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Martina Münch wird wieder Ministerin in Brandenburg: Comeback einer Gescheiterten

Wissenschaftsministerin Sabine Kunst hat um ihre Entlassung gebeten, denn sie ist neue Präsidentin der Berliner Humboldt-Universität. Nun holt Regierungschef Dietmar Woidke die Ex-Bildungsministerin Martina Münch ins Kabinett. Gegen alle Warnungen. Aber warum?

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Potsdam - Die gescheiterte Ex-Bildungsministerin Martina Münch (SPD) soll neue Wissenschaftsministerin im Land Brandenburg werden. Nach PNN-Informationen will Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) Münch am Dienstag als Nachfolgerin der bisherigen Amtsinhaberin Sabine Kunst berufen. Kunst, die neue Präsidentin der Berliner Humboldt-Universität ist, hat am Montagabend um ihre Entlassung gebeten – früher als geplant. Sie tritt ihr neues Amt voraussichtlich im Sommer an. Münch, Jahrgang 1961, von Haus aus Ärztin, Mutter von sieben Kindern, war in der ersten rot-roten Regierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) ab Herbst 2009 schon einmal kurzzeitig Wissenschaftsministerin, allerdings nur eineinhalb Jahre. In dieser Zeit hatte sie einen guten Ruf. Nicht zuletzt, weil Staatssekretär Martin Gorholt (SPD) – er tritt aktuell für die Landratswahl im Havelland an – das Haus administrativ solide führte und ihr den Rücken freihielt. Von Februar 2011 bis zur Landtagswahl 2014 war Münch allerdings Bildungsministerin, nach dem Affären-Rücktritt des Ministers Holger Rupprecht. Auf diesem Posten sorgte Münch für Negativ-Schlagzeilen wie kein anderes Kabinettsmitglied.

Vollgas und Vollbremsung

Kurz nach Amtsantritt hatte Münch, noch 2011, die größte Schulreform der jüngeren Landesgeschichte verkündet: Ab 2019, so die Aussage der neuen Ministerin, sollten alle Kinder gemeinsam in Regelschulen unterrichtet und die bislang separaten einhundert Förderschulen für Kinder mit körperlichen und geistigen Behinderungen, mit extremen Lernschwächen und Verhaltensauffälligkeiten damit zum Auslaufmodell werden. Münch war vorgeprescht, hatte die Pläne unglücklich kommuniziert, keine klare Linie, wie die regulären Schulen dafür ausgestattet werden, um das zu schaffen. Betroffene Eltern, Schulen, die Bildungsgewerkschaft (GEW) und die Opposition liefen Sturm. Münch musste später – auch auf Druck des Linke-Koalitionspartners und von Ministerpräsident Woidke selbst – auf die Bremse treten. Der Plan, dass es ab 2019 keine Förderschulen mehr gibt, wurde gecancelt.

Beschönigen beim Unterrichtsausfall

Im Dezember 2012 gab es die größten Lehrerproteste in Brandenburg seit 1990. 11 000 der 17 000 Lehrer nahmen damals an Personalversammlungen teil, machten ihrem Unmut Luft, auch über die Ministerin. Münch selbst war eingeladen, stellte sich den Betroffenen nicht. Auf den Personal-Versammlungen wurde etwa offen beklagt, wie an den Schulen die Statistiken zum Unterrichtsausfall frisiert wurden. Ein gravierendes Problem, das Münch nie in den Griff bekam, aber öffentlich meist relativierte und beschönigte. In der rot-roten Regierung herrschte vor der Landtagswahl 2014 pure Verzweiflung, dass so viel Geld wie nie zuvor für Bildung ausgegeben wurde, aber alles durch Schlagzeilen um Münchs Agieren überlagert wurde.

Ankündigung ohne Prüfung

Auch 2013 hatte es eine unausgegorene Ankündigung zur Früheinschulung gegeben, die revidiert wurde. Im Frühjahr erklärte Münch, dass sie den geltenden Stichtag für Einschulungen vom 30. September auf den 30. Juni vorziehen wollte, um zu erreichen, dass Kinder nicht zu früh eingeschult werden müssen, also etwas älter sind. Nach wenigen Monaten nur kam dann das Kommando zurück. „Wir werden den Stichtag nicht verlegen.“ Die Begründung: Der gewünschte Effekt würde nicht eintreten. Es waren Hüh-Hott-Aktionen wie diese, die maßgeblich dazu beitrugen, dass Münch im Landtag – und zwar nicht nur bei der Opposition, sondern auch in der Koalition –, bei den Gewerkschaften und auch fast ausnahmslos in den Medien zunehmend als überfordert, nicht durchsetzungsstark galt. Nur ein Beispiel: Schon im November 2013 überschrieb etwa die „Berliner Morgenpost“ einen Beitrag über Münch mit: „Die regierte Ministerin“.

Stärke im Haasenburg-Skandal

So umstritten sie als Bildungsministerin immer war: Es gab eine Ausnahme. Im Krisenmanagement um den Haasenburg-Skandal um misshandelte Kinder und Jugendliche in den Heimen des privaten Betreibers machte Münch alles richtig. Sie setzte umgehend eine externe Expertenkommission mit hochkarätiger Besetzung ein und machte nach Vorlage des Abschlussberichtes die Haasenburg-Heime dicht – trotz juristischer Risiken. Das brachte ihr bundesweit Respekt ein. Und es war eine Geste, zu der Politiker nur selten in der Lage sind: Im Frühjahr 2014 ging Münch mit diesem Satz an die Öffentlichkeit: „Ich entschuldige mich bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen, dass wir sie nicht besser haben schützen können.“

Defizite im Führungsstil

Nun galt – anders als das Wissenschaftsministerium – das Bildungsressort schon immer als schwierig. Aber wie das Binnenklima dort just in der Zeit eskalierte, als Münch Chefin war, ist in der Regierungsgeschichte des Landes ohne Beispiel. 2014 war es sogar zu einer Unterschriftensammlung im Ministerium gegen Münch und ihren damaligen Staatssekretär gekommen, ein Protest gegen einsame Personalentscheidungen, den Führungsstil, „aus Sorge um die Arbeitsfähigkeit“ des Ministeriums. Ein Viertel der Belegschaft hatte unterschrieben. Zudem verärgerte Münch den Regierungschef Woidke und die rot-rote Koalition mit einer instinktlosen Personalie: Woidke stoppte Münchs Versuch, ihre Büroleiterin kurz vor der Landtagswahl 2014 zur Chefin der geplanten neuen Landesschulagentur zu machen. Auch diese Reform, schlecht vorbereitet, war hochumstritten. Der neue Bildungsminister Günther Baaske (SPD) hat sie rückgängig gemacht. Im Sommer 2014 forderte die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) sogar den Rücktritt von Münch. Zuvor hatte die Ministerin laut über mögliche Zwangsversetzungen von Lehrern aus dem Speckgürtel in berlinferne Regionen nachgedacht, was sie später zurücknahm.

Abstieg in der SPD

Vor dem Comeback hatte Münchs Bilanz als Bildungsministerin, ihr beschädigter Ruf, Folgen für ihre Karriere: Als Woidke nach der Landtagswahl sein erstes eigenes Kabinett präsentierte, war Münch nicht mehr dabei. In den Landtag zog sie über die Landesliste ein, den Wahlkreis in Cottbus hatte sie nicht mehr direkt gewonnen. In der Landes-SPD ist Münch seit Dezember 2014, vorher jahrelang Vize-Parteichefin, nicht mehr in der Parteispitze. Münch ist einfache Landtagsabgeordnete aus Cottbus. Aber sie gehört zu den Kritikern der geplanten Einkreisung der kreisfreien Städte bei der geplanten Kreisgebietsreform, die sie ablehnt. Die rot-rote Koalition hat nur drei Stimmen Mehrheit. Auf dem letzten SPD-Landesparteitag in Potsdam widersprach Münch dem Regierungschef direkt. Mit einer klaren Position gegen die Einkreisungen, nach der ihr bei der Abstimmung im Landtag eigentlich nur ein Nein bliebe. Ist das der maßgebliche Grund, dass Woidke Münch nun zurück an den Kabinettstisch holt, um sie so einzubinden? Als Regierungsmitglied könnte sie nicht gegen die Reform stimmen, heißt es. Dem Vernehmen nach ist Woidke vor dieser Personalentscheidung aus den eigenen Reihen und auch vom Koalitionspartner intern gewarnt worden. Von einer Fehlentscheidung ist die Rede. Bei seinen bisherigen Personalentscheidungen für das Kabinett hatte Woidke vor allem auf das Leistungsprinzip gesetzt, weniger auf Parteizwänge. So hatte es, als er 2014 Sabine Kunst wieder zur Wissenschaftsministerin machte und Katrin Schneider zur Infrastrukturministerin – damals waren beide noch parteilos – in der SPD ein vernehmbares Murren gegeben. Vor wenigen Wochen hatte SPD-Landtagsfraktionschef Mike Bischoff erklärt: „Seien Sie versichert, Dietmar Woidke wird die beste Wahl treffen!“ Nun also Martina Münch.

Hinweis in eigener Sache: Passagen zu Münchs Wirken als Bildungsministerin sind bereits in den PNN vom 20. Januar erschienen. Wir drucken sie erneut, weil sich an der Analyse nichts geändert hat.

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