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Blöd gelaufen. Die beiden Sozialdemokraten wussten nicht, was anderen längst bekannt war.

© Jensen/dpa

Brandenburg: Das ging in die Hose

Der Aufsichtsrat wusste von den Mehrkosten am BER – die Regierungschefs bekamen nichts mit

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Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), der am 3. Juli den Vorsitz des Flughafenaufsichtsrates übernehmen will, liest offenbar nicht alle Akten, die dem Kontrollgremium des Hauptstadt-Airports zur Verfügung stehen. Jedenfalls nicht vollständig. Denn die Aufstockung des staatlichen Kapitalzuschusses für den Flughafen BER auf 2,5 Milliarden Euro, die das Bundesverkehrsministerium bei der EU-Kommission beantragt, war den Unterlagen für den Aufsichtsrat schon im März zu entnehmen.

Trotzdem hatte sich Müller am Dienstag nach einer gemeinsamen Kabinettssitzung der Landesregierungen Berlin und Brandenburg von der Aufstockung der Geldspritze um 300 Millionen Euro überrascht gezeigt. Der erhöhte Betrag, über den die PNN am Dienstag berichteten, sei ihm erst bei einem Telefonat mit der Flughafengesellschaft am gleichen Tag bestätigt worden. In Aufsichtsratskreisen heißt es, Müllers Vorgänger Klaus Wowereit, der als „Aktenfresser“ galt, wäre das nicht passiert. Auch der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) warf dem Bund zunächst vor, die Aufstockung der Kapitalhilfe für den BER mit Berlin und Brandenburg nicht abgestimmt zu haben. Aber Woidke gehört dem Aufsichtsrat auch nicht an, allerdings ist sein Flughafenstaatssekretär Rainer Bretschneider der amtierende Aufsichtsratschef.

Es geht um jene Gelder, die die öffentliche Hand bis 2019 für den Fertigbau des BER (1,1 Milliarden Euro), erste Erweiterungen (700 Milliarden Euro) sowie Zins- und Tilgungszahlungen (500 bis 800 Millionen Euro) zur Verfügung stellen oder durch Bürgschaften gewährleisten soll. Denn die Flughafengesellschaft selbst ist infolge des BER-Debakels allein nicht mehr kreditfähig. Das Bundesverkehrsministerium teilte am Donnerstag auf PNN-Anfrage mit, dass der Genehmigungsantrag für 2,5 Milliarden Euro in Brüssel kein Alleingang sei. Zitat: „Der Pre-Notifizierungsantrag und dessen Inhalte basieren auf Angaben der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg. Den zuständigen Gremien der Flughafengesellschaft lagen die Informationen vor.“

Am Donnerstag ruderten Müller und Woidke zurück. Der Regierende Bürgermeister räumte vor dem Abgeordnetenhaus ein, dass dem BER-Aufsichtsrat der um 300 Millionen Euro auf 2,5 Milliarden Euro aufgestockte Kapitalzuschuss „zur Kenntnis gegeben“ worden sei. Das Thema sei auch in der Gesellschafterversammlung diskutiert worden, antwortete Müller auf eine entsprechende Frage der Grünen. Es gebe dafür aber bisher keine Zustimmung oder Beschlussfassung.

Unabhängig davon, dass er die Unterlagen für den Aufsichtsrat offenbar nicht vollständig zur Kenntnis genommen hat, warf Müller dem Bund vor, die Miteigentümer Berlin und Brandenburg über das vorbereitende Genehmigungsverfahren (Pre-Notifizierung) in Brüssel nicht ausreichend zu informieren. Erste Gespräche auf „Mitarbeiter- und Staatssekretärsebene“ hätten ergeben, dass das Verfahren in Brüssel als so vertraulich eingestuft werde, dass das Verkehrsministerium nicht bereit sei, die Unterlagen herauszugeben. Gemeinsam mit dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) sei er aber der Meinung, so Müller, dass die drei Flughafen-Gesellschafter Bund, Berlin und Brandenburg „auf gleichem Informationsstand“ sein müssten. Dies werde gegenüber dem Bund auch eingefordert, sagte Müller vor dem Parlament.

Auch Brandenburgs Regierungschef musste sich korrigieren. Am Dienstag hatte er noch den angeblichen Alleingang des Bundes beklagt: „Wenn Sie es genau wissen wollen: Es war nicht mit den Gesellschaftern abgestimmt.“ Jetzt räumte Woidke die Kommunikationspanne freimütig ein. Erst am Dienstag nach der Pressekonferenz habe er erfahren, dass die höhere Summe in Regierung und Aufsichtsrat bekannt gewesen sei. „Es gab Leute, die es wussten.“ Nach PNN-Informationen lag dem Aufsichtsrat schon zur Sitzung im März 2015 der Antragsentwurf der Bundesregierung für das Notifizierungsverfahren vor. Daraus geht hervor, dass 2,2 bis 2,5 Milliarden Euro beantragt werden. Die zusätzlichen 300 Millionen Euro schlagen zu Buche, wenn die Kapitalspritze nicht direkt aus den Bundes- und Landeshaushalten, sondern über Kredite erfolgt, die von der öffentlichen Hand verbürgt werden. Und genau das wollen Berlin und Brandenburg, die damit die höhere Summe auch noch selbst zu verantworten haben.

Für Brandenburgs Rechnungshof dürfte die Panne eine Bestätigung sein. Nach einer Tiefenprüfung zum Agieren von Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung des BER von 2009 bis 2013 hatten die Kontrolleure einen Rückzug von Spitzenpolitikern aus dem Aufsichtsrat gefordert, was Woidkes Regierung dann umsetzte. Präsident Christoph Weiser hatte dazu den PNN gesagt: „Nach unseren Erkenntnissen haben Spitzenpolitiker, zu denen Ministerpräsidenten und Minister gehören, im Wesentlichen nicht die zeitlichen Ressourcen, um sich mit einem solchen weitgehenden Infrastrukturprojekt ordnungsgemäß und angemessen zu befassen.“

Unterdessen gibt es wieder Turbulenzen um die für 2017 geplante Eröffnung. „Bild-Online“ veröffentlichte ein internes Flughafen-Dokument, in dem es heißt: „Neue Termine reißen AR-Terminschiene.“ Hintergrund sind Behördenauflagen für eine der Entrauchungsanlagen, jene in den Anlieferhöfen. Die Verantwortlichen zeigen sich aber überzeugt, dass der Rückstand aufgeholt wird. „Es gibt Probleme, aber sie sind lösbar und werden gelöst“, sagte der amtierende Aufsichtsratschef Rainer Bretschneider. Und Flughafenchef Karsten Mühlenfeld sagte den PNN: „Bei einem Sanierungsfall dieser Größenordnung ist es tägliches Geschäft, dass manche Arbeiten länger dauern, andere dafür vorgezogen werden können.“ Entscheidend sei, dass der Gesamtplan zur BER-Eröffnung bis Ende 2017 stehe, „und das ist der Fall“.

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