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Jüdische Fakultät: Eine Entscheidung – sonst Bayern

Brandenburg verspielt die Chance auf Deutschlands erste jüdisch-theologische Fakultät in Potsdam

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Potsdam - Dem Land Brandenburg droht der Verlust der deutschland weit einzigen Rabbiner-Ausbildungsstätte – des Potsdamer Abraham Geiger Kollegs – und des geplanten, einmaligen Zentrums für Jüdische Studien. Wie der Direktor des Geiger Kollegs, Professor Walter Homolka, am Montag den PNN bestätigte, liege ihm ein konkretes Angebot der Universität Erlangen-Nürnberg vor, das Kolleg als eigene Fakultät mit drei Lehrstühlen in Nürnberg einzugliedern. Die Initiative dazu sei vom bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) ausgegangen, sagte Homolka. Bis Anfang Dezember müsse er sich entscheiden, ob das Kolleg in Potsdam bleibt oder nach Bayern zieht.

Das, so Homolka, hänge allein von der brandenburgischen Landesregierung ab. Die müsse bis dahin endlich einen eigenen Beschluss zur Einrichtung einer jüdisch-theologischen Fakultät an der Universität Potsdam fassen. Das Thema sollte nach Homolkas Informationen eigentlich am heutigen Dienstag im Kabinett behandelt werden. Das habe ihm Linke-Landtagsfraktionschefin Kerstin Kaiser in der Vorwoche zugesichert. Doch sowohl die Staatskanzlei von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) als auch das Wissenschaftsressort erklärten am Montag, das Thema stehe nicht auf der Tagesordnung. Der Sprecher von Wissenschaftsministerin Sabine Kunst (parteilos) erklärte zwar: „Wir stehen der Idee für eine jüdisch-theologischen Fakultät in Potsdam offen gegenüber.“ Er fügte allerdings hinzu: „Die Pläne müssen aber weiterentwickelt und konkretisiert werden. Momentan gibt es dieses konkrete Konzept noch nicht. Von einem ernsthaften Interesse von bayerischer Seite ist uns nichts bekannt.“

Das wiederum erregt Homolka. Er habe dem Ministerium vor zwei Wochen einen fertigen Entwurf für einen Staatsvertrag zwischen den jüdischen Organisationen und dem Land Brandenburg zur Einrichtung der Fakultät vorgelegt – weil das Ministerium selbst es bisher nicht geschafft habe. Am 27. September habe es ein Essen mit Platzeck, Ministerin Kunst, jüdischen Interessenvertretern und ihm gegeben, sagte Homolka. Dabei sei festgelegt worden, welche Zuarbeiten von ihm zu erbringen seien. Diese habe er erfüllt. Er habe vom Wissenschaftsministerium aber bis heute nicht gehört, was an dem Vertragsentwurf und den mitgelieferten Konzepten nicht genüge. Das Land sei nun am Zuge, so Homolka.

Dass man in Potsdam nichts von einem Angebot aus Bayern wissen will, wie es der Sprecher des Wissenschaftsministeriums sagte, sei ihm völlig unerklärlich, so Homolka. Schließlich habe er am 1. November persönlich Ministerin Kunst über die Offerte der Uni Erlangen-Nürnberg informiert. Am 5. November habe er schließlich Platzeck davon inKenntnis gesetzt.

Auch der Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für Europäisch-Jüdische Studien (MMZ) in Potsdam, Julius Schoeps, droht mit weitreichenden Konsequenzen für die märkische Wissenschaftslandschaft, wenn Brandenburg die Fakultät nicht einrichtet: Davon hingen mehrere Millionen Euro Fördermittel des Bundes ab, mit denen Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) die Schaffung eines weltweit einzigartigen Zentrums für Jüdische Studien unter dem Dach der Universitäten Berlin und Brandenburg finanziell unterstützt. Wesentlicher Teil dieses Zentrums sollte die universitäre Rabbiner-Ausbildung sein. Schavan strebt die Gleichstellung der Imam- und der Rabinerausbildung auf Ebene der Hochschulen in Deutschland an.

Die Gleichstellung der jüdischen Theologie mit den islamischen Zentren und den christlichen Theologien hatte der Wissenschaftsrat Anfang 2010 angemahnt. Daraufhin hatten sich die Rabbinerkonferenz und die Kultusministerkonferenz für den Standort Potsdam ausgesprochen. Selbst die Deutsche Bischofskonferenz plädierte für die Rabbinerausbildung an den Hochschulen.

Geiger-Chef Homolka sagt, mit dem Weggang seines Kollegs seien auch die von Schavan für Brandenburg zugesagten Bundesmittel für das Zentrum für Jüdische Studien in Gefahr: „Wenn wir aus Brandenburg weg sind – was soll dann hier noch gefördert werden?“ Homolka machte für den Fall des Weggangs des Kollegs Ministerin Kunst direkt verantwortlich. Unterstützung erhalte er hingegen vor allem von der brandenburgischen FDP und den Linken aus Berlin und Brandneburg, die die Ministerin wiederholt gedrängt hätten, aktiv zu werden.

Auch Schoeps warnt: „Wird die jüdisch-theologische Fakultät nicht errichtet, sehe ich auch das bundesgeförderte Projekt kippen.“ Auch er drohte mit dem Wegzug des Kollegs nach Bayern: „Ich selbst bin Mitglied der Verhandlungsgruppe, die am 22. November Gespräche über einen Umzug des Abraham Geiger Kollegs nach Bayern führt. Auch andere Bundesländer haben Interesse signalisiert.“ Dann treffen sich Vertreter der Universität Erlangen-Nürnberg, der bayerischen Staatsregierung und des Kollegs um 9 Uhr in der Früh zu Verhandlungen.

Schoeps aber favorisiert ganz klar Potsdam: Nicht zuletzt sei durch die Rabbinerausbildung des Geiger Kollegs nur in Potsdam die Chance gegeben, mit seinen über 300 Studierenden der Jüdischen Studien eine europaweit einzigartige Einrichtung für Jüdische Theologie zu schaffen. Er verwies auf die historische Verpflichtung angesichts der von den Nationalsozialisten zerstörten jüdischen Ausbildungseinrichtungen. „Jetzt ist es moralisch geboten, ohne viel Erbsenzählerei endlich eine authentische Ausbildung für heute zu gewährleisten“, so der Historiker. Die Regierung von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) müsse hier Zeichen setzen. Die Bayern, so Homolka hätten dies für sich erkannt: Die Uni Erlangen-Nürnberg wolle das Zentrum nicht umsonst nach Nürnberg locken – der Stätte der NSDAP-Reichsparteitage. (mit KNA)

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