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Nilas hat Leukämie

© privat

„Ein Baby sollte alles haben, aber keinen Blutkrebs“: Nilas hat Leukämie – nur eine Stammzellenspende kann ihn heilen

Als der Blutkrebs erkannt wird, ist der kleine Nilas gerade ein halbes Jahr alt. Zur Heilung fehlt bisher der passende Stammzellenspender. Nilas’ Eltern kämpfen – um ihren Sohn, gegen die Leukämie und gegen die Angst.

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Wolke – Spirale – Spirale – Trommel. Auf den ersten Blick sehen die quietschbunten, aufgefädelten Perlen knuffig aus. Narkose – Bluttransfusion – Bluttransfusion – orale Chemotherapie. Wer die Bedeutung der Perlen kennt, erschrickt. Denn jede dieser „Mutperlen“ steht für einen Behandlungsschritt im Kampf gegen den Krebs. Und obwohl der kleine Nilas aus Teltow erst acht Monate alt ist, ist seine Mutperlenkette schon um ein Vielfaches länger als er selbst.

Rund ein Drittel seines Lebens hat Nilas wegen einer äußerst aggressiven Leukämie inzwischen auf der Kinderkrebsstation verbracht. „Er wurde in der Charité geboren – und jetzt sind wir wieder hier“, sagt seine Mutter, Vivian S., an einem Septembernachmittag im Virchow-Klinikum mit einem Kopfschütteln. „Ein Baby sollte alles haben, aber keinen Blutkrebs.“ Nur eine Stammzellenspende kann ihn nun heilen – doch die Suche nach einem passenden Spender läuft noch.

Es begann mit blauen Flecken

Alles begann Anfang Juli, als Nilas einzelne blaue Flecken bekam. Schon komisch, dachten die jungen Eltern Vivian und Johannes S., aber schrieben es dem aufkeimenden Bewegungsdrang zu. Nilas hatte gerade begonnen, mobil zu werden. Wenig später kamen jedoch stecknadelgroße Einblutungen hinzu.

Vivian, Nilas und Johannes kämpfen gemeinsam gegen den Blutkrebs.

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„Aber Nilas war quietschvergnügt und hatte kein Fieber. Wir sind mit einem strahlenden Baby zur Akutsprechstunde gegangen“. Dort nahm die behandelnde Ärztin Blut ab. Noch am selben Abend kam der panische Anruf der Kinderärztin, Nilas müsse sofort ins Krankenhaus, sein Blutbild sei schlecht. Dort kam wie aus dem Nichts die furchtbare Diagnose: Nilas hat Blutkrebs. Die Behandlung begann noch in derselben Nacht. Seit dem 8. Juli wird der Säugling ununterbrochen stationär behandelt.

Nilas leidet an einer Variante der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL). Leukämie ist eine Krebserkrankung, die vom Knochenmark ausgeht, wo im Körper die Blutzellen gebildet werden. Bei einer Leukämie werden massenhaft kranke weiße Blutkörper, Leukozyten, gebildet, die nach und nach die gesunden Blutzellen verdrängen.

Ein freundliches Baby

„Wir sind seit zwei Monaten durchgehend hier“, erzählt Nilas’ Mutter. In dieser Zeit erhielt ihr Sohn mehr als 25 Bluttransfusionen, nahm ebenso viele orale Chemotherapien ein, ließ mehrere Punktionen über sich ergehen, bei der die Chemo direkt ins Nervenwasser gespritzt wird. „Es ist unglaublich, was ein Baby schaffen muss“, sagt Nilas’ Mutter. Und zugleich unglaublich, was ein Baby schaffen kann.

Seine Eltern sind immer an Nilas’ Seite. „Er weiß nicht, wie krank er ist, und er erwartet von uns ein normales Leben“, erzählt seine Mutter. „Er entdeckt gerade seine Stimme, will Faxen machen und bespaßt werden.“

Nilas fordert von seinen Eltern ein, bespaßt zu werden. Leukämie hin oder her.

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Nilas sei ein freundliches und ausgeglichenes Baby, erzählt seine Mutter. „Außer wir sind nicht pünktlich mit dem Essen“, sagt sie und lacht. „Dann wird er hangry“. Da er inzwischen quasi kein Immunsystem mehr hat, kann Nilas kaum Besuch empfangen und sein Krankenzimmer nur noch selten verlassen.

Dennoch lässt sich der Säugling begeistern. An Musik etwa hat er großen Spaß, lacht beim gemeinsamen Schunkeln mit seinen Eltern. „Ob Rock oder Pop ist ihm total egal, Hauptsache rhythmisch“. Ganz besonders liebt der Kleine das wabernde Licht einer Polarlichtlampe, die er von seinem Patenonkel bekommen hat. Um nicht immer an eine weiße Zimmerdecke starren zu müssen.

Die Suche nach dem „genetischen Zwilling“

Doch so lebensfroh Nilas den Umständen entsprechend auch wirkt: „In seinem kleinen Körper waltet eine todbringende Krankheit“, sagt seine Mutter. „Und es gibt gerade keine Garantie, dass er es schafft“. Zurzeit wird eine weltweite Datenbank nach einem passenden Stammzellenspender durchforstet, einem sogenannten „genetischen Zwilling“.

Doch anstatt untätig und schicksalsergeben das Ergebnis der Suche abzuwarten, haben sich Vivian und Johannes S. entschieden, selbst aktiv zu werden. Auf unterschiedlichen Wegen haben sie dazu aufgerufen, sich für die Stammzellenspende registrieren und typisieren zu lassen. „Wir müssen aus der beschissenen Situation das Beste rausholen – und das wird nicht nur für Nilas sein“, sagt die Mutter.

Mehrere Typisierungsaktionen in Brandenburg

Mehr als 1500 Menschen haben sich online bereits bei der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) unter „Sommermärchen für Nilas“ registriert. Noch dazu haben die Eltern zu mehreren lokalen Typisierungsaktionen aufgerufen. Die nächsten finden am 20. September in Neuruppin, Brandenburg an der Havel und Beelitz statt.

Jede Perle der Kette steht für einen Behandlungsschritt im Kampf gegen den Blutkrebs.

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Zu ihrer Mission gehört auch, über die Stammzellenspende aufzuklären. Denn bis heute denken viele Leute an gefährliche oder schmerzhafte Knochenmarkpunktionen. Dabei werden heutzutage rund 90 Prozent aller Stammzellenspenden schmerzfrei über eine Art Blutspende gewonnen. „Es kostet nicht mehr als zwei Stunden Lebenszeit, einem anderen das Leben zu retten“, sagt Nilas’ Mutter. „Jede Registrierung ist die Chance, egal wie klein, dass Nilas seinen genetischen Zwilling findet“.

Wenn sie über die Initiative und die nächsten Behandlungsschritte spricht, wirkt Vivian S. entschlossen. „Doch egal, wie gefasst man wirkt, man ist es nicht“, gesteht sie. „Die Tränen kommen immer wieder hoch und man versucht sie herunterzuschlucken. Alles für Nilas.“

Wenn ein Spender gefunden wird, könnte die junge Familie aus Teltow an Weihnachten das Virchow-Klinikum zum ersten Mal wieder verlassen. Natürlich wäre es schön, irgendwann gemeinsam mit Nilas einmal die Polarlichter zu sehen, die echten. Aber so weit müsste es für Familie S. gar nicht sein. „Ganz egal wohin. Da, wo der Wind weht, wo Weite ist, wo wir durchatmen können“, sagt Vivian S. und atmet tief durch. Unterdessen wird Nilas’ Mutperlenkette von Tag zu Tag länger.

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