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Von Thorsten Metzner: „Der Landtag ist keine Selbsthilfegruppe für Täter“
Opposition beklagt „unvorstellbaren Schaden“ durch Stasi-Fälle. Platzeck gesteht Fehler ein und spricht von Fehlstart
Stand:
Potsdam - Nach den Enthüllungen über bisher verheimlichte Stasi-Verstrickungen von Linken-Politikern hat die Opposition Brandenburgs rot-roten Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) scharf kritisiert, fordert aber nicht – wie die FDP und Teile der CDU in den vergangenen Tagen – Neuwahlen. In der Debatte um die Regierungserklärung Platzecks zum Fehlstart von Rot-Rot beklagte CDU-Oppositionsführerin Johanna Wanka auf einer Sondersitzung des Landtages in Potsdam den „unvorstellbaren Schaden für Brandenburg“, ein „beschädigtes Vertrauen in die Politik“. Die bundesweite Debatte um Brandenburg als „Stasi-Land“, die Rot-Rot ausgelöst habe, gefährde die Aufbauleistungen der letzten 20 Jahre, sagte Wanka. „Das hat dieses Land nicht verdient.“ Der Landtag sei „keine Selbsthilfegruppe, die Tätern dazu verhilft, vor den Augen der Öffentlichkeit ihre Erinnerungslücken zu schließen, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten und sich zu ihrer Vergangenheit zu bekennen.“
Dass Brandenburg ein „Stasi-Biotop“ werden konnte, habe Ursachen in der Stolpe-Ära, sei ein „Versäumnis des hohen Hauses“ in drei Legislaturperioden, sagte Grünen-Fraktionschef Axel Vogel, der ein geordnetes, differenziertes Stasi-Überprüfungsverfahren im Landtag als überfällig anmahnte. Und FDP-Fraktionschef Hans-Peter Goetz widersprach Platzeck, der vor allem das „dramatische Versagen“ der beiden Linken-Abgeordnete Renate Adolph und Gerd-Rüdiger Hoffmann, die ihre frühere IM-Tätigkeit verheimlichten, für die Krise verantwortlich gemacht hatte. „Es sind nicht Einzelfälle, es ist der Koalitionspartner.“ Hoffmann kam am Freitag mit einem Austritt dem Ausschluss aus der Linken-Fraktion zuvor, will aber Landtagsabgeordneter bleiben. Adolph ist als Abgeordnete zurückgetreten.
Zuvor hatte Platzeck in seiner halbstündigen Regierungserklärung einen Fehlstart von Rot-Rot und eigene Versäumnisse eingeräumt. Nötig sei ein Brandenburg, „in dem sich niemand abgehängt, ausgegrenzt oder vergessen fühlt“, zuallererst nicht die Opfer der SED-Diktatur, sagte Platzeck. Diesem Anspruch gerecht zu werden, sei der neuen Landesregierung „noch nicht gelungen – das ist ein schmerzhaftes Eingeständnis“. Zugleich gestand Platzeck, dass die tiefere Ursache des Debakels darin liegt, dass es seit 1990 im Landtag „keine systematische Stasi-Überprüfung“ mehr gab. „Wir müssen uns eingestehen – auch ich persönlich: Das war ein Fehler.“ Platzeck ist seit 1990, damals unter seinem Vorgänger Manfred Stolpe, Mitglied der Landesregierung. Zugleich beklagte Platzeck die „teils denunziatorische Art“ der aktuellen Stasi-Debatte, mahnte zur Differenzierung. Er plädierte erneut für Versöhnung, damit Brandenburger „miteinander ins Reine kommen“. Zwingende Voraussetzung sei „Einsicht, Selbsterkenntnis, tätige Reue, Offenheit und Bewährung“. Persönlich an Wanka gewandt, die jeden rot-roten Stasi-Fall als Platzeck-Fall gegeißelt hatte, sagte Platzeck: „Ja, jeder Fall ist ein Platzeck-Fall. Denn ich will, dass diese Fälle auf den Tisch kommen.“
Linke-Fraktionschefin Kerstin Kaiser, vor 1989 ebenfalls Stasi-IM, sprach vom „Vertrauensverlust“ durch die verheimlichte IM-Tätigkeit der beiden Abgeordneten. „Ich bedaure das zutiefst.“ Dennoch gebe es „keine Regierungskrise“. Und die Grundansage von Rot-Rot, keine Schlussstrich-Koalition zu sein, sei durch das Versagen Einzelner nicht infrage gestellt. SPD-Fraktionschef Dietmar Woidke wiederum forderte, dass die CDU auch ihre eigene Vergangenheit als Blockpartei in der DDR aufarbeiten müsse: „Gehen Sie in ihren eigenen Keller und zünden Sie das Licht an, Sie werden Leichen finden“, sagte Woidke. Wer Aufarbeitung instrumentalisiere, verhindere damit eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Geschichte.
Während Redner aus den rot-roten Reihen mehrfach den Medien und der Birthler-Behörde eine Kampagne vorwarfen, wies dies die Opposition zurück. Und sie kritisierte den Umgang der Koalition mit dem Fall der nach Stasi-Enthüllungen vom Amt der Landtagsvizepräsidentin zurückgetretenen Linken Gerlinde Stobrawa. Diese ist nach in Opferakten gefundenen Unterlagen der Birthler-Behörde an der Bespitzelung eines regimekritischen SED- Genossen beteiligt gewesen und will Abgeordnete bleiben. Ein Mandatsverzicht sei auch hier „das Mindeste“, sagte Wanka. Grünen-Fraktionschef Vogel kritisierte, dass Platzeck mit keinem Wort auf Stobrawa eingegangen sei. Er nannte den Rücktritt als Parlamentsvize allein deshalb zwingend, weil die Linke vor deren Wahl nicht mitgeteilt hatte, dass Stobrowa schon laut der ersten und letzten Stasi-Überprüfung 1991 IM war. Vogel forderte jedoch auch in ihrem Fall eine geordnete Stasi-Überprüfung. Als letzter Redner verwahrte sich der Linke–Abgeordnete Michael Luthardt, dass er in den letzten Tagen wegen seines Wehrdienstes beim Stasi-Wachregiment „Feliks Dzierskinski“ in die Nähe von Spitzeln gerückt wurde. „Ich war nicht Mitarbeiter der Stasi. Ich habe dort meinen Wehrdienst geleistet. Ich bin keinen Schritt weitergegangen.“
Die 28-jährige Potsdamer FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg, zur Wende keine zehn Jahre alt, sprach aus der Sicht der jüngeren Generation über ihr Unbehagen mit dem sogenannten Brandenburger Weg. Brandenburg stehe mit der gegenwärtigen Stasi-Debatte „an einem Punkt am Ende einer Reihe von Versäumnissen“: „Da kann man auch ohne Schaum vor dem Mund zu anderen Erkenntnissen kommen, als Sie“, sagte sie an die Adresse des Regierungschefs. Sie hoffe, dass dieser Punkt zu einem Wendepunkt auch in Brandenburg führe, so Teuteberg. Sie bemängelte, dass zu viel über diejenigen geredet werde, die mitgemacht hätten in der DDR, diese zu stark hofiert würden. „Wie will man jungen Leuten denn so Zivilcourage“ beibringen?, fragte sie in die Runde und sagte: „Wir müssen mehr über die reden, die anständig geblieben sind.“ Sie appellierte an das Grundverständnis des Parlaments: Selbst wenn die Stimmung in der Bevölkerung für einen Schlussstrich wäre, müssten „wir im Landtag die unbequemen Fragen stellen, dafür ist das der Ort“.
Grünen-Fraktionschef Vogel zog eine bittere Bilanz der Regierungserklärung Platzecks: Die Opposition habe Platzeck mit der von CDU, FDP und Grünen beantragten Sondersitzung die Chance gegeben, sich endlich zu erklären. Was er nicht habe vom Regierungschef hören wollen, sei dass die Schuld an der Krise „auf zwei Einzelne abgewälzt wird, dass die Opposition einen dicken Balken im eigenen Auge hat und die Sozialdemokratie der Hort“ alles Positiven sei – das aber, so Vogel, habe Platzeck vorgetragen. Vogel bemängelte, dass die rot-rote Koalition weit vom Regierungshandeln entfernt sei. Die Grünen, so Vogel, freuten sich auf ihre Oppositionsarbeit. Nur: „Oppositionsarbeit setzt das Vorhandensein von Regierungshandeln voraus.“ An Platzeck gerichtet: „Also: Fangen Sie an!“ (mit pet)
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