
© ADN/Karlheinz Schindler, Bundesarchiv
Von Alexander Fröhlich und Peter Tiede: Grenzfall Ehrenkommission
Bei der Überprüfung des ersten Landtages wurde nach nicht nachvollziehbaren Kriterien geurteilt – das zeigen die Akten
Stand:
Potsdam – Die in einem Landtags-Safe lagernden Geheimakten der Stasi-Überprüfung des ersten Landesparlaments bringen die damalige Überprüfungskommission in arge Erklärungsnöte. Denn nach PNN-Recherchen hat sich die sogenannte Ehrenkommission teils nicht einmal an die eigenen Regeln gehalten und nach nicht nachvollziehbaren Kriterien über Verdachtsfälle informiert. Nicht einmal der Abschlussbericht der beiden als Vertrauensleute tätigen Geistlichen – dem Evangelischen Superintendenten Günter Bransch und dem katholischen Monsignore Heinz Ducke –, der den PNN vorliegt, ist nach nachvollziehbaren Kriterien in der Versenkung verschwunden.
Der Chef der Grünen-Landtagsfraktion, Axel Vogel sprach am Donnerstag gegenüber den PNN von einem „klandestinen Verfahren“: „Der Abschlussbericht der Kommission ist nicht dem Landtag vorgelegt worden, war auch keine Drucksache, sondern nur in kleiner Stückzahl von Hand zu Hand im Landtag herumgegeben worden.“ Vogel: „Es gab kein transparentes Verfahren.“
Nach Angaben der Stasi-Unterlagenbehörde, der sogenannten Birthler-Behörde, sind im Jahr 1991 ganze 17 Bescheide zu Stasi-Verstrickungen von Abgeordneten nach Potsdam geschickt worden. Alle diese wurden von der Behörde als Stasi-Fälle eingestuft. Im Abschlussbericht der Landtagskommission geht es aber, wie berichtet, nur um zwölf – in keinem Fall sprachen die Vertrauenspersonen eine Empfehlung zur Niederlegung des Mandats aus. Über die fehlenden fünf Fälle hüllten sich die Geistlichen offenbar komplett in Schweigen. So ist bis heute nicht öffentlich, um wen es sich bei den fünf aussortierten Abgeordneten mit Kontakten zum DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) handelt.
Unter den nicht gemeldeten Fällen ist auch der langjährige parlamentarische Geschäftsführer der PDS/Linke, Heinz Vietze – einem ehemaligen hauptamtlichen FDJ- und SED-Funktionär. Obwohl Vietzes Akte fast 200 Seiten umfasst, sortierten ihn die Vertrauensleute still und heimlich aus. Offenbar, weil Vietze unter die von ihnen als verschonenswert eingestufte Kategorie derer fiel, die aus rein beruflichen Grünen Kontakt zum MfS hatten bzw. haben mussten. Doch Vietze taucht als FDJ-Funktionär in den MfS-Akten auch eindeutig als Auftraggeber und eben Informant des MfS auf. Die Stasi selbst schrieb über die Treffen in der Regel nicht „Aussprache mit...“ sondern eben vertrauensvoll „Absprache mit“. Geschlossen werden musste die Akte Vietze vom MfS, als dieser in der SED-Hierarchie weit genug aufgestiegen war: Als Vietze 1. Sekretär der SED-Kreisleitung in Oranienburg wurde, schloss das MfS die Akte am 8. Januar 1985 nach fast 14 Jahren. Vietze war, wie er selbst immer wieder eingeräumt hatte, in seiner neuen Funktion zum Auftraggeber des MfS – das als Schild und Schwert der SED galt – aufgestiegen.
Jetzt wird zudem klar: Die Aufzeichnungen der beiden kirchlichen Vertrauensleute über ihre Prüfungsgespräche und Auswertungen sind nach PNN-Informationen verschwunden – jedenfalls liegen sie nicht, wie es üblich wäre, zusammen mit den archivierten Überprüfungs-Akten im Panzerschrank des Landtages. Wie sie zu ihren Entscheidungen kamen, bleibt damit nicht nachvollziehbar.
Grünen-Fraktionschef Vogel erneuerte nun seine Kritik an dem Entschluss des Landtagspräsidiums vom Mittwoch, die bislang im Panzerschrank im Keller des Parlamentsgebäudes auf dem Brauhausberg lagernden Akten und Alt-Bescheide der Stasi-Überprüfung wegen „Verwertungsverbot“ an das Landeshauptarchiv zu überführen, statt nach einem Verfahren zu suchen, nachdem sie zumindest teilweise neu ausgewertet werden könnten. SPD-Fraktionschef Dietmar Woidke sieht dagegen keinen Rechtsgrund, „personenbezogene Akten herauszugeben“. Auch warnte Woidke davor, die Arbeit der Kommission von 1991in Diskredit zu bringen. Das, so Woidke, würde doch nur die Arbeit der neuen, im Januar beschlossenen Kommission erschweren.
Dabei bemüht sich die SPD seit Wochen hinter den Kulissen, eines ihrer heikelsten Nachwendethemen nicht wieder groß auf die Tagesordnung gelangen zu lassen: Den Fall Manfred Stolpe. Dessen enge Kontakte zu unterschiedlichen Abteilungen des MfS, das ihn als „IM Sekretär“ führte und laut Aktenlage mit einem Orden dekorierte, hatten Brandenburg die 90er Jahre hindurch beschäftigt. Bis heute leugnet Stolpe, IM der Stasi gewesen zu sein. Doch völlig offen ist noch immer, ob den beiden kirchlichen Vertrauensleuten 1991 auch schon Akten zu Stolpe vorlagen. Unter den gemeldeten zwölf ist er jedenfalls nicht. Sollten die Vertrauensleute Stolpe aussortiert und den Fall des ersten Ministerpräsidenten des Landes damit verschwiegen haben, würde der Erklärungsdruck der beiden Geistlichen weiter steigen. Es sei denn, sie hätten Stolpes enge MfS-Kontakte als Konsistorialpräsident der evangelischen Kirche der DDR als beruflich notwendig eingestuft.
Schon im Vorfeld der nun geplanten neuerlichen Stasi-Überprüfung des Landtages Brandenburg hatten die Opposition aus CDU, Grünen und FDP eine Öffnung der Keller-Unterlagen wegen der umstrittenen Kriterien zur Überprüfung gefordert. Vogel sagte nun, diese seien „so weit gefasst worden, dass niemand hängen bleiben konnte“.
Tatsächlich gingen die Vertrauensleute bei ihrer Beurteilung anders vor als die Stasiunterlagenbehörde. Wenn sich eine konspirative IM-Tätigkeit aus den Akten ergibt, kann diese aus Sicht der Behörde auch ohne Vorliegen einer Verpflichtungserklärung angenommen werden. Die Kommission machte ihren Entschluss aber von einer solchen Erklärung, Angaben über Decknamen, Führungsoffizier und Auftrag, von Auszeichnungen oder Geldzahlungen sowie vom Vorliegen von Spitzelberichten oder weitergegebenen Informationen abhängig.
Doch sie ließ auch den ersten Chef der FDP-Landtagsfraktion, Rainer Siebert, passieren, obwohl der, wie es in dem Abschlussbericht der Geistlichen heißt, „für die Zeit von 1970 bis 1973 als IM geführt“ wurde. Die in Aktenauswertung weitgehend unerfahrenen Kirchenleute stellten fest, als IM habe Siebert „keine brauchbaren Informationen gegeben“. Dabei hatte Siebert laut Aktenlage solange munter berichtet und auch über Post von Armeekameraden an die Stasi rapportiert, bis er es während der Armeezeit auf den begehrten Stuhl des Kompanieschreibers geschafft hatte – der begehrten Position, in der man für die Urlaubsscheine zuständig war. Die Geistlichen stießen sich auch nicht daran, dass Siebert laut Stasi-Akte „per Handschlag“ zur Zusammenarbeit verpflichtet wurde – ursprünglich, um im Internat zu spitzeln. In der Akte liegt auch eine von Siebert unterzeichnete Verschwiegenheitserklärung. Siebert war es dann 1990, der für die FDP wesentlich zusammen mit Stolpe und der Bündnis90-Spitze den Vertrag für die Ampel-Koalition aushandelte.
Wie aus Kopien von Teilen der Akten, die im Landtag lagern, außerdem hervorgeht, ist im Parlament trotz mehrerer unklarer Fälle, bei denen eine abschließende Entscheidung über die tatsächliche Dimension der Stasi-Tätigkeit ausdrücklich ausgesetzt worden war, versäumt worden, ein Folgeverfahren einzuleiten. Nur so hätten aber bei Vorliegen neuer Stasi-Akten die Abgeordneten erneut überprüft werden können.
So auch im Fall der als Vizepräsidentin des Landtages zurückgetretenen Linke-Politikerin Gerlinde Stobrawa – vor 1990 von der Stasi als IM „Marisa“ geführt. Der Kommission hatte 1991 nur eine Karteikarte vorgelegen, „keine Berichte, weiteren Angaben möglich“. Im Abschlussbericht der Vertrauensleute heißt es weiter zu Stobrawa, „als IMS/IME (Experte) im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Staatsfunktionärin geführt“. Laut Experten der Birthler-Behörde ist durch die im November 2009 zusätzlich aufgetauchten Akten aber der Nachweis einer Tätigkeit für die Stasi zweifelsfrei erbracht. „Der Fall Stobrawa fällt gar nicht unter die Rubrik Grenzfall, die Unterlagen lagen einfach gar nicht vor“, sagte Vogel zum Ergebnis der Stasi-Prüfung von 1991. „Aber anscheinend ist der Bericht gar nicht gelesen worden.“ Tatsächlich hatte die Kommission für solchen Fälle wie Stobrawa festgelegt, dass „die Nichterteilung eines Rates zur Mandatsniederlegung den Charakter einer Aussetzung der Entscheidung“ habe, „bis nachprüfbare Unterlagen vorgelegt werden können“. Der Grünen-Fraktionschef fragt nun: „Wer hat entscheiden, dass es keine Nachfolgeprüfung mehr gibt? Das ist im Landtag nicht kommuniziert worden.“
Eine neuerliche Überprüfung der Abgeordneten durch eine vierköpfige, prominent besetzte Kommission steht dagegen unmittelbar bevor. Die Parlamentarier sind am gestrigen Donnerstag zur Abgabe ihrer Personalbögen aufgefordert worden – auch Gerlinde Stobrawa. Vogel: „Die eigentliche Überprüfung ist 1991 um 19 Jahre vertagt worden, sie findet jetzt erst statt.“ Das Vorgehen der Vertrauensleute damals ist laut Vogel immerhin ein Argument mehr für eine Enquete-Kommission zur „Aufarbeitung der Aufarbeitung“ der SED–Diktatur in Brandenburger nach 1990.
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