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Brandenburg: Brandenburg war besonders eifrig

34 000 Hektar eignete sich das Land an. Eine Statistik aus dem Jahr 2007 wirft heute ein neues, grelles Licht auf die Praktiken im Umgang mit Bodenreformland

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Potsdam - Brandenburg war ganz offensichtlich besonders eifrig, wenn es in den 90er Jahren darum ging, sogenanntes Bodenreformland von den Erben einzukassieren. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor, die bereits vom August 2007 datiert. So zeigt die Statistik, dass Brandenburg in rund 14 000 Fällen Ansprüche gegen bisherige Eigentümer geltend gemacht hatte. Aktiver war nur noch Sachsen-Anhalt, das sich rund 18 000 Grundstücke aneignete, während etwa das agrarisch geprägte Mecklenburg-Vorpommern nur in 7730 Fällen, Sachsen nur in etwa 3970 und Thüringen lediglich in 2200 Fällen das Land den Bodenreform-Erben entzog. Der Fläche nach waren die Brandenburger bei den Enteignungen sogar führend: Insgesamt rund 34 000 Hektar eignete sich das Land an (Sachsen-Anhalt: 26 000, Mecklenburg-Vorpommern: 28 317 Hektar).

Was vor etwa einem halben Jahr noch eine mehr oder minder belanglose Statistik war, gewinnt vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu den Praktiken im Land Brandenburg eine besondere Brisanz. Im August 2007 musste man noch davon ausgehen, dass sich die sogenannten Auflassungsansprüche der Bundesländer gegenüber Erben von Bodenreformland im Rahmen geltenden Rechts bewegten – also: wenn die Erben nicht früher einer LPG angehört hatten oder nicht in der Landwirtschaft oder Nahrungsgüterwirtschaft tätig waren, durfte ihnen das jeweilige Bundesland den Boden laut 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14. Juli 1992 entziehen. Diese Regelung allerdings verjährte mit dem 2. Oktober 2000.

Nachdem sich nun mit dem BGH-Urteil herausgestellt hat, dass sich das Land voreilig als Eigentümer in die Grundbücher eintragen ließ, wenn die Erben nicht bekannt (oder vielleicht auch gerade mal nicht erreichbar) waren, wird die große Zahl der „erfolgreichen“ Auflassungsfälle erklärbar: Es war im Interesse rascher finanzieller Erfolge offenbar einfach juristisch geschludert worden. Dieser Übereifer könnte sich jetzt bitter rächen. Denn nach der Gerichtsentscheidung muss das Land auch jene Grundstücke auf Verlangen zurückgeben, auf die es damals durchaus berechtigten Anspruch gehabt hätte (weil die Erben nicht landwirtschaftlich tätig waren). Denn der Bundesgerichtshof urteilte, dass Brandenburg nicht rechtmäßig Eigentümer der Grundstücke geworden sei. Und die Verjährungsfrist für die rechtmäßige Abwicklung in diesen Fällen ist eben mit dem Jahr 2000 verstrichen.

Andere Länder sind offensichtlich nicht mit solcherlei Praktiken vorgegangen, die auch eine Menge über die Defizite im Rechtsstaatsempfinden der politisch Verantwortlichen aussagen. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel wurden nach Aussagen von Detlef Thiel, Sprecher im Agrarministerium, die Landkreise in die Pflicht genommen, gesetzliche Vertreter für die „offenen“ Grundstücksfälle zu benennen. Das waren zum Teil derzeitige Pächter der Flächen, Privatpersonen oder Mitarbeiter von Verwaltungsgemeinschaften. Sie verwalteten die Flächen sozusagen als Treuhänder für die (noch) nicht vorhandenen Erben. Sie waren nicht als Eigentümer eingetragen und traten zurück, wenn berechtigte Erben auftauchten.

Für Brandenburg war die Inbesitznahme der Bodenreformflächen eine lukrative Sache. Die Flächen sind heute überwiegend an Landwirte, aber auch an Windparkbetreiber und Gewerbetreibende verpachtet. Daraus fließen zweifellos ordentliche Erlöse. Ein anderer Teil sind Kleingartenanlagen und Wohnimmobilien.

Unstrittig dürften jene Fälle sein, in denen der Fiskus Geld von den bisherigen Eigentümern einstrich, weil die Grundstücke bereits verkauft waren, oder bei denen das Land gegen Geldzahlung auf die Herausgabe des Landes verzichtete. Immerhin 23 Millionen Euro hat Brandenburg auf diese Weise eingenommen. Doch da in diesen Fällen die konkreten Eigentumsverhältnisse bekannt waren, ist nicht damit zu rechnen, dass dem Land daraus nachträglich Ungemach entsteht.

Im übrigen war Brandenburg auch besonders streitlustig, wenn es um die Enteignungen ging: In 1590 Gerichtsverfahren setzte sich das Land durch – Sachsen und Sachsen-Anhalt waren nur in der Hälfte der Prozesse erfolgreich.

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