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Die umstrittenen Haasenburg-Jugendheime in Brandenburg dürfen noch nicht geschlossen werden. Das entschied das Verwaltungsgericht Cottbus in einer Zwischenentscheidung im Eilverfahren.

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Brandenburg: Die Last der Haasenburg

Landesjugendamt erleidet Niederlage gegen Heimbetreiber – Münch sieht aber keine Risiken für den Entzug der Betriebserlaubnis

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Potsdam - Der Skandal um die Haasenburg-Heime in Brandenburg ist auch nach der angekündigten Schließung längst nicht ausgestanden. Wegen des Versagens der Heimaufsicht im Land, die mit drei Mitarbeitern für 400 Einrichtungen bisher unterbesetzt ist, gerät nun Bildungsministerin Martina Münch (SPD) selbst in politische Schwierigkeiten. Im Bildungsausschuss des Landtags übten am Donnerstag die Oppositionsparteien CDU, Grüne und FDP scharfe Kritik. Zudem nimmt die Staatsanwaltschaft Cottbus den von der unabhängigen Expertenkommission vorgelegten Haasenburg-Bericht unter die Lupe, der schwere Missstände in den drei Heimen des Unternehmens festgestellt hat.

Für Erschütterung sorgen gleich mehrere Ergebnisse: Demnach gebe es eine nach wie vor latente Gefahr unzulässiger Zwangs- und Drillmaßnahmen gegen Kinder und Jugendliche, darüber hinaus auch Hinweise auf Abrechnungsunregelmäßigkeiten wie nicht erbrachte Leistungen und zu wenig eingesetztes Personal. „Wir prüfen, ob sich aus dem Bericht relevante Tatsachen zu den laufenden Ermittlungen ergeben“, sagte Oberstaatsanwältin Petra Hertwig den PNN. Derzeit laufen in der Cottbuser Behörde zum Haasenburg-Komplex rund 70 Verfahren.

Wie berichtet will Bildungsministerin Martina Münch (SPD) der Haasenburg GmbH die Betriebserlaubnis für die drei Heime Müncheberg, Neuendorf und Jessern entziehen, in denen bis zum Skandal 115 schwer erziehbare, kriminell auffällige Kinder und Jugendliche aus der ganzen Bundesrepublik betreut wurden. Derzeit sind es noch 37, davon zwei aus Brandenburg. Die anderen kommen unter anderem aus Rheinland-Pfalz, Hamburg, Saarland und Niedersachsen, eine Gesamtaufstellung hatte das Bildungsministerium am Donnerstag noch nicht.

Der von Münch angekündigte Entzug der Betriebserlaubnis noch im November ist juristisch riskant. Die Haasenburg GmbH errang in einem anderen Verfahren einen Teilerfolg. Das Verwaltungsgericht Cottbus gab der Firma in einem Eilverfahren recht, dass der im August bis Oktober verlängerte und modifizierte Belegungsstopp nicht sofort vollzogen werden muss. Die Behörde hatte angeordnet, dass das Heim in Neuendorf nur unter strengen Auflagen wenige neue Kinder in die geschlossene Unterbringung – was ein Familiengericht beschließen muss – aufnehmen darf. Nach Angaben eines Haasenburg-Sprechers begründe das Urteil Schadenersatzforderungen. Damit würden die Chancen sinken, eine Schließung durchzusetzen. Ministerin Münch reagierte gelassen und hält trotz gerichtlicher Aufhebung eines Belegungsstopps an der geplanten Schließung der Haasenburg-Heime fest. „Ich sehe keine Auswirkungen durch den Gerichtsbeschluss“, sagte Münch der Nachrichtenagentur dpa in Potsdam. „Wir werden uns den Beschluss sehr genau ansehen und prüfen, ob wir Rechtsmittel einlegen. Parallel bereiten wir wie geplant den Entzug der Betriebserlaubnis vor.“

Der Bescheid zum Belegungsstopp war allerdings offenbar handwerklich unsauber, laut Cottbuser Verwaltungsgericht zu unbestimmt. So beanstandete das Gericht einen Hinweis der Behörde im Neuendorf-Bescheid auf das bereits geschlossene Heim in Müncheberg. „Die Kammer hat nicht erkennen können, was das Landesjugendamt damit aussagen will“, sagte ein Gerichtssprecher. Das private Interesse der Haasenburg GmbH sei stärker zu bewerten als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides des Landesjugendamtes, urteilte das Gericht. Das Kindeswohl könne auch durch nachträgliche Auflagen für den Träger gesichert werden. Die Untersuchungskommission hatte in ihrem Bericht aber festgestellt, dass von den Behörden erteilte Auflagen von der Haasenburg teilweise nicht eingehalten wurden.

Münch hatte auch eine Bundesinitiative angekündigt, um geschlossene Unterbringungen deutschlandweit einheitlich zu regeln, was auch die Kommission empfiehlt. Im Gegensatz zu Gefängnissen, Psychiatrie oder Jugendarrest gibt es bislang dafür keine Gesetze, die Rechte, Pflichten und Regeln in den Heimen klar festlegen. Das Bundesjugendministerium dagegen verwies darauf, dass es reine Ländersache, dies rechtlich zu regeln. „Wir haben keine Bundeskompetenz in dem Bereich, das ist komplett Länderangelegenheit“, sagte ein Sprecher den PNN. Einige Bundesländer verfügten bereits über Ausführungsgesetze. Ein Brandenburger Vollzugsgesetz für geschlossene Heime dürfte aber schwierig werden. Denn die mitregierenden Linken lehnen solche Einrichtungen prinzipiell ab. Das Ministerium schloss am Donnerstag auf PNN-Anfrage aber auch ein eigenes Landesgesetz nicht aus, Vorrang habe aber der Versuch, ein bundesweit einheitliches Vorgehen zu verabreden, sagte Sprecher Stephan Breiding.

Scharfe Kritik übte die Opposition im Landtag an Münch. Grund ist, wie auch der Bericht belegt, das Versagen von Landesjugendamt und des Ministeriums bei der Kontrolle der Heime. Das Ministerium hatte gegenüber der Kommission etwa ausgeführt, dass das Landesjugendamt eine eigenständige Behörde sei. Nach Ansicht der Expertenkommission hätten die Behörden spätestens 2008/2009 wegen Hinweisen auf Missstände, Grundrechtsverletzungen und Körperverletzungen schon viel früher und konsequenter einschreiten müssen. Tatsächlich hatte Münch erst nach ersten Berichten über Misshandlungsvorwürfe im Sommer 2013 mit einem Belegungsstopp und der Berufung der Untersuchungskommission reagiert. Zwar begrüßten alle Fraktionen das Einschreiten der Ministerin, die nun auch Verfehlungen im eigenen Haus prüfen will. Dennoch gerät Münch unter Druck. Die Opposition warf ihr vor, die Missstände in der Haasenburg durch fehlendes Personal in der Heimaufsicht mitverschuldet zu haben. „Der Personalnotstand beim Landesjugendamt war schon lang bekannt“, sagte CDU-Bildungsexperte Gordon Hoffmann. Die CDU habe mehrfach in der Vergangenheit – vor dem Haasenburg-Skandal – darauf hingewiesen, dass drei Behördenmitarbeiter für 400 Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe im Land nicht ausreichen. „Hier hat das Ministerium und ihre Leitung versagt“, sagte Hoffmann. FDP-Fraktionschef nannte die Personalausstattung der Heimaufsicht untragbar. „Für die Zukunft muss gewährleistet sein, dass die Behörden ihren Kontroll- und Aufsichtspflichten nachkommen“, sagte er. Münch hatte bereits erklärt, dass sie die Heimaufsicht aufstocken will. Auf Nachfrage ließ sie aber noch offen, wie viele Mitarbeiter es zusätzlich werden sollen.

Generell hat die Ministerin aber die Rückendeckung für ihr Vorgehen vom Landtag. Vertreter aller Fraktionen im Jugendausschuss sind für die Schließung der Heime, FDP und Linke fordern sie schon lange. „Diese Einrichtung kann nicht mehr auf unserem Boden bestehen“, sagte der FDP-Fraktionschef Andreas Büttner. Nötig sei eine externe Untersuchung des Landesjugendamtes. Büttner forderte einen Unterausschuss des Jugendausschusses dafür. Die von der Ministerin zugesagte Untersuchung dürfe nicht hinter verschlossenen Türen erfolgen, betonte Grünen-Bildungsexperten Marie von Halem.

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