Brandenburg: Berliner SPD-Basis sieht Rot wegen Sarrazin
Kontroverse Debatte über Kompromiss auf Landesvorstandssitzung erwartet. Austrittsdrohungen machen die Runde
Stand:
Berlin - Nach dem langen Osterwochenende bricht sich der Unmut in der Berliner SPD über die am Gründonnerstag ausgehandelte Einigung mit Thilo Sarrazin offen Bahn. Am Dienstag zeichnete sich ab, dass die für den Abend nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe anberaumte Sondersitzung des Landesvorstandes ungemütlich werden dürfte. Noch größer ist der Ärger vieler Genossen gegenüber der Bundesspitze, die als hauptverantwortlich für die Einigung mit Sarrazin gilt.
„Mein erster Ansprechpartner ist Andrea Nahles“, sagte Dilek Kolat, Kreisvorsitzende in Tempelhof-Schöneberg. Sowohl die Generalsekretärin als auch Bundesparteichef Sigmar Gabriel hätten vorab fundiert begründet, warum Sarrazin mit seinen Thesen über Migration nicht mehr in die SPD gehöre. Die Kategorisierung von Menschen nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen habe nichts mit der Meinungsfreiheit in einer Volkspartei zu tun, sagte Kolat. Sarrazins Erklärung („Mir lag es fern, in meinem Buch Gruppen, insbesondere Migranten, zu diskriminieren’“) sei inhaltlich unvereinbar mit seinem umstrittenen Bestseller „Deutschland schafft sich ab“. Nahles schrieb am Dienstag in einem Brief an Präsidium und Vorstand der SPD, die Schiedskommission habe Sarrazin „gerade zu dem Einlenken bewegt, das mindestens notwendig war, um weiterhin Mitglied der SPD sein zu können“.
Nach Auskunft von Nahles und Sarrazin beruht die Erklärung auf einem Vorschlag der dreiköpfigen Schiedskommission des Berliner SPD-Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf. Er habe sich am Donnerstag „konstruktiv mit den Handlungsbevollmächtigten von Bund, Land und Kreis auseinandergesetzt“, sagte der frühere Finanzsenator und einstige Bundesbankvorstand Sarrazin am Dienstag dieser Zeitung. Warum er unbedingt in der SPD bleiben wolle? Dazu sei „alles gesagt“, so Sarrazin. Er sei im Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung tätig und im Übrigen „einfaches Mitglied“.
Genau darauf will ihn die Abgeordnete Ülker Radziwill reduzieren, die als Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migration auch dem Berliner Landesvorstand angehört. Die SPD müsse jetzt deutlich machen, dass ihre Grundwerte „von diesem engstirnigen, reich gewordenen Rentner nicht beeinflusst“ würden.
Ob der Streit um und mit Thilo Sarrazin der SPD im Jahr der Abgeordnetenhauswahl schadet oder nützt? Politikwissenschaftler Gero Neugebauer von der Freien Universität vermutet, dass es der Partei im Zweifel eher hilft: Zwar könne es linke SPD-Wähler motivieren, nun statt der Sarrazin-Partei vielleicht die Grünen zu wählen. Aber andererseits gebe es in der SPD auch viele Milieus, die beim Thema Einwanderung und Integration nach rechts tendieren.
Bei ihren Wählern mit türkischen Wurzeln hat die SPD zurzeit aber einen schweren Stand. Die Türkische Gemeinde in Deutschland distanzierte sich von dem Deal: Die Partei sei „vor den populistischen und rassistischen Sichtweisen eingeknickt“. Auch für Aydan Özoguz, der Integrationsbeauftragten der SPD-Bundestagsfraktion, ist das Verfahren „zu schnell und intransparent zu Ende gegangen“.
In mehreren Berliner Kreisverbänden ist derweil von Austrittsdrohungen die Rede. Der Spandauer Kreischef Raed Saleh berichtete gestern von neun Fällen. Nachdem er „alle abtelefoniert“ habe, hätten es sich acht anders überlegt, der neunte sei unschlüssig. Andere Sozialdemokraten versuchen in die Offensive zu kommen, und haben eine „Berliner Erklärung“ unterzeichnet. Dort heißt es unter anderem: „Viele Menschen () haben kein Verständnis für das Ergebnis und den Verfahrensablauf des Parteiordnungsverfahrens gegen () Sarrazin. Wir appellieren an die Genossinnen und Genossen unserer Partei, die sich mit den Gedanken eines inneren Rückzuges oder gar Austritts tragen: Jetzt gerade nicht! Die Partei braucht Euer politisches Rückgrat! Stefan Jacobs, Lars von Törne
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: