tagesspiegel

Update

Berliner Schüler in Ferienlager rassistisch beleidigt: Bundesinnenministerin Faeser fordert genaue Aufarbeitung der Anfeindungen in Brandenburg

Die SPD-Politikerin bezeichnete Rechtsextremismus als „die größte Bedrohung für Demokratie in unserem Land“. Die betroffenen Jugendlichen sollen in dieser Woche befragt werden.

| Update:

Nach mutmaßlich rassistischen Anfeindungen gegen Schülerinnen und Schüler in einem Ferienlager in Brandenburg hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eine gründliche Aufarbeitung gefordert. Der Vorfall sei „furchtbar“, sagte Faeser am Dienstag vor Journalisten in Berlin. Die Vorgänge müssten Politik und Behörden nun „sehr genau aufarbeiten“. Es müsse verhindert werden, „dass so etwas noch einmal passiert“.

Schülerinnen und Schüler einer zehnten Klasse der Berliner Lina-Morgenstern-Schule, überwiegend mit Migrationshintergrund, wollten am Wochenende im Ferienlager „KiEZ Frauensee“ in Heidesee (Kreis Dahme-Spreewald) ein Mathe-Camp durchführen. In der Nacht zum Sonntag wurden sie von anderen Gästen der Einrichtung rassistisch beleidigt. Der Lehrer alarmierte die Polizei und entschied sich noch in der Nacht, mit den rund 30 Jugendlichen nach Berlin zurückzufahren. Der Staatsschutz übernahm die Ermittlungen wegen Beleidigung, Volksverhetzung und Bedrohung.

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Faeser sagte, sie finde an dem Fall „auch sehr schrecklich, dass quasi diejenigen weichen mussten, die angegriffen wurden“. Sie verwies darauf, dass sie schon zu Beginn ihrer Amtszeit gesagt habe, dass Rechtsextremismus „die größte Bedrohung für Demokratie in unserem Land“ sei.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

© dpa/Jörg Carstensen

Die Bundesregierung habe deshalb das Disziplinarrecht für extremistische Staatsbedienstete verschärft, gehe mit ihren Sicherheitsbehörden härter vor und habe die Prävention verstärkt. „Ich hoffe, dass die Bundesländer ähnliche Prioritäten auch setzen“, sagte Faeser.

SPD-Abgeordneter fordert Konsequenzen

Der Berliner SPD-Abgeordnete Marcel Hopp warnte davor, zur Tagesordnung überzugehen. „Natürlich ist sowas inakzeptabel für die betroffenen Schülerinnen und Schüler mit Migrationsgeschichte, aber auch für die gesamte Klassengemeinschaft“, sagte er am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur (DPA). „In dem Fall musste die Klasse vorzeitig unter Polizeischutz abreisen. Da ist ja eine Menge pädagogischer Schaden entstanden“, führte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion aus. „Es ist einfach wichtig, dass Klassenfahrten in einem geschützten Raum möglich sind.“

Hopp sieht den Vorgang in einem größeren Zusammenhang. „Ich würde nicht von einem Einzelfall sprechen. Das findet ja nicht im luftleeren Raum statt“, sagte er auch mit Hinweis auf einen Brandbrief von Lehrkräften an einer Schule in Burg zum Thema Rechtsextremismus. „Wir haben eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung in Brandenburg und in Gesamt-Ostdeutschland, ein Erstarken der AfD“, sagte er. „Das ist schon besorgniserregend.“

Betreibern des Ferienlagers macht Hopp keine Vorwürfe

Den Betreibern des Ferienlagers wolle er keinen Vorwurf machen. „Die haben sich ja an öffentlicher Stelle ganz klar gegen solche rassistischen Übergriffe positioniert.“

Die Betreiber der Einrichtung zeigten sich bestürzt über den Vorfall.
Die Betreiber der Einrichtung zeigten sich bestürzt über den Vorfall.

© dpa/Michael Bahlo

Das muss aus Hopps Sicht auch so sein: „Ich glaube, dass viel zu oft solche Vorfälle wenig Konsequenzen haben und gar keine Positionierung stattfindet“, sagte er. „Es ist wichtig, dass dann auf allen Ebenen gezeigt wird, dass man sich gegen solche rassistischen Äußerungen und Vorfälle wehrt.“ Dann sei so eine Region auch weiterhin als Klassenfahrtziel in Betracht zu ziehen. „Aber ich finde, es ist aus Berliner Sicht schon so, dass wir gucken, wo kann man hinfahren und wo nicht.“

Die Debatte um Brandenburger No-go-Areas für Berlinerinnen und Berliner ist damit wieder da. 

 Stefan Gelbhaar, Grünen-Bundestagsabgeordnete

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar, Sprecher der Landesgruppe Ost, forderte, die Taten müssten umgehend aufgeklärt werden „Der Vorfall ist erschreckend. Sowohl für die Schülerinnen und Schüler, als auch für die Eltern. So etwas darf nicht passieren.“ Die Bilder aus den 1990er-Jahren seien dadurch wieder präsent. Die Debatte um „Brandenburger No-go-Areas für Berlinerinnen und Berliner“ sei damit wieder da, sagte Gelbhaar. Der Brandenburger Innenminister Michael Stübgen (CDU) müsse darauf reagieren. Stübgen hatte am Montag die Vorfälle verurteilt und die Schulsozialarbeit kritisiert.  

Landtagsabgeordnete fordern stärkeres Engagement gegen Rechtsextremismus

Die Vertreter der Brandenburger Landtagsfraktionen verurteilten die Übergriffe in Heidesee und forderten ein stärkeres Engagement gegen den Rechtsextremismus. „Der Rechtsextremismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem“, sagte die Linken-Landtagsabgeordnete Andrea Johlige. „Lippenbekenntnisse helfen uns hier nicht – keiner darf hier wanken.“

Der Landes- und Fraktionsvorsitzende von BVB/Freie Wähler, Peter Vida, nannte die Vorgänge in Heidesee „zutiefst verurteilenswürdig“. „Wir erwarten vom Innen- und vom Bildungsministerium entsprechende Schritte, um Anstand, Moral und Sitte wiederherzustellen.“

CDU-Fraktionschef Jan Redmann warnte vor einem Erstarken des Rechtsextremismus. „In den 1990er-Jahren war der Rechtsextremismus die dominierende Jugendkultur“, sagte Redmann. „Das habe ich selbst am Gymnasium in Wittstock miterlebt.“ In diese Zeit dürfe man nicht wieder zurückfallen. Die Schulen müssten sensibilisiert werden, bei rechtsextremen Vorkommnissen Strafanzeigen zu stellen. Nur dann könnten die Sicherheitsbehörden tätig werden. „Alle Institutionen im Land, von der Bildung bis zur Polizei müssen im Kampf gegen den Rechtsextremismus tätig werden.“

Vertreter von Grünen und SPD forderten am Dienstag einen Ausbau von Einrichtungen wie dem Landesprogramm „Tolerantes Brandenburg“. „Für uns ist ganz klar, wir müssen die Demokratiearbeit weiter stärken“, sagte Grünen-Fraktionschefin Petra Budke. Auch der SPD-Landtagsabgeordnete Ludwig Scheetz sprach sich dafür aus, die Demokratiebildung auszubauen: Sie dürfe sich nicht nur auf Jugendgruppen beschränken.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete und Landratskandidat im Kreis Dahme-Spreewald, Steffen Kotré, beschönigte den Vorfall. Es habe lediglich eine kurze verbale Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen gegeben. „Herbei gedichtete Fremdenfeindlichkeit führt immer wieder zur medialen Hetzjagd gegen Deutsche“, sagte Kotré.

Schüler sollen diese Woche befragt werden

Die betroffenen Schülerinnen und Schüler sollen noch in dieser Woche von der Polizei befragt werden. Der Staatsschutz der Brandenburger Polizei werde dafür nach Berlin fahren, sagte Ines Filohn, Sprecherin der Polizeidirektion Süd.

Zunächst bräuchten die Schüler der zehnten Klasse aber Ruhe, um ihre Matheprüfung bewältigen zu können. Nach Angaben der Berliner Senatsverwaltung für Bildung konnten sie die Mathematik-Klausur am Dienstag ohne Attest verschieben und dann den Nachschreibe-Termin Anfang Juni wahrnehmen. Rund die Hälfte habe davon auch Gebrauch gemacht.

Filohn sagte, die Ermittlungen seien aufgrund der Vielzahl an Beteiligten sehr „kompliziert“. Von den 28 Personen, bei denen die Identitäten festgestellt worden waren, waren laut der Sprecherin vier bis fünf Jugendliche „aktiv“ geworden, „also die konkret beleidigt, die konkret bedroht haben“, sagte sie. Die Jugendlichen seien noch nicht vernommen worden. Dafür müsse erst geklärt werden, ob sie Zeugen sind oder Beschuldigte, also selbst aktiv wurden. Auch sollen weitere Gäste des Camps sowie Mitarbeitende und die Geschäftsleitung laut Polizei befragt werden.

Schüler werden psychologisch betreut

Laut Berliner Bildungsverwaltung sind weiterhin Schulpsychologen an der Kreuzberger Schule im Einsatz. Es gebe individuelle Termine, aber auch eine nächste Krisenteamsitzung, erklärte ein Sprecher. Zudem sei die Schule auch mit der Gemeinde Heidesee in direktem Kontakt. Die Geschäftsführung des Ferienlagers bestätigte das.

Es solle noch ein Treffen in Berlin stattfinden, hieß es von der Einrichtung aus Heidesee. Ob weiterhin Schulklassen ermutigt werden sollten, in das Camp zu fahren? „Das liegt im Ermessen der Schulen. Wir bewerten es sehr positiv, dass die Gemeinde Heidesee sich umgehend klar positioniert hat“, so der Sprecher.

Betrieb im Camp geht weiter

Nora Runneck, Geschäftsführerin des Ferienlagers, sagte am Dienstag dieser Zeitung, man wolle darauf achten, dass die Gruppe nicht noch einmal in der Einrichtung übernachte. Die Mutter eines Mädchens aus der Gruppe, die die Übernachtung in dem Camp gebucht hatte, habe ein Hausverbot.

Es herrscht kein Klima der Angst.

Nora Runneck, Geschäftsführerin des Ferienlagers

Währenddessen geht der Betrieb in dem Camp „normal“ weiter, so Runneck. Man habe viele Gäste. „Es herrscht kein Klima der Angst.“ Runneck sprach von einem „sehr speziellen Vorfall“, den es so in den 30 Jahren zuvor noch nie gegeben habe. Bislang hätten keine Besuchergruppen ihre Reise aufgrund des Vorfalls abgesagt.

Einige der Betroffenen waren laut Polizei erkennbar muslimischen Glaubens und hatten Kopftücher getragen. Eine körperliche Auseinandersetzung konnte die Polizei nach eigenen Angaben verhindern.

Demo gegen Rassismus in Cottbus

Erst Ende April sorgte ein Brandbrief von Lehrern einer Schule in Burg (Spree-Neiße) für bundesweites Aufsehen. Nazi-Parolen und Hakenkreuz-Schmierereien stünden an der Oberschule auf der Tagesordnung. Am Dienstagnachmittag will ein Bündnis aus Eltern, Lehrern und Schülern vor dem Cottbuser Schulamt demonstrieren – darunter auch die Verfasser des Schreibens. Die Kundgebung findet unter dem Motto „Vielfalt statt Einfalt - Schule ohne Diskriminierung“ statt.

Initiiert wird der Protest vom Bündnis „Schule für mehr Demokratie“. Der Sprecher des Bündnisses, Alex Kulik, sagte: „Dass jetzt über die Probleme an unseren Schulen gesprochen wird, ist der Verdienst der Lehrkräfte und der Schülerinnen und Schüler, die sich an die Presse gewandt haben.“ Die Lehrkräfte verdienten öffentlichen Dank und Schutz durch Politik und Schulamt. „Ihre Zivilcourage ist vorbildlich. Disziplinarische Maßnahmen müssen klar ausgeschlossen werden.“

Die Veranstalter der Demonstration in Cottbus fordern von Schulen und Schulbehörden in der Region ein klares Konzept, um Rechtsextremismus an Schulen zu bekämpfen.

Am Montag wurde bekannt, dass rund 50 Anhänger der pro-russischen Rocker der „Nachtwölfe“ ebenfalls am Heidesee campierte, allerdings in einem anderen Ferienlager. Bei den Bikern handelt es sich offenbar um ein im April, neu gegründetes Chapter aus Deutschland, also einem Ableger der russischen „Nachtwölfe“. Die Gruppe war anlässlich des Gedenkens an das Ende des Zweiten Weltkriegs angereist. Die Brandenburger Polizei hatte die Rockergruppe in den vergangenen Tagen im Blick. Bislang habe es keine Vorkommnisse oder strafbaren Handlungen gegeben, sagte eine Polizeisprecherin am Montag. Auf Nachfrage sagte ein Sprecher am Dienstag, der Vorfall unter den Jugendlichen stehe aber in keinem Zusammenhang.

Gespräche über Rassismus und Rechtsextremismus müssen geführt werden.

Oliver Wiedmann, Landesverbandssprecher des Vereins Mehr Demokratie

Der Landesverband des Vereins Mehr Demokratie Berlin-Brandenburg forderte mit Blick auf die Geschehnisse in Brandenburg, der Rechtsstaat müsse klare Konsequenzen ziehen. „Wenn Gewalt und Anfeindungen im Spiel sind, dürfen Schulen das nicht billigen“, so Landesverbandssprecher Oliver Wiedmann. Schulen seien zentrale Orte, wo Menschen zusammen kämen, die sonst gar nicht mehr miteinander redeten. Hier sei es wichtig, den Dialog zu fördern. Schulen hätten einen Vermittlungsauftrag. „Gespräche über Rassismus und Rechtsextremismus müssen geführt werden.“

2861
Menschen waren 2022 in Ostdeutschland, Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein direkt von politisch rechts motivierten Angriffen betroffen.

Beratungsstellen sind alarmiert

Das Brandenburger Bildungsministerium bestärkte Schulleitungen, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler unterdessen darin, Fälle von Extremismus an Schulen zu melden. „Wer vor Fällen mit Extremismus an Schulen nicht die Augen verschließt, handelt im Sinne von Demokratie und Toleranz“, hieß es in einer Mitteilung. Die Lehrkräfte der Schule in Burg, die die Fälle in ihrem Brief an die Öffentlichkeit bekannt gemacht hätten, müssten keine dienst- oder arbeitsrechtlichen Konsequenzen fürchten. Damit wies die Behörde anders lautende Medienberichte zurück.

Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sind mit Blick auf die Vorfälle alarmiert. Laut der Jahresbilanz des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, die am Dienstag vorgestellt worden ist, ereigneten sich insgesamt im Jahr 2022 täglich bis zu fünf rechte Angriffe allein in den zehn Bundesländern, in denen Anlaufstellen für Betroffene diese systematisch erfassen. 2861 Menschen seien in Ostdeutschland, Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein direkt von politisch rechts motivierten Angriffen betroffen gewesen. Darunter waren 520 Minderjährige nach 288 betroffenen Kindern und Jugendlichen in 2021. (mit AFP, dpa)

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